Machtkampf

Pesos für Plünderer

Bezahlte Randalierer stürzten nach Recherchen der Zeitung Clarín im Dezember 2001 die argentinische Regierung. Die Debatte um die Hintermänner der Unruhen ist ein Teil des andauernden politischen Machtkampfes.

Die Männer springen pünktlich um halb zwölf von der Ladefläche eines weißen Kleinlasters. Sie sehen sich um und stürmen dann mit Gebrüll den Supermarkt. Es ist der Morgen des 19. Dezember 2001. Eine Schar ärmlich gekleideter Bewohner des Vorstadtviertels Moreno wartet bereits auf die bezahlten Randalierer, die sich wie verabredet an den Rolläden des Supermarktes Kin an der Route 23 der Hauptstadt Buenos Aires zu schaffen machen. Die Plünderungen haben begonnen.

Detailreich hat Argentiniens größte Tageszeitung Clarín in einem mehrteiligen Report jüngst die Ursachen der Dezember-Unruhen in der Hauptstadt beschrieben. Den Recherchen der Zeitung zufolge führte eine politische Intrige der oppositionellen Peronisten zum Sturz der bürgerlichen UCR-Regierung. Perfekt organisierte Plünderungen mündeten demnach in eine Massendemonstration vor dem Präsidentenpalast an der Plaza de Mayo. Bei den Auseinandersetzungen starben 28 Menschen, die Regierung unter Präsident Fernando de la Rúa sah sich zum Rücktritt gezwungen.

»Sie brachten sie auf Lkw und sogar mit Bussen«, beschreibt ein Zeuge die Ereignisse. »Es gab einen festen Lohn: 100 Pesos für die vorderste Front, die mit Zangen und Stangen die Rollläden aufbrach. Diese Leute drangen ein und rannten direkt zu den Kassen und Rechnern. Für die zweite Reihe, die die Einkaufswagen rausholte, gab es 70 Pesos«, berichtet der namentlich nicht genannte Präsident der Handelskammer einer Vorstadt von Buenos Aires. Auch für die weniger Mutigen, die sich lediglich trauten, bei den Händlern etwas zu essen einzufordern, habe es einen Tarif gegeben: 50 Pesos pro Person, damals 50 Dollar.

Nüchtern zählt die Zeitung weitere 15 Schlussfolgerungen einer Untersuchung auf. Sie liefert zwar keine Beweise, präsentiert aber eine klare Indizienkette: Die Randalierer waren bestellt, Teile der Polizei steuerten die Unruhen, die Plünderungen fanden nur an bestimmten Orten statt, und mindestens zwei Fernsehsender waren schon vorher informiert.

Bereits seit Monaten erzählen Taxifahrer, Studenten, Hausfrauen und Kioskbesitzer Episoden dieser Geschichte. Spricht man einen Argentinier auf die saqueos, die Plünderungen, an, erntet man ein Lächeln und ein Achselzucken. »Saqueos? Das war doch alles organisiert«, meint etwa der Jurist Ezequiel Malarido aus Buenos Aires. Wahlweise nennen die Argentinier einen der zwei verfeindeten bedeutenden Peronisten als Mann im Hintergrund, entweder den ehemaligen Präsidenten Carlos Menem oder den amtierenden Präsidenten Eduardo Duhalde. Aber auch Parteifreunde de la Rúas sollen ein Interesse an seinem Sturz gehabt haben.

»Warum sollte es denn nur an diesen zwei Tagen Plünderungen gegeben haben und danach nicht wieder, obwohl es den Leuten immer schlechter geht?«, lautet eine Frage, die sich in Argentinien nicht nur Malarido stellt. Clarín sieht als einzige mögliche Erklärung »die soziale Kontrolle, die der Peronismus in Buenos Aires ausübt«, und meint damit Teile der Unterschicht in den Vorstädten, die die Gerechtigkeitspartei (PJ) mit kleinen Privilegien und Geldzahlungen unterstützt.

Die Schlüsse, die sich aus den seit Wochen andauernden Untersuchungen des Bundesrichters Norberto Oyarbide hätten ergeben sollen, liefert mit Clarín nun das Flaggschiff einer Verlagsgruppe, die seit Monaten immer deutlicher gegen die Regierung agiert. Dabei spielt das Interesse des Verlages eine bedeutende Rolle. Wie die dem Finanzestablishment nahe stehende Zeitung Ambito Financiero nicht müde wird zu betonen, sieht sich Clarín als Opfer des Mitte Mai geänderten Konkursgesetzes.

Das neue Gesetz war eine der Hauptbedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Wiederaufnahme der Kreditzahlungen (Jungle World, 20/02). Es ersetzt ein erst im Januar erlassenes wirtschaftliches Notstandsgesetz, das nach der Abwertung des Peso im Dezember die vielen insolventen argentinischen Unternehmen vor dem »Ausverkauf«, also einer schnellen Übernahme durch ausländische Gläubiger, schützte. Die Clarín-Gruppe, die den argentinischen Zeitungsmarkt beherrscht, gehört zu den Unternehmen, die hohe Dollarkredite aufgenommen haben und diese nach der Abwertung der Landeswährung kaum noch bedienen können, da die Einnahmen fast ausschließlich auf dem internen Markt und in Pesos erzielt werden.

Trotz des Drucks der Zeitungsgruppe und trotz einer Opposition in den Reihen der großen Koalition aus PJ und UCR war am Ende der IWF erfolgreich, der ein neues Konkursgesetz gefordert und ein schon verabschiedetes Gesetz zur Wirtschaftskriminalität kritisiert hatte. Duhalde folgte Ende April diesen Vorgaben, weswegen sogar das Kabinett umgebildet werden musste. All das hatte allerdings einen hohen politischen Preis, denn Duhalde wäre dabei fast gestürzt. Die UCR, die Partei des ehemaligen Präsidenten de la Rúa, will die Koalition zwar weiter unterstützen, den Forderungen des IWF möchte sie aber nicht in jedem Punkt nachkommen.

So gelang die Abschaffung des Gesetzes zur Wirtschaftskriminalität, auf dessen Basis argentinische Richter ausländische Manager verfolgen konnten, erst in letzter Sekunde, als sich plötzlich eine Senatorin der UCR zurückzog und die PJ die Abstimmung mit einer Stimme gewinnen konnte. Selbst unter den Peronisten gab es mit dem Senator Jorge Yoma eine Stimme gegen die nach Angaben des IWF investitionsfreundliche Maßnahme. »Ich glaube, dieses Gesetz dient nicht dazu, dass Kapital ins Land kommt, im Gegenteil«, meinte Yoma.

Duhalde drohte in der vergangenen Woche immer wieder mit seinem Rücktritt, da ihm auch der Widerstand von 14 peronistischen Provinzgouverneuren zu schaffen macht. Sie wollen sich bislang nicht auf die vom IWF geforderte 60prozentige Minderung ihrer Haushaltsdefizite festlegen, wohl auch, da einige von ihnen in möglichen Neuwahlen eine Chance sehen, Duhalde im Amt nachzufolgen.

Doch nicht nur die parteiinterne und die parlamentarische Machtbasis Duhaldes schwindet. Auch in der Bevölkerung wächst die Empörung über die Maßnahmen, die der IWF fordert. Am Tag vor der Abschaffung des umstrittenen Gesetzes, auf dessen Grundlage rund 40 Manager inhaftiert wurden, legten ein Generalstreik und umfangreiche Straßenblockaden Buenos Aires und mehrere Provinzhauptstädte lahm.

Um »gegen den Hunger, die Arbeitslosigkeit und die Auslieferung« an den IWF zu protestieren, rief die neue Gewerkschaft CTA zu ihrem ersten Streik gegen die Regierung Duhalde auf. An einem Marsch zur Präsidentenresidenz nahmen auch Lehrer, Piqueteros und die Klassenkämpferische Strömung der Gewerkschaften (CCC) teil. Die Mobilisierung einer halben Million Menschen stand für Clarín im Gegensatz zur »bescheidenen Machtdemonstration« der Dissidenten der etablierten Gewerkschaft CGT und dem Schweigen der CGT unter dem Verbündeten Duhaldes, Rodolfo Daer.