Studentenproteste in Nordrhein-Westfalen

»Bildung soll zur Ware werden«

Christoph Butterwegge ist Professor und Leiter der Abteilung Politik-wissenschaft an der Universität Köln. Er unterstützt die Proteste der Studenten

Waren Sie überrascht von dem Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, in Zukunft Studiengebühren zu erheben?

Der Zeitpunkt hat mich überrascht. Warum ein sozialdemokratischer Ministerpräsident mitten im Wahlkampf mit einer Debatte über Studiengebühren die Studierenden gegen Rot-Grün auf die Straße treibt, erschließt sich mir nicht so recht. Möglicherweise hat Clement schlicht die Panik befallen wegen der desolaten Haushaltslage in Nordrhein-Westfalen.

Und deswegen will er nun Studiengebühren einführen?

Warum nicht? Clement profiliert sich seit längerem als »Modernisierer«, Studiengebühren passen da hervorragend ins Bild. Insofern überrascht es mich nicht, dass ein solcher Vorstoß von ihm kommt. Es entspricht der neoliberalen Logik, dass versucht wird, über Studiengebühren einen Einstieg zu finden, um Bildung und Wissen zur Ware zu machen und den Bereich der Hochschulen noch stärker in die Privatisierungsoffensiven einzubeziehen.

Der Neoliberalismus übt eine derartige gesellschaftliche Hegemonie aus, dass solche Vorstellungen bis weit in die rot-grüne Regierung hinein, ja selbst in den Gewerkschaften an Boden gewinnen. Man will alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche marktgerecht umgestalten, auch den Bildungs- und Hochschulbereich. Davon verspricht man sich mehr betriebswirtschaftliche Effizienz und mehr Leistung. Bei dem Versuch, den Wirtschafts- und Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen erfolgreicher zu machen, spielen soziale Aspekte nur noch eine untergeordnete Rolle.

Was könnten die Folgen sein?

Wenn man nach der Standortlogik verschiedene Bereiche marktförmig machen will, nimmt man in Kauf, Menschen, die in diesem Konzept nur noch als »Humankapital« fungieren, nachrangig zu behandeln. Man betreibt bewusst soziale Selektion. Die Folge wird sein, dass immer weniger Arbeiterkinder den Weg an die Universitäten und Hochschulen finden. Schon jetzt sind die Zahlen blamabel. Eine solche Politik führt zum Gegenteil dessen, wofür die sozialliberale Koalition Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre mit der Öffnung der Hochschulen eingetreten ist.

Glauben Sie, dass Clement seine Pläne durchsetzen wird?

Die Wahlkampfsituation ermöglicht es einerseits vielleicht, durch verstärkten Druck von der Straße die Landesregierung zum Nachgeben zu zwingen. Andererseits besteht die Gefahr, dass gerade jetzt populistisch Härte demonstriert wird, um Wählerstimmen zu gewinnen, die nicht von Studierenden kommen. Der Ausgang ist offen.

Das Grundprinzip, dass Bildung ein öffentlich zugängliches Gut ist, für das kein Geld bezahlt werden muss, wird jedoch wahrscheinlich durchbrochen werden. Denkbar ist, dass nur ein Versuchsballon losgelassen wurde, um die Reaktionen zu testen. Möglicherweise führen die Studentenproteste sogar zu einer Modifizierung der gegenwärtigen Pläne, sodass sie zwar weiter dem Modernisierungskonzept entsprechen, ein Teil der Studenten aber bereit sein wird zu zahlen, etwa weil das Geld doch in die Hochschulen fließen soll und nicht in den Landeshaushalt, wie es zur Zeit geplant ist.

Schon jetzt ist der Versuch erkennbar, Gruppen, die momentan noch gemeinsam auf die Straße gehen, auseinander zu dividieren. Geht das Geld an die Unis, werden die wenigen Professoren, die ihre Stimme erheben, wohl die ersten sein, die aus der Protestfront herausbrechen.

Hat Clement seinen Vorstoß vielleicht auch deshalb in der Zeit des Wahlkampfes gemacht, weil er davon ausging, dass von den Studierenden heute kein Widerstand mehr zu erwarten ist?

Das mag sein. Aber die Proteste haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Landesweit gehen die Studierenden auf die Straße, streiken, besetzen ihre Hochschulen. Und sie tun das trotz des schlechten gesellschaftlichen Klimas, in dem der Widerstand von Betroffenen meist als etwas Störendes gilt. Vielleicht versprechen sich bestimmte Kräfte in der Landesregierung Vorteile im Wahlkampf, wenn sie so tun, als solle hier nur denjenigen Geld abverlangt werden, die sich auf Kosten der Steuerzahler ein gutes Leben machen. Den Studierenden wird ja vorgeworfen, nur Lobbypolitik für sich selbst zu betreiben. Auch das beliebte Klischee von den »Bummelstudenten« wird wieder bemüht. Das allerdings konnte die Union schon immer besser.

Man sollte nicht vergessen: Wenn das größte Bundesland den Beispielen Baden-Württembergs und Niedersachsens folgt und vielleicht sogar über diese hinausgeht, dann wird es schwer für andere Länder, sich dieser Entwicklung zu verweigern. Ob das in Nordrhein-Westfalen gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob und wann den Studierenden bei ihren Protesten die Luft ausgeht. Weil die Aufgabe so groß ist, wird es für die Studierenden sehr schwierig sein, sich gegen die Landesregierung durchzusetzen. Aber es sollte versucht werden.

Wie sollten die Studenten weiter vorgehen?

Sie müssen klar machen, dass ihre Bewegung nicht nur an einem Punkt ansetzt, sondern sich in ein Widerstandskonzept einfügt, das auch andere gesellschaftliche Bereiche umfasst. Denn Bildung ist ja nicht der einzige Sektor, der der Privatisierung unterliegt.

Bei der Altersvorsorge ist mit der Riester-Rente begonnen worden, im Bereich der Gesundheit wird es nach der Bundestagswahl mit Sicherheit weitergehen, egal welche Partei gewinnt. Ich glaube, viele Studierende haben begriffen, dass es um mehr geht als um den Griff in ihr Portemonnaie.

Glauben Sie das wirklich?

Der Anlass, jetzt auf die Straße zu gehen, ist für die meisten Studierenden sicherlich der, nicht diese 50 Euro zahlen zu wollen, und schon gar nicht die 650 Euro, wenn sie länger studieren. Das ist ein völlig legitimer Grund für ihren Protest. Und wie immer bei solchen Bewegungen sind Ansatzpunkte für eine Politisierung da. Ich weiß nicht, wie viele Studierende in der Lage sind, die gesellschaftlichen Zusammenhänge herzustellen. Es geht um die Frage, wohin die Gesellschaft will. Soll sie sich zu einer Ellenbogengesellschaft nach neoliberalen Vorstellungen entwickeln? Oder in Richtung einer humanen Gesellschaft, in der versucht wird, solidarisch miteinander umzugehen?