Neue Verschwörungstheorien von Gerhard Wisnewski

Zu wenig Phantasie für die Wirklichkeit

Der ehemalige linke Journalist Gerhard Wisnewski hat seine Verschwörungstheorie vom Phantomterrorismus aufgewärmt und auf den Nahen Osten übertragen.
Von

Vor zehn Jahren trat ein Journalistentrio mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, die Rote Armee Fraktion (RAF) existiere seit 1984 nicht mehr und alle Anschläge, die es danach gegeben habe, seien von ganz anderen, unbekannten Kräften ausgeführt worden.

»Das RAF-Phantom. Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen«, so der Titel des Buches, wurde sofort zum Bestseller und wird bis heute oft zitiert. Zwar konnten die Autoren ihre Theorie niemals beweisen, sie fanden dennoch viel Beifall, gerade auch unter Linken. Sie argumentierten im Wesentlichen damit, dass die Anschläge anderen genützt, der Linken aber geschadet hätten, und dass es für die Täterschaft der RAF keine stichhaltigen Beweise gebe.

Das »RAF-Phantom« wurde dutzendfach widerlegt. Die Überzeugung der Autoren jedoch konnte nicht erschüttert werden. Wolfgang Landgreber, Ekkehard Sieker und Gerhard Wisnewski widerriefen ihre hanebüchenen Thesen auch 1993 nach dem Sprengstoffanschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt nicht und nicht einmal nach der Festnahme bzw. Erschießung zweier Mitglieder jener angeblich gar nicht existierenden dritten Generation in Bad Kleinen.

Im Gegenteil. Gerhard Wisnewski hat sein Hobby, Verschwörungstheorien zu spinnen, inzwischen zur Lebensaufgabe gemacht. Seine Homepage (www.raf-phantom.de) eröffnet mit der paranoiden Schlagzeile: »Was ist, wenn es die dritte Generation der RAF nie gegeben hat? Was ist, wenn alle diese Morde vom Staat selbst begangen wurden? Was ist, wenn Du der einzige Zeuge bist?« Aber er kaut nicht nur die alten Phantomgeschichten wieder durch. So suggeriert Wisnewski z.B. immer wieder, die Anschläge vom 11. September seien das Werk der US-Geheimdienste.

Gefährlich nahe am Straftatbestand der Volksverhetzung bewegt sich Wisnewski mit seinen Kommentaren zum Nahost-Konflikt. So spricht der Journalist von »merkwürdigen Attentaten in Israel« und stellt eine ganz erstaunliche These auf: »Die angeblichen Attentate der Palästinenser betreffen fast ausschließlich die Zivilbevölkerung: in Cafés, in Einkaufszentren, auf der Straße. Kann das wirklich im wohlverstandenen militärischen und psychologischen Interesse der Palästinenser liegen, oder muss das nicht vollkommen kontraproduktiv sein, weil jede solche Bombe die Bevölkerung ein Stück mehr in die Arme von Sharon treibt? (...) Und woher kommt diese plötzliche Inflation von Selbstmordattentätern? Oder ist alles ganz anders? Heuert irgendjemand einen ahnungslosen Palästinenser an, damit er für zehn Schekel, oder wie diese Währung auch immer heißt, eine Plastiktüte oder ein Paket transportiert, wobei dieser jemand dann im geeigneten Moment auf den Knopf seiner Fernsteuerung drückt?«

Kein Wunder, dass jemand, der einer jüdischen Verschwörung auf der Spur zu sein meint, mit Jürgen Möllemann sympathisiert. »Überlegen Sie«, fordert Wisnewski seine LeserInnen auf, »ob Sie die FDP vielleicht doch in den Kreis der wählbaren Parteien aufnehmen wollen!« Schließlich droht im Nahen Osten nach Ansicht Wisnewskis ein neuer Holocaust. Die »Arabische Welt« stehe »vor dem Genozid«. Die Strategie Israels und der USA sei es, den Konflikt eskalieren zu lassen und die arabische Welt zu provozieren.

Der »Diktator Sharon« wolle nämlich eigentlich »die arabische Welt vernichten, und die Leiche Arafats als Sahnehäubchen obendrauf haben«. Durch die ständige »Demütigung Arafats« fordere Scharon »die arabische Welt so lange heraus, bis sie auf die eine oder andere Weise angreift, um Arafat zu Hilfe zu eilen. Dann werden die Israelis und Amerikaner zweifellos einen nie dagewesenen Völkermord im Nahen Osten und in der Arabischen Welt begehen.«

Spätestens diese Worte lassen erkennen, dass sich Wisnewski weit von der Realität und ebenso weit von der Linken, der er entstammt, entfernt hat. Dass er auf seiner Web-site ausführlich und anerkennend die rechtsextreme Junge Freiheit zitiert, ist ein weiterer Beleg. Ebenso wie seine Wahlempfehlung: Wisnewski preist, neben der FDP, die rechte Sekte »Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Büso)« und das Liberale Forum Deutschland (LFD). Das Wahlprogramm des Forums enthält so »liberale« Forderungen wie die nach dem »Aufbau einer Genom-Kartei aller Bundesbürger und in der BRD lebender Ausländer«. Wisnewski hat auf seiner Homepage sogar einen Link zu einer Liste mit israelischen Produkten und Unternehmen und zu einem Boykottaufruf für diese Waren.

Dabei ist der Journalist keineswegs für irgendwelche Sektenblättchen tätig, sondern für das öffentlich-rechtliche Fernsehen sowie für die Schweizer Weltwoche. Offenbar sind seine wirren Gedankenspiele also nicht das Symptom einer diagnostizierbaren Wahrnehmungsstörung, sondern müssen irgendwie kompatibel sein mit einer gesellschaftlich akzeptierten Sicht auf die Welt.

Beispiel 11. September: Ob nun der US-Geheimdienst selbst im Cockpit saß, ob es den Anschlag auf das Pentagon gegeben hat, ob die Videos von bin Laden gefälscht sind - es kursieren die wildesten Gerüchte und nicht wenige davon schaffen es in die etablierten Medien.

Selbstverständlich muss man den Geheimdiensten jede Lüge zutrauen. Oder anders gesagt: Die Tatsache, dass du eine Paranoia hast, bedeutet nicht, dass sie nicht hinter dir her sind. Dennoch stellt sich die Frage nach den Motiven derjenigen, die über solche Verschwörungen spekulieren. Das Problem von Verschwörungstheoretikern ist nicht ihre überschäumende Phantasie, sondern paradoxerweise ihre fehlende Phantasie. Was sie sich nicht vorstellen können, darf nicht wahr sein. Die USA als Opfer - das passt nicht in den Kopf vieler Linker und ehemaliger Linker.