Zuwanderungsgesetz und Ausreisezentren

Wir machen den Weg frei

Auf der Grundlage des neuen Zuwanderungsgesetzes sollen in ganz Deutschland Ausreisezentren eingerichtet werden.

Und er hat es doch getan. »Nach Abwägung aller Gesichtspunkte habe ich das Zuwanderungsgesetz heute morgen unterzeichnet«, gab Bundespräsident Johannes Rau am Donnerstag der vergangenen Woche bekannt. Zwar räumte er ein, Zweifel am verfassungsmäßigen Zustandekommen des Gesetzes zu haben, verwies jedoch darauf, dass er die Unterschrift nur bei einem offenkundigen und zweifelsfreien Verfassungsverstoß hätte verweigern können. Bestünden in dieser Hinsicht Zweifel, so sei es die Sache des Bundesverfassungsgerichtes, diese auszuräumen. Eine entsprechende Klärung hält Rau für wünschenswert. Der Wunsch dürfte erfüllt werden, Sprecher der CDU/CSU kündigten umgehend an, Klage gegen das Gesetz zu erheben.

Auch wenn das Schicksal des umstrittenen Gesetzes noch offen bleibt, vorerst ist es in Kraft getreten, und mit ihm etliche Regelungen, die vor allem die Zuwanderung begrenzen sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man sich einiges ausgedacht. So bietet das neue Gesetz eine einheitliche Rechtsgrundlage, um in ganz Deutschland so genannte Ausreisezentren einrichten zu können.

Gemeint sind Sammellager für Flüchtlinge, in denen einstmals getrennte Bereiche der staatlichen Flüchtlingsfürsorge an einem Ort konzentriert und miteinander verbunden werden sollen. Bislang existierten nur einzelne Modellprojekte in verschiedenen Bundesländern. Nun werden wohl auch in den restlichen Ländern Ausreisezentren zu einem festen Bestandteil der Abschiebepraxis.

Den Anfang machte Nordrhein-Westfalen, wo 1998 ein erstes Zentrum errichtet wurde, das jedoch im folgenden Jahr wieder geschlossen werden musste. Nach dem Selbstmord eines Flüchtlings kam es zu Ausschreitungen der Insassen, die drohten, die Einrichtung komplett abzubrennen. Die Gefängnisleitung erklärte die Verhältnisse für untragbar. Trotz dieser Erfahrungen öffneten kurz darauf ähnliche Einrichtungen in Braunschweig und Oldenburg sowie im rheinland-pfälzischen Ingelheim.

In die Zentren werden diejenigen Flüchtlinge eingewiesen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden können, weil ihre Staatsangehörigkeit wegen fehlender Papiere nicht bekannt ist. Papiere aber sind ohne Kooperation der Betroffenen schwer zu bekommen. Daher sollen sie zur entsprechenden Mitwirkung »bewegt« werden. Denn das Ziel ist die »freiwillige Ausreise«, die ihnen im Zentrum als »Alternative« zur erzwungenen Abschiebung nahe gelegt wird. Auch werden sie verpflichtet, in der Einrichtung zu leben.

Denn eine »ständige Verfügbarkeit« ist nötig für die »Kombination aus ausländerrechtlicher Beratung und psychosozialer Betreuung«, wie es der Leiter des Amtes für Ausländerangelegenheiten in Trier, Dietmar Martini-Emden, formuliert. Jede Aussicht auf ein Leben in Deutschland soll den Flüchtlingen genommen werden.

Die Verdeutlichung der Perspektivlosigkeit wird durch ein Maßnahmenbündel flankiert, das es in sich hat. So ist die Aufenthaltsdauer in den Zentren zeitlich unbegrenzt und geht mit einem Arbeitsverbot sowie der Streichung des Taschengeldes einher. Neben die Entmündigung tritt die Kriminalisierung: ohne Geld wird jede Busfahrt zur Straftat.

Oft werden die Betroffenen auch aus bestehenden Arbeitsverhältnissen gerissen. Während so etwas in Oldenburg auch rechtlich vorgesehen ist, können in Ingelheim nur Menschen ohne Arbeit gezwungen werden, ihren Wohnsitz ins Zentrum zu verlegen. Dennoch sind etliche Fälle dokumentiert, in denen auch Berufstätige eingewiesen wurden.

Auch Kontakte nach außen werden unterbunden, ausgerechnet Gespräche mit Sozialarbeitern sollen sie ersetzen. Dabei sind die Sozialarbeiter verpflichtet, jede verwertbare Information über die Herkunft der Flüchtlinge weiterzuleiten. Außerdem wird die Bewegungsfreiheit auf einen kleinen Radius beschränkt, in Oldenburg trifft das alle dort einsitzenden Flüchtlinge, in Ingelheim nur Einzelne.

Die Praxis in Ingelheim bleibt teilweise sogar hinter diesen Vorgaben zurück. Bernd Drüke vom AK Asyl Rheinland-Pfalz erklärt: »Trotz der Meldepflicht halten viele sich nicht dauerhaft hier auf und melden sich nur sporadisch, in Abständen zwischen einmal pro Woche und alle drei bis vier Monate. Auch die Gespräche finden nicht regelmäßig statt.« Dass darauf keine Repressalien folgen, erklärt er so: »Es herrscht extremer Personalmangel, da ein Großteil des Personals in den benachbarten Abschiebeknast abgezogen wurde.«

In Oldenburg dagegen werden nicht nur regelmäßig die Gespräche geführt. »Die Leute werden bereits gegängelt, wenn sie nicht zum Essen erscheinen«, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. »Zwar bleibt, wenn ohnehin nur das physische Überleben gesichert ist, nichts mehr, was man zur Strafe wegnehmen könnte. Dennoch unterliegen viele einem so hohen psychischen Druck, dass sie sich nicht entziehen können.«

Dass es bei all dem um Zermürbung geht, wird auch von offizieller Seite bestätigt. So stellt Dietmar Martini-Emden fest: »Bei den aufgenommenen Personen zeigt sich, dass die deutlichen Leistungseinschränkungen, der Ausschluss einer Arbeitsaufnahme sowie das sich in einem allmählichen Prozess entwickelnde Bewusstsein über die Ausweglosigkeit der Lebensperspektive in Deutschland die Menschen in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt.«

Eine Strategie mit Erfolg: »Ich fühle mich, als ob ich nur von einem Tod zu einem anderen geschickt werde, der einzige Unterschied ist der Ort, erst Syrien, dann Deutschland«, fasst ein Flüchtling seine Erfahrungen aus Oldenburg zusammen.

Kein Wunder, dass selbst das Leben in der Illegalität als würdigere Alternative erscheint. Die von den Innenministerien veröffentlichten Zahlen belegen durchweg, dass der größte Teil der Flüchtlinge untertaucht. Nur ganz wenige reisen »freiwillig« aus oder werden abgeschoben. »Das Projekt ist, gemessen an den eigenen Vorgaben, eindeutig gescheitert«, fasst Bernd Drüke die Zahlen zusammen.

Scheitern als Chance, das scheint das Motto der Behörden zu sein; wenn Flüchtlinge schon nicht aus Deutschland zu entfernen sind, so doch wenigstens aus dem Netz staatlicher Sozialleistungen. »Das Abtauchen in die Illegalität wird ganz offen als Erfolg gewertet. Damit wird einer Zielsetzung das Wort geredet, die im Widerspruch zur Rechtslage steht«, sagt Kai Weber. In offiziellen Stellungnahmen wird zum Beispiel unterstellt, dass die Verschwundenen vermutlich ausgereist seien, ohne sich bei den zuständigen Stellen abgemeldet zu haben. Deutlicher wird das niedersächsische Innenministerium, das in einem Zwischenbericht positiv bemerkt, dass die Verschwundenen zumindest keine Leistungen beim Sozialamt mehr beantragen.

Ein Erfolg, an dem auch andere teilhaben möchten. Im Januar folgte Sachsen-Anhalt mit einem Modellversuch in Halberstadt, und Bayern will seine Planungen für eigene Zentren bereits im Juli abschließen. Wenn nun weitere Länder folgen, dürfte die Union zumindest mit diesem Punkt des Zuwanderungsgesetzes zufrieden sein. »Die Aufnahme von Ausreisezentren als vermeintlich milderes Mittel war ein Zugeständnis an Forderungen der CDU, die dem so genannten Vollzugsdefizit mit der Legalisierung von Beugehaft begegnen wollte«, erklärt Bernd Mesovic von Pro Asyl. »Mit all den Auflagen ist es aber kein milderes Mittel, sondern eine Ergänzung des Abschiebehaftsystems.«

Denn die Ausreisezentren füllen eine juristische Lücke in diesem System. So dient die Abschiebhaft der »Vorbereitung und Sicherung« der Abschiebung, was voraussetzt, dass sie realistisch scheint. Doch ohne gültige Papiere geht es nicht. Außerdem darf die Abschiebehaft auch nicht als eine Beugehaft betrachtet werden, welche die Inhaftierten zur Mitwirkung bewegt. In den Ausreisezentren kann nun ohne zeitliche Begrenzung der nötige Druck ausgeübt werden.

Diese Zustände sind für antirassistische Initiativen Grund genug, auf die Straße zu gehen. Am Samstag dieser Woche wollen sie in Ingelheim gegen den Abschiebeknast und das Ausreisezentrum demonstrieren.