Christoph Schlingensief und die FDP

Alle komplett irre

Christoph Schlingensief mischt die FDP, den Wahlkampf und die Antisemitismusdebatte auf.

Euthanasie jetzt!« oder »Juden raus aus Deutschland!« Welches Schlagwort hätten's denn gern? Nach dem Prinzip der gezielten Provokation funktioniert die Aktionskunst eines Christoph Schlingensief. Sein neuestes Projekt heißt »Aktion18« und findet vor allem im Internet statt. Auf der Site www.aktion18.de geht es darum, die von Jürgen Möllemann ausgelöste Antisemitismusdebatte weiterzutreiben.

Es gibt ein Voting (»Welches Buch sollen wir verbrennen?«), Theorie (gefakte Briefe der FDP-Prominenz) und ein Tagebuch, das über die Aktionen von Schlingensief informiert. »Christoph Schlingensief: der deutsche Kennedy« fand Ende Juni in Bonn, Duisburg, Köln und Düsseldorf im Rahmen von »Theater der Welt« statt, tourte durch die Einkaufszonen und betrieb einen real-surrealen Wahlkampf für die FDP.

Ein Höhepunkt war die Kundgebung vor Möllemanns Firma WEB/TEC, wo laut Schlingensief Waffengeschäfte mit arabischen Staaten abgewickelt werden. Vor der Firmenzentrale sollte eine Sharon-Puppe abgefackelt werden. Die Polizei verhinderte dies; auch Möllemann überlebte offensichtlich dieses Happening, denn eigentlich hatte Schlingensief ein paar Tage zuvor dazu aufgefordert, ihn zu töten, oder ihm zumindest - »Auge um Auge« (Schlingensief) - ein Auge auszustechen.

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für eine virtuelle »Bücherverbrennung«. Welches Buch verbrannt gehört, können die Internet-User per Voting bestimmen. Paul Spiegels Erinnerungen »Wieder zu Hause?« liegen knapp vor Edmund Stoibers Buch »Das Maß der Dinge«.

Laut Schlingensief hat die »Aktion18« mittlerweile den künstlerischen Raum verlassen: »Die Politik hat sich der Aktion angenommen. Es sind die öffentlichen Transporteure, die jetzt ein Problem haben.« Tatsächlich fühlt sich das potenzielle Selbstmordattentatsopfer Möllemann wieder mal beleidigt. Bei der Düsseldorfer Staatsanwalschaft läuft mittlerweile ein Ermittlungsverfahren wegen diverser Straftatbestände. Möllemann himself meint, es gebe »Grenzen der Kunstfreiheit«. Und weiter: »Der Islamist und so genannte ðKalif von KölnÐ Metin Kaplan ist vor rund zwei Jahren wegen Aufrufs zum Mord zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Wir gehen vor diesem Hintergrund davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg sich bereits aufgrund dieses Offizialdeliktes mit dieser ungeheuren Entgleisung befasst.«

Schlingensief bekundet, er sehe einer gerichtlichen Auseinandersetzung gelassen entgegen. Die Site bestehe ausschließlich aus Material, das im Netz frei verfügbar sei. »Wir haben nicht dazu aufgefordert, Selbstmordattentäter zu werden, sondern danach gesucht. Sollten Adressen eingehen, so werden wir diese selbstverständlich der Staatsanwaltschaft übergeben«, schreibt Schlingensief im Netz. Ansonsten zeigten die nervösen Reaktionen von FDP und Staatsanwaltschaft, dass die Aktion »nicht nur einen Nerv, sondern ein ganzes Nervensystem getroffen hat, dass zunehmend blank liegt.«

Aber was macht derweilen die Politik? Die ernst zu nehmenden Menschen mit den ernsthaften Meinungen toben sich auf der Diskussions-Website der Spaßpartei unter www.FDP.de aus. Und wenn man das so liest, fragt man sich schon, ob Christoph Schlingensief sich den ganzen Spaß nicht hätte sparen können. So wie seine Aktion »Chance 2000« jeden Scheiternden als Politiker postulierte, so ist in den Forumsbeiträgen der FDP eigentlich jeder ein Schlingensief: Dass man die Juden nicht in Deutschland haben möchte, wird dort zwar so offen nicht gesagt, aber man vertraut darauf, dass die arabischen Freunde die Juden wenigstens ins Meer der Bedeutungslosigkeit treiben.

Ein Autor namens »Gerecht« beantwortet uns die Frage: »Warum hat Israel keine Zukunft?« - »Israel ist von Anfang an auf Sand gebaut. Europäische Juden, die keine Hebräer waren, gründeten in deren Namen einen Staat, der von Palästinensern bewohnt war, die zum Teil Hebräer sind. Dazu kamen arabische Juden, sodass nun der Staat Israel im Kernland israelische Araber neben arabischen Juden hat. Diese beiden Gruppen vermehren sich viel stärker als die europäischen Juden. Der Rest Palästinas wird weiterhin von Palästinensern bewohnt. Diese vermehren sich ebenfalls rascher als die Israelis insgesamt. Aus religiösen, geografischen und demografischen Gründen wird Israel spätestens in 100 Jahren die ðisraelischeÐ Dominanz verlieren, auch selbst wenn sich alle Palästinenser friedlich und ruhig verhalten würden. Einen religiösen Staat Israel in einem für drei Religionen Heiligen Land mitten in einem arabischen Meer von Menschen zu gründen, war und ist ein Denkfehler. Die Zeit wird das richten, auch ohne Gewalt.«

Auch weiß man auf der Website der FDP ganz genau, dass es eigentlich gar keine deutschen Juden geben kann. Die Frage, weshalb der Zentralrat der Juden denn nicht die israelische Regierungspolitik kritisiere, wird von einem Mitdiskutanten mit der Gegenfrage erledigt, ob es denn überhaupt realistisch sei, dass eine »Auslandsvertretung« »ihre eigenen Chefs schlecht mache«. Und auch ein Diskutant namens »Regula« hat dazu noch was Totalitarismustheoretisches beizusteuern: »Weil weder der ZdJ noch andere nahmhafte jüdische Organisationen des In- und Auslands die Prinzipien der demokratischen Meinungsbildung und öffentlichen Transparenz auf sich anwenden wollen und selbst autoritär und straff zentralistisch organisiert sind. Wer von dort Kritik erwartet, weiß nichts von sowjetischer Außenpolitik.« Es folgen ein gepostetes Interview mit dem israelischen Schriftsteller Uri Avnery und Hinweise auf die Seiten etwa der Selbstmordattentäterorganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die selbst autoritär und straff zentralistisch organisiert ist, oder auf Gush Shalom, die zumindest was weiß von europäischer Außenpolitik. Auch verweist man gerne auf das Netzangebot von Norman Finkelstein oder das der electronicintifada.net. Zwar kennen die Freunde des Projektes 18 auch mit Amerika kein Pardon (»Heil Bush!«), ihr Hauptfeind aber ist ein anderer: Die Juden schließlich »fühlen sich als das ðauserwählte VolkÐ. Das kommt mir schon ein wenig bekannt vor ( ...) Das Problem ist ihr religiöser Fanatismus, ihre Aufdringlichkeit und Uneinsichtigkeit.«

Wer solche Antisemiten im Lande hat, der braucht sie gar nicht mehr zu karikieren, muss man Schlingensief entgegnen. Seine Aktion18 ist ein Projekt im kritikfreien Raum. Wem will er eigentlich beweisen, wie ressentimentgeladen seine MitbürgerInnen sind?

Das Moses-Mendelssohn-Zentrum in Postdam hat kürzlich herausgefunden, dass es in Deutschland bis zu 50 Prozent offene und latente Antisemiten gibt.