Was wird aus den »glücklichen Arbeitslosen«?

Angriff auf die Müßiggangster

Peter Hartz soll ein Mann mit einem »Hang zur Revolution« sein. Schreibt die Financial Times Deutschland. Schließlich hat er beim VW-Konzern eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich durchgesetzt. Eine »Revolution«, wie sie das Kapital liebt.

Jetzt hat die nach dem Revolutionär Hartz benannte Expertenkommission »radikale Reformvorschläge« für den Arbeitsmarkt parat. Die Zahl der Erwerbslosen soll sich bis 2005 halbieren - von vier auf zwei Millionen. »Gelänge es zudem, die durchschnittliche Arbeitslosendauer von derzeit 33 auf 22 Wochen zu senken, könnten die Ausgaben für Arbeitslosengeld von heute 40 Milliarden auf 13,2 Milliarden Euro gesenkt werden, heißt es in einem Eckpunktepapier, das der Financial Times Deutschland vorliegt.« Welcher Finanzminister kriegt da nicht feuchte Augen?

Geplant wird ein Frontalangriff auf die Erwerbslosen. »Morgens, mittags, abends frei - arbeitslos und Spaß dabei« - hat sich das erledigt? Ist der Müßiggangster ein Auslaufmodell? Was wird aus dem »glücklichen Arbeitslosen«, der sich seit den siebziger Jahren das Recht auf Faulheit mit Ämterkohle erstritten hat?

In den achtziger Jahren hat die radikale Bewegung - zugegeben: etwas voluntaristisch - noch die große Verweigerung propagiert. »Sie wollen nur unser Bestes, aber das kriegen sie nicht«, hieß es da. Klar, das wussten alle: Wenn Arbeit klasse wäre, würden die Reichen sie für sich behalten. Mit der Arbeit reproduziert jede und jeder gezwungenermaßen die Verhältnisse, die einem das Leben sauer machen. Und sorgt nebenbei für Fortschritte der Rationalisierung, die noch mehr Arbeitslose produziert. Weshalb der Druck auf die Löhne steigt und man noch mehr rackern muss, um den Lebensunterhalt zu verdienen.

Aber die große Verweigerung hat sich in den neunziger Jahren in das große Mitmachen verkehrt - Hauptsache ein Job, der das Überleben möglich macht. Angesichts der miesen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt ist das kein großes Wunder. Und die Zahl der »Überflüssigen« wächst weiter. Was aber, wenn sich auch beim großen Mitmachen die Bedingungen andauernd verschlechtern? Wenn die Ämter die erste Zeit der Arbeitslosigkeit als Fegefeuer gestalten und den Rest als Hölle? Wird der »glückliche Arbeitslose« dann zum Selbstmordkandidaten, wird er Ausländer und Juden jagen? Oder wird er zum wütenden Widerständigen?

Unter den geltenden Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit hat sich zumindest eine Neuerung herausgebildet: der wohl erste »Rat der Arbeitslosen« der Geschichte. Er konstituierte sich in Paris während der Bewegung der Erwerbslosen Ende 1997/Anfang 1998 als tägliche Versammlung in besetzten Räumen der Uni von Jussieu. »Während das Leben der Arbeitslosen vorsätzlich geplant wird, um von Isolierung, Langeweile, wirtschaftlichem Elend und dem permanenten Wettrennen um eine Beschäftigung, und sei es die härteste und schlechtest bezahlte, beherrscht zu werden, haben die Beteiligten an der Pariser Versammlung eine Kollektivität rund um ein festes Zentrum geschaffen«, schreibt Maurice Wolff in dem lesenswerten, kritischen Text »Çe qui ne fut pas«*. In ihren Aktionen hätten die Beteiligten »für ihren eigenen Gebrauch Güter (Nahrungsmittel, Alkohol) und Dienstleistungen (Transport) requiriert« und seien u.a. gegen Gerichtsvollzieher vorgegangen.

In Deutschland stehen einer solchen Entwicklung nicht zuletzt der weit verbreitete Staatsfetischismus und ein unbegründetes Vertrauen auf die Gewerkschaften im Weg. Wer aber soll den glücklichen Arbeitslosen retten, wenn nicht er selbst? Indem er für seine Selbstabschaffung als arbeitsloser Arbeiter eintritt und sich daran erinnert, dass »das Glück immer ein neuer Gedanke« ist.

* www.geocities.com/jf_martos/ce_qui_ne_fut_pas