Die Opposition hofft auf Hilfe aus den USA

Ein Imam zu viel

Turkmenistans Präsident Saparmurat Niazov regiert sein Land mit harter Hand und verweigerte sich der »Allianz gegen den Terror«. Nun kann die Exil-Opposition auf die Hilfe der USA hoffen.

Turkmenische Kinder wissen, was sich gehört. In jeder Schulklasse wird vor Unterrichtsbeginn dem Präsidenten gehuldigt. »Ich möge verdammt sein, wenn ich nicht meinen Präsidenten Turkmenbaschi anbete«, stammeln dann die Kleinen voller Ehrfurcht. Turkmenbaschi nämlich ist einer der vielen selbstgewählten und schmeichelnden Titel von Saparmurat Niazov und bedeutet: Vater der Turkmenen. Aber der 62jährige Autokrat, der Turkmenistan seit der Unabhängigkeit regiert, ist nicht nur ein allmächtiger Vater, sondern nach eigenem Dafürhalten auch ein Erlöser.

Diese Selbsterhöhung ist derzeit Niazovs bevorzugtes Projekt. Obwohl die Mehrzahl der turkmenischen Muslime Sunniten sind, wünscht der Präsident eine Interpretation des Koran, die ihm die Rolle des dreizehnten Imam zuschreibt. In der schiitischen Theologie verheißt die Rückkehr des zwölften, im neunten Jahrhundert verschwundenen Imam die Erlösung von allen irdischen Übeln. Ergänzt wird der Prozess noch von der Schaffung einer Ruchmana, eines spirituellen turkmenischen Ehrenkodex. Darin wird das traditionelle Autoritätsgefüge der turkmenischen Gesellschaft zugunsten unbeirrbarer Treue zum Präsidenten selbst aufgelöst.

Nazar Sounov, ehemaliger Vizepremier Turkmenistans und seit 1994 im Moskauer Exil, kann über das literarische Schaffen seines ehemaligen Chefs nur grimmig lachen. »Ich kenne ihn sehr gut, er kann nicht mal zwei Sätze fehlerfrei niederschreiben«, verrät er der Jungle World. Sounov ist wohl einer der einflussreichsten Teilnehmer jener Runde, die sich am vorletzten Wochenende in Wien versammelte, um nur über ein Thema zu sprechen: den geplanten Sturz des Patriarchen. Insgesamt gibt es acht turkmenische Oppositionsparteien, die vor allem im Exil aktiv sind und die Niazov in absehbarer Zeit entthronen wollen. Der Moment scheint ihnen günstig. »Niazov weiß, dass er den Höhepunkt seiner Macht überschritten hat«, meint Ex-Vizepremier Sounov.

Besonders nach Niazovs zögerlicher Unterstützung der Allianz gegen den Terrorismus glauben die Oppositionellen, dass die USA ihnen im Kampf gegen den verhassten Präsidenten helfen werden. Schließlich hat er im Gegensatz zu seinen nicht minder autokratisch regierenden Amtskollegen in Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien die Stationierung US-amerikanischer Truppen auf seinem Hoheitsgebiet nicht gestattet. Nun hofft die Opposition auch auf den von den USA verordneten »Kampf gegen den Terror« als Katalysator für den Sturz Niazovs. »Turkmenistan ist heute ein Zentrum des islamischen Terrorismus. Die Regierung Niazov selbst hatte wohl die besten Beziehungen zu den Taliban und ist in dieser Hinsicht nur von Pakistan geschlagen worden«, sagt Dudodjon Aotvullojev, exilierter Chefredakteur der früher in Turkmenistan und jetzt in Tadschikistan erscheinenden unabhängigen Zeitung Charogy Ruz.

Lange Zeit galt Turkmenistan als Umschlagplatz für afghanisches Heroin auf dem Weg nach Europa. Bestätigt sieht Aotvullojev seine These auch durch die Inhaftierung zweier turkmenischer Staatsbürger als al-Qaida-Verdächtige in Guantanamo Bay auf Kuba. Nach Informationen, die Jungle World aus Washington erhielt, haben sich inzwischen turkmenische Oppositionelle auch mit Beamten des State Department getroffen, um Alternativen zu Niazov zu finden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langem die repressive präsidiale Machtausübung über die fünf Millionen Einwohner. Doch noch nie war die Situation der Menschenrechte in Turkmenistan so bedenklich wie jetzt, klagen sowohl amnesty international als auch die International Helsinki Foundation for Human Rights, die das turkmenische als eines der übelsten Regime der Welt betrachten. »Der Grund dafür, dass dieses Treffen der Opposition in Wien stattfand, ist ein sehr simpler: In Turkmenistan wäre es unmöglich gewesen«, sagt auch Aaron Rhodes, Direktor der Helsinki Foundation.

Eine organisierte Opposition existiert nicht, wer dennoch gegen Niazov wettert, landet im Zuchthaus. Alle Medien stehen unter direkter Kontrolle des Präsidenten, und auch die religiösen Minderheiten des Landes klagen über Verfolgung und Schikanen. Besonders viel Aufmerksamkeit schenken die Behörden jenen Turkmenen, die Kontakte ins Ausland haben. Vitalii Pomonarev von der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial erzählt, dass daheim gebliebene Verwandte von im Ausland lebenden Turkmenen regelmäßig gefoltert würden, um gegen Niazov gerichtete Aktivitäten in etwas demokratischeren Staaten prophylaktisch zu unterbinden. Niazov, der die verderbliche Wirkung ausländischer Ideen fürchtet, hält sein Land in Isolation.

Besonders deutlich wird das auch durch jene Bestimmung, die jedem Turkmenen oder jeder Turkmenin bei einer Heirat mit einem Ausländer oder einer Ausländerin eine Gebühr in der Höhe von kaum aufzubringenden 50 000 US-Dollar auferlegt. Aotvullojev berichtet außerdem, dass jedes Telefongespräch ins Ausland vom turkmenischen Geheimdienst überwacht wird.

Dabei wäre angesichts der momentanen wirtschaftlichen Situation des Landes ausländische Hilfe dringend notwendig. Nach dem Zerfall der Sowjetunion zerbrach auch das Wirtschaftssystem des Landes. Die auf die Lieferung von Erdgas, Erdöl und Baumwolle innerhalb der Sowjetunion ausgerichtete Ökonomie hat den Schock auch elf Jahre nach dem Ende der UdSSR noch nicht überwunden.

In der Zeit zwischen 1991 und 1998 fiel das Bruttoinlandsprodukt um über 50 Prozent, obwohl Turkmenistan über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt verfügt. Die Ölreserven werden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 2,730 Milliarden Tonnen geschätzt. Sowohl Washington als auch Moskau haben deshalb ein enormes Interesse, an der Ausbeutung der reichhaltigen Rohstoffreserven beteiligt zu werden. Niazov natürlich auch, weshalb er noch vor zwei Jahren mit der afghanischen Taliban-Regierung wegen des Baus einer Pipeline durch Afghanistan verhandelte.

Afghanistan spielt auch in den Plänen der Opposition zum Sturz des Herrschers über Aschgabat und Umgebung eine herausragende Rolle. Eine Million Turkmenen im Norden Afghanistans soll nun nach dem Ende des Taliban-Regimes für die oppositionelle Bewegung gewonnen werden und gemeinsam mit den drei Millionen Turkmenen im Iran schließlich den Umsturz einleiten. Wobei Ex-Vizepremier Nazar Sounov ohnehin daran glaubt, dass die Geduld der Turkmenen mit Niazov schon längst am Ende ist: »99 Prozent der Turkmenen sind gegen Niazov.« Aber von einer Alternative zum gegenwärtigen Turkmenbaschi wissen sie wegen der Isolation des Landes nichts.

Einen Rückschlag auf dem Weg zur Vergöttlichung hat Niazov vor kurzem immerhin erleiden müssen. Als er sich vom religiösen Führer des schiitischen Iran, Ayatollah Ali Khamenei, in Teheran die Zustimmung für die Ernennung zum dreizehnten Imam holen wollte, lehnte dieser eine solche Idee entschieden ab.