Jennifer Capriati

Emanzipiertes Wunderkind

Als Kind ein großes Tennistalent, als Jugendliche drogensüchtig und als Frau zurück in der Weltklasse: Jennifer Capriati.

The Dream Teen«. So überschrieb im Jahr 1990 die amerikanische Zeitschrift Sports Illustrated eine Titelgeschichte über das gerade 14jährige Tennistalent Jennifer Capriati. Experten hatten der Tochter eines Italo-Amerikaners schon eine große Tenniskarriere prophezeit, als sie noch nicht einmal pubertierte. So wurde sie damals schon von Chris Evert als »größtes Tennistalent aller Zeiten« bezeichnet, und der Wimbledonsieger Arthur Ashe stellte den Nachwuchsstar in eine Reihe mit Jahrhundertspielern wie Steffi Graf und John McEnroe.

Man freute sich, nach den Zeiten der charismatischen Chris Evert endlich wieder eine in den USA geborene und gut verkäufliche Tennisspielerin zu besitzen. Ihre Vorgängerinnen Martina Navratilova (geboren in Prag) und Monica Seles (geboren in Novisad) konnten trotz überragender sportlicher Leistungen diesbezügliche Hoffnungen nicht erfüllen.

Fernsehübertragungen von Tennisspielen des all american girl ließen die Einschaltquoten der großen Networks manchmal um 66 Prozent steigen. Anfangs konnten die sportlichen Leistungen Capriatis mit den enormen Vorschusslorbeeren und Erwartungen durchaus Schritt halten. Mit einer Sondergenehmigung der Spielerinnenvereinigung WTA wurde sie mit 13 Jahren Profi. Ein Jahr später stand sie schon im Viertel- und Halbfinale großer Turniere. Im Alter von 15 Jahren hatte sie schon drei Grand-Prix-Turniere gewonnen.

Ebenso früh sorgte sie jedoch für Enttäuschungen bei den Fans, die in ihr ein Vorbild für die Kids der weißen US-Mittelklasse sehen wollten. Sie entzog sich den Erwartungen, in dem sie massenweise Hamburger und Süßigkeiten aller Art vertilgte und aufging wie ein Hefeteig. In der Folge ließ sich Jennifer Capriati von deutlich unbegabteren Spielerinnen auf dem Tennisplatz verprügeln. Sie schien bereits im Frühjahr 1992 am Ende ihrer sportlichen Laufbahn angekommen zu sein. Doch immerhin verfügte sie damals noch über die Fähigkeit zu einmaligen Kraftakten: So nahm sie bis zum Olympischen Tennisturnier von Barcelona 1992 in wenigen Wochen 30 Pfund ab, trainierte fleißig, gelangte ins Finale und besiegte dort Steffi Graf, die daraufhin in eine tiefe sportliche Krise geriet.

Auf ihre Motivation wirkte sich der Olympiasieg jedoch nicht aus. Sie verlor immer mehr die Lust am Tennisspiel, und Affären, die die Öffentlichkeit dem imaginierten Vorzeigeprofi nie verzeihen konnte, wurden häufiger: 1993 wurde sie wegen Ladendiebstahls verhaftet, im Mai 1994 erfolgte eine Festnahme wegen Marihuana-Besitzes.

In Berichten über das einstige »Jenny-Baby« war von Depressionen und Drogenentziehungskuren die Rede. Die besorgte Presse gab vor allem ihrem Vater Stefano die Schuld. Dieser, in den siebziger Jahren in Spanien und Italien als Profifußballer tätig, hatte seinen zwischenzeitlichen Beruf als Stuntman aufgegeben, um seine Tochter an die Tennis-Weltspitze zu führen. Er fungierte für Jennifer als Reisebegleiter, Bodyguard und Cheftrainer. Ion Tiriac, der frühere Manager von Boris Becker, hatte ihm bereits frühzeitig vorgeworfen, seiner Tochter zu wenig Freiheiten zu gewähren. »Wenn er das nicht tut, könnte er für ihren Rücktritt verantwortlich werden«, wurde Tiriac im Spiegel zitiert.

Vater Capriati blieb jedoch uneinsichtig: »Jennifer ist doch erst in die Drogengeschichte geraten, als ich nicht bei ihr war. Ich muss sie beschützen.« Sein Maßstab für eine erfolgreiche Resozialisierung seiner Tochter war nicht deren privates Glück, sondern blieb weiterhin der sportliche Erfolg.

Doch seine Tochter zog mit. Sie verteidigte ihren Vater sogar gegen Vorwürfe, dass der »doch alles macht, weil er mich liebt.«

Capriati fing wieder mit intensivem Tennistraining an und bereitete sich auf ihr sportliches Comeback vor. Und nach einer langen Anlaufzeit schaffte sie es tatsächlich, auch von den Spitzenspielerinnen wieder als ebenbürtige Gegnerin anerkannt zu werden. Doch zunächst waren noch viele Erst- und Zweitrundenniederlagen an der Tagesordnung. Ihre Weltranglistenposition war teilweise so schlecht, dass sie bei Turnieren auf »Wild Cards« der Veranstalter angewiesen war, um ohne die Demütigung von Qualifikationsspielen ins Hauptfeld zu gelangen. Aber ihr Name zog immer noch, und schließlich trainierte sie ja fleißig. Später bekannte sie: »Ich war zu dieser Zeit pummelig und schwerfällig und habe mich hässlich und fett gefühlt. Manchmal habe ich sogar an Selbstmord gedacht, weil ich nicht mehr geglaubt habe, die Erwartungen erfüllen zu können.«

In der Tat schien sie den Weg früherer Wunderkinder wie Tracy Austin oder Andrea Jaeger zu gehen, die früh ausgebrannt ihre Karriere beendeten oder im besten Sportleralter nur noch als Schatten ihrer selbst über die Courts schlichen. Die Tenniswelt hatte, zumindest sportlich, mit dem Thema Capriati bereits abgeschlossen. Das Frauentennis wurde mittlerweile von den Schwestern Serena und Venus Williams sowie von Lindsay Davenport dominiert. Deren Körpergröße, Athletik und Spielstärke überwogen das plötzlich anachronistisch anmutende Talent einer Jennifer Capriati.

Eine Ausnahme bildete da die Schweizerin Martina Hingis, die inmitten der starken Spielerinnen so wirkte wie ein kleines Mädchen unter den »world strongest women«, die aber dennoch mit der Weltelite mithalten konnte und mehrere Grand-Slam-Titel gewann. Was Hingis schaffte, traute man jedoch einer Jennifer Capriati nicht zu. Doch sie gewann. Zehn Jahre nach ihrem Profidebüt hatte sie wieder einen Grand-Slam-Titel, die Australian Open des Jahres 2000.

Es war eines der größten Comebacks der Tennisgeschichte. Zunächst wurde noch von »guter Auslosung«, von »Glück« und von der »Abwesenheit einiger Topstars« geraunt, aber als Capriati kurze Zeit später mit den French Open das größte Sandplatzturnier der Welt gewann, verstummte die Kritik.

Sie schaffte es sogar, die Weltranglistenposition Nummer eins zu erobern. Mittlerweile gilt Jennifer Capriati als einzige Spielerin, die die Williams-Sisters gefährden kann. Die deutsche Spitzenspielerin Barbara Rittner sagt: »Da fällt mir im Moment nur eine ein. Die einzige, die Serena und Venus schlagen kann, wenn die gut in Form sind, ist Jennifer Capriati. Die hat das nötige Tennistalent und auch die nötige Physis dafür.«

Ihr Vater Stefano, weiterhin häufig dabei, wenn seine Tochter spielt, hat eine neue Funktion. Er ist kein Cheftrainer mehr, sondern größter Fan. Das Training wird von Profis geleitet, und ein Sieg in Wimbledon fehlt Jennifer Capriati immer noch.