Gysi rechtfertigt den Sozialabbau in Berlin

Klasse Rhetorik

Eine beliebte Antwort der Unternehmer auf Lohnforderungen der Gewerkschaften ist der Vorwurf, dass diese nur die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und nicht der Arbeitslosen. Ausgerechnet jene, die von der Arbeitskraft anderer profitieren, geben sich als Sprecher der von ihnen Entlassenen, und die Gewerkschaften sind im Handumdrehen schuld an der Arbeitslosigkeit.

Diese Rethorik ist verlogen, aber nicht überraschend. Die Unternehmer versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, und dazu gehören niedrige Löhne. Wenn aber auch der Berliner Wirtschaftssenator, Gregor Gysi von der »Partei der sozialen Gerechtigkeit«, so argumentiert, ist das noch etwas ungewohnt.

Am Dienstag voriger Woche waren 1 500 Personalräte des Berliner öffentlichen Dienstes zu einer Konferenz geladen. Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats, Dieter Klang, informierte über die Gespräche mit dem Senat über den geplanten Abbau von 40 000 Stellen. Nach Jahren der Korruption ist Berlin pleite, und die rot-rote Regierung will jährlich 250 Millionen Euro an Personalkosten sparen und schließt dabei betriebsbedingte Kündigungen nur bis zum Jahr 2004 aus. Darüber verhandelt sie momentan mit den Gewerkschaften.

Auch Gysi war zu der Konferenz geladen. Wer glaubte, er würde sich mit dem Anliegen der Personalräte und Gewerkschafter zumindest verbal solidarisieren, der sah sich getäuscht. Denn Gysi griff gerade diejenigen an, die sich nicht mit der Sparpolitik des Senats abfinden wollen. »Sie reden von Solidarität, aber es geht auch um Egoismus«, warf er den Personalräten vor. »Ich bin für alle da, nicht zuletzt für die Arbeitslosen.« Er habe auch eine Verantwortung für die Bürger, »die im Gegensatz zu euch keinen sicheren Arbeitsplatz haben«. An den Kürzungen führe kein Weg vorbei.

Gysi redete Tacheles, und das war gut so. Denn so wird vielleicht dem einen oder anderem klar, warum die PDS an der Regierung beteiligt ist. Harte Maßnahmen gegen die Lohnabhängigen im öffentlichen Dienst sind nötig, weil man keine andere Idee hat, woher das Geld sonst kommen soll. Wer die Zeche für die Affäre um die Berliner Bankgesellschaft, die im vorigen Jahr zum Sturz der großen Koalition und zu Neuwahlen führte, zahlen soll, ist längst entschieden.

Hier übernahm der Senat schnell das Minus: Zwei Milliarden Euro pumpte er im Jahr 2001 in die bankrotte Gesellschaft, und Anfang des Jahres übernahm er eine Bürgschaft in Höhe von 21,6 Milliarden Euro, um sie vor der Schließung zu bewahren. Ab 2003 kostet die Bankgesellschaft die Berliner jährlich 300 Millionen Euro.

Nachdem die einen abgesahnt haben und die Milliarden für immer verpufft sind, appelliert Gysi nun an die vom Sozialabbau Betroffenen, Berlin »gemeinsam« aus der Misere zu führen. Wer dabei nicht mitwirkt, ist ein Egoist. Doch die Egoisten von heute sind die, an die Gysi morgen denkt, wenn sie ihren Job »sozialverträglich« verloren haben. Diese Dialektik beherrscht der demokratische Sozialist besser als der Sprecher des Unternehmerverbands.

Der Politikwechsel, den die PDS versprochen hat, hat tatsächlich stattgefunden. Entlassungen und Kürzungen im Bereich der Kultur, im öffentlichen Dienst, ja sogar gegen alle früheren Beteuerungen bei der Bildung - das ist das Konzept der rot-roten Regierung in der Hauptstadt. Damit es auch den Gewerkschaftern wie ein Berliner Bär aufgebunden werden konnte, holte man die PDS ins Boot.

Und die Strategie könnte aufgehen. Zur Kundgebung gegen die Sparpolitik des Senats am Dienstag voriger Woche kamen statt der von den Gewerkschaften erwarteten 50 000 Leute nur 10 000. Berlin müsse die »Hauptstadt des Widerstands« werden, rief der DGB-Landesvorsitzende Dieter Scholz den Demonstranten zu. Doch eher wird Berlin wohl die Hauptstadt des Verzichts.