ulrike heike müller

Quick vermittelt in die Ich-AG

Mit mehr Zeitarbeit und einem getarnten Niedriglohnsektor will die Hartz-Kommission die Arbeitslosigkeit halbieren. Wer nicht vermittelt wird, muss mit neuen Schikanen rechnen.

Kann sich noch jemand erinnern, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem Vollbeschäftigung herrscht? In dem sich die Arbeitgeber etwas einfallen lassen müssen, um die Menschen in ihren Betrieb zu locken? Unendlich lang her sind solche Zeiten in Deutschland.

Doch nun soll alles besser werden. Peter Hartz hat sich auf Geheiß von oben des Problems angenommen und glaubt nach ein paar Wochen Forschens die Lösung gefunden zu haben. Bis Ende 2005 will er die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbieren. Der Typ muss größenwahnsinnig sein, denken viele, die sich mit Wirtschaftspolitik beschäftigen.

Wer ist dieser Superman? Er ist der Sohn eines Hüttenarbeiters, Vertrauter von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Vorsitzender der Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes und Personalvorstand bei Volkswagen. Bei VW hat er die Viertagewoche eingeführt: Für 20 Prozent weniger Arbeit bekommt man 20 Prozent weniger Lohn. Auf das Konto des 60jährigen geht auch das Modell »5 000 mal 5 000«. Für die Produktion eines neuen Golfs wurden 5 000 neue Arbeiter zum Monatslohn von 5 000 Mark eingestellt - außerhalb des gültigen Haustarifvertrages. Hartz' Kalkül bei diesen Maßnahmen war: Hauptsache, die Leute werden nicht entlassen beziehungsweise VW lässt seine Autos nicht im Ausland zusammenschrauben.

Hartz ist für Bundeskanzler Gerhard Schröder so etwas wie Aladins Geist aus der Wunderlampe. Auf märchenhafte Weise soll er alles zum Guten wenden, damit Schröder bei der Bundestagswahl am 22. September als Kanzler aller Deutschen im Amt bestätigt wird.

Dabei hat Schröder noch vor zwei Wochen steif und fest behauptet, vor dem 16. August, der offiziellen Präsentation der Ergebnisse der Hartz-Kommission, dringe kein Detail an die Öffentlichkeit. Gesagt, vergessen. Aus taktischen Gründen macht es sich nämlich viel besser, schon mal einige Testballons steigen zu lassen. Schröder lehnt sich derweil zurück, sagt selbst kein Wörtchen zum vorzeitig lancierten Entwurf der Reform und studiert in aller Ruhe, wie Gewerkschaften, Parteien und Unternehmerverbände darauf reagieren.

Die CDU hat gleich mehrere Meinungen. Von »revolutionären Ideen« schwärmt Edmund Stoibers Wirtschaftsminister in spe, Lothar Späth (CDU). Horst Seehofer (CSU) schimpft hingegen über die »sozialpolitische Wilderei«, und für den Fraktionsvorsitzenden der CDU, Friedrich Merz, ist das Ganze nichts als »ein riesengroßer Bluff und eine Wahlkampfshow«. Für die SPD und die Grünen stimmt die Richtung von Hartz' Vorschlägen. Isolde Kunkel-Weber, die für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi selbst in der Hartz-Kommission sitzt, wandte sich jedoch entschieden gegen eine Kürzung des Arbeitslosengeldes.

Wie sieht der Weg aus der Misere konkret aus, den die Hartz-Kommission weist? Hartz' Mitstreiter haben 13 so genannte Module zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Reform der schwerfälligen Bundesanstalt für Arbeit (BfA) mit ihren 90 000 Mitarbeitern zusammengetragen. Von familienfreundlicher »Quick-Vermittlung« ist die Rede, vom »Profiling« aller Arbeitslosen, die »Kunden« genannt werden, von »JobCenters«, »PersonalService-Agenturen« (PSA) als »Business Units«, von der »Ich-AG« und von »Benchmarks«.

Hinter der albernen Marketingsprache verbergen sich Konzepte, die es in sich haben. Die »Quick-Vermittlung« etwa bedeutet, dass Arbeitslose sich sofort nach ihrer Kündigung beim Arbeitsamt melden und nicht erst mit dem Beginn der tatsächlichen Arbeitslosigkeit. Die Vermittlung einer neuen Stelle könnte dann bereits innerhalb der Kündigungsfrist beginnen. Familienväter und allein Erziehende sollen bevorzugt vermittelt werden. Junge, allein stehende Arbeitslose sollen jeden Job annehmen, egal wo. In Kombination mit einer intensiveren Betreuung will Hartz so die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von 33 Wochen bis zum Jahr 2005 auf 22 Wochen reduzieren. Das Ergebnis sollen 450 000 Menschen weniger in der Arbeitslosenstatistik und eine Einsparung von 26,8 Milliarden Euro sein. »Vorsichtig gerechnet«, sagt Hartz.

Das Herzstück dieser Reform ist der Ausbau der Zeitarbeit. 780 000 zusätzliche Arbeitsplätze sollen so entstehen. Zeitarbeitsfirmen sollen 280 000 Arbeitslose übernehmen. Dafür soll das Verbot kürzerer Kündigungsfristen bei einer Beschäftigungsdauer bis drei Monate entfallen und Leiharbeit auch im Bauhauptgewerbe erlaubt werden. Den Großteil der neuen Stellen, eine halbe Million, sollen neue Personal-Service-Agenturen (PSA) vermitteln, in denen die Arbeitsämter ihre Vermittlungsaktivitäten bündeln. »Faktisch führt die verstärkte Einschaltung von Zeitarbeitsfirmen und PSA aus Sicht der Unternehmen zu einer Neutralisierung des Kündigungsschutzes«, heißt es im Hartz-Papier, »die Beschäftigten selber haben aber in den Zeitarbeitsfirmen und PSA den vollen rechtlichen Kündigungsschutz.«

Arbeits- und Sozialämter sollen zu »JobCentern« fusionieren, Arbeitslosengeld und -hilfe sowie Sozialhilfe in einem gestuften System zusammengeführt werden. In den ersten sechs Monaten erhielten Arbeitslose eine Pauschale, in den folgenden sechs Monaten genau berechnetes Arbeitslosengeld. Anschließend gäbe es keine Arbeitslosenhilfe mehr, sondern ein reduziertes Arbeitslosengeld. Ab dem 25. Monat würde jedem ein Sozialgeld bezahlt, das der heutigen Sozialhilfe entspricht. Nur ältere Menschen ab dem 55. Lebensjahr erhielten bis zum 60. weiterhin das reduzierte Arbeitslosengeld.

Die Pauschalierung des Arbeitslosengeldes in der Anfangsphase findet Thea Dückert richtig. »Das Thema wird schief diskutiert«, behauptet die Arbeitsmarktexpertin der Grünen. »Es geht nicht um eine Leistungskürzung. Natürlich haben Arbeitslose Anspruch auf eine beitragsadäquate Leistung.« Ein Angestellter der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) verbringe heute 40 bis 60 Prozent seiner Zeit mit der Berechnung der Bezüge von neuen Arbeitslosen, anstatt sich intensiv um deren Vermittlung zu kümmern.

Dückert kritisiert dagegen das erwogene »Bridgesystem«, wonach Arbeitslosen ab 55 Jahren bis zur Frührente ab 60 das reduzierte Arbeitslosengeld bekämen: »Dieser Umgang mit Älteren widerspricht der Strategie, sie zu integrieren statt auszugrenzen. Wir müssen Schluss machen mit der Frühverrentung und eine Kultur der Altersarbeit entwickeln.« Also arbeiten, bis man umfällt. Dückert übersieht außerdem, dass die Reformer das »Bridgesystem« an die demografische Entwicklung anpassen wollen, etwa dadurch, dass bei einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt das Einstiegsalter jährlich um ein Jahr erhöht werden könnte.

Wird Hartz' Vorschlag zum Sozialgeld Realität, brechen für Langzeitarbeitslose zwischen 45 und 55 Jahren raue Zeiten an. Während sie bislang einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben, würden sie nun nach zwei Jahren zu Sozialgeldempfängern degradiert. Dann müssten sie jede Arbeit annehmen, auch gemeinnützige für 1,50 Euro pro Stunde. Bislang zahlen die Sozialämter für Stützebezieher auch keine Rentenbeiträge.

Die Hartz-Kommission hat sich auch etwas für Schwarzarbeiter ausgedacht. Rechnete man die illegal geleisteten Arbeitsstunden auf Beschäftigte um, gäbe es in Deutschland nach Angaben der Kommission etwa fünf Millionen »Vollzeitschwarzarbeiter«. Rund 40 Prozent davon will Hartz bis zum Jahr 2005 aus der Illegalität holen.

Mit der »Ich-AG« soll eine neue Form der Selbständigkeit eingeführt werden. Mit Mindeststandards für die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie einer zehnprozentigen Pauschalsteuer auf alle Einnahmen, die 15 000 Euro im Jahr nicht überschreiten dürfen. Mit diesem Konzept würde ein Niedriglohnsektor durch die Hintertür eingeführt.

Mit seinen Vorschlägen hat Hartz den Geschmack von Florian Gerster getroffen. »Das Ziel von Peter Hartz ist atemberaubend«, sagt der neue Leiter der Bundesanstalt für Arbeit. Bei seinem Amtsantritt verkündete Gerster, dass er die Behörde zu einem »Dienstleister mit privatwirtschaftlichen Führungsstrukturen« umbauen wolle. Ähnliche Vorstellungen hat auch Hartz. Es bleibt nur noch eine Frage zu klären: Woher sollen Millionen neue Arbeitsplätze kommen?