Atomenergiebehörde fahndet nach radioaktivem Material

Strahlenquellen überall

In den Gus-Staaten wird verstärkt nach verschwundenem radioaktiven Material gesucht, das für Terroranschläge verwendet werden könnte.

Es ist ein harter Job, den Melissa Fleming, Sprecherin der internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien, derzeit zu bewältigen hat. Beinahe täglich tauchen neue Vermutungen über die Besitznahme verschwundenen Nuklear-Materials durch Terrorzellen der al-Qaida auf.

Besonders eine Angst treibt die IAEA derzeit um: dass Terroristen mit schwach radioaktivem Material eine so genannte schmutzige Bombe basteln und sie in einer US-amerikanischen Großstadt zünden könnten. Seit am 8. Mai José Padilla verhaftet worden ist, der angeblich vorgehabt hat, mit einer solchen schmutzigen Bombe Washington zu kontaminieren, wächst der Druck auf die IAEA, die teilweise schon vor Jahren verschwundenen radioaktiven Materialien ausfindig zu machen.

»Es gibt jetzt ein neues IAEA-Aktionsprogramm, verschwundenes radioaktives Material in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wiederzufinden, und wir werden noch in diesem Jahr mit der Suche beginnen«, so Fleming gegenüber Jungle World. Die letzte derartige Bemühung endete erfolglos. Zwei Wochen lang suchte ein internationales Expertenteam der IAEA nach verschwundenen Nuklear-Batterien.

Verloren gegangene Strontium 90-Generatoren, von der sowjetischen Armee zur Energieerzeugung verwendet, wurden Ende letzten Jahres zwei georgischen Waldarbeitern zum Verhängnis. Die Arbeiter waren von den wärmenden Quellen so fasziniert, dass sie diese auch gleich in ihr Camp abtransportierten. Einer von ihnen liegt nun in einem Krankenhaus in Russland, einer in einer Spezialklinik in Frankreich. Ihr Zustand ist kritisch.

Zwar wurden die beiden Strontium 90-Generatoren im Februar dieses Jahres gefunden und konnten entsorgt werden, doch befinden sich auf dem Territorium Georgiens nach Auskunft der IAEA noch zahlreiche andere derartige Strahlungsquellen. Die nächste großangelegte Suchaktion der IAEA soll noch diesen September anlaufen.

Es sind schwach strahlende Materialien wie Strontium 90 oder Cäsium 137, die in der ehemaligen Sowjetunion recht freizügig verwendet wurden und leicht Terroristen in die Hände fallen könnten. »Wir haben Hinweise darauf, dass radioaktives Material in Tschetschenien verschwunden ist«, sagt Melissa Fleming. Da sind die Sorgen groß, dass auch al-Qaida-Terroristen davon profitieren könnten, die nach Angaben der Vereinigten Staaten in Tschetschenien eng mit einigen Rebellen-Gruppierungen kooperieren. Nach Angaben der russischen Behörden haben bereits 1996 tschetschenische Rebellen versucht, eine »schmutzige Bombe« mit Cäsium 137 in einem Moskauer Park zu zünden.

Aber nicht nur in den Gus-Staaten besteht nach Meinung der IAEA Anlass für Sorge: »Radioaktives Material für schmutzige Bomben kann in fast allen Ländern der Welt gefunden werden. Mehr als 100 Länder haben inadäquate Kontroll- oder Sicherheitsprogramme, um die Entwendung dieses Materials zu verhindern«, heißt es in einer Studie der IAEA. Auch die EU gehört dazu - europäische Unternehmen müssen jährlich rund 70 Fälle von verloren gegangenem radioaktivem Material melden.

Afrika scheint neuerdings ebenfalls im Fokus der Bemühungen der IAEA zu sein. So meldete die Organisation erst letzte Woche, dass auch radioaktives Material aus dem Kongo verschwunden ist. Konkret handelt es sich um einen Uran-Brennstab, der aus dem Forschungsreaktor des Regionalen Zentrums für Nuklearstudien entwendet wurde. Nach Informationen, die Jungle World aus Kreisen innerhalb der IAEA erhielt, könnte radioaktives Material auch in Namibia und Mocambique verschwunden sein. Melissa Fleming aber will das nicht bestätigen: »Wir haben dazu offiziell keine Informationen, ausschließen können wir es aber nicht.«

Manche Experten halten die Konzentration auf die Möglichkeit der Herstellung »schmutziger Bomben« für falsch. »Schmutzige Bomben sind keine Gefahr. Höchstens eine psychologische. Was die IAEA da betreibt, ist ein Ablenkungsmanöver von den wirklichen Gefahren und sehr populär in den Medien«, sagt etwa Steven Dolley, Chef des Nuclear Control Institute (NCI) in Washington. Denn nach Ansicht der Experten vom NCI sind Atombomben mit - seltener verwendetem - hoch radioaktivem Material wie Uran 235 oder Plutonium 239 eine ebenso leicht herzustellende Waffe, die aber wesentlich mehr Schaden anrichten könnte.

Eine konventionell gezündete Bombe mit radioaktivem Material wie Caesium 137 oder Kobalt 60 könnte zwar eine Stadt kontaminieren, unmittelbare tödliche Folgen für die Einwohner würden aber bei rascher medizinischer Behandlung nicht eintreten. »Die derzeitigen Bemühungen sind vor allem eine Beute für die Medien, und auch die US-Regierung tut viel, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass man sich nun auf die Suche nach möglichen Ingenieuren schmutziger Bomben machen muss«, so Dolley. Dabei heißt es etwa in einer neuen Studie des NCI zur Möglichkeit des Baus »echter« Atombomben: »Eine gut organisierte Terroristengruppe kann eine funktionsfähige Atombombe aus Plutonium oder Uran bauen, die eine Kilotonne Sprengkraft hat. Dieses Risiko muss ernst genommen werden angesichts der Bemühungen von al-Qaida, Nuklearmaterial und Know-how dazu zu erwerben.« Zum Vergleich: Die Atombombe, die im August 1945 auf Hiroshima abgeworfen worden war, hatte eine Sprengkraft von 12,5 Kilotonnen, rund 100 000 Menschen sind sofort gestorben.

Insgesamt würden nach Berechnungen der Wissenschafter etwa acht Kilogramm Plutonium 239 reichen, um eine Bombe von der Zerstörungskraft jener von Hiroshima zu bauen. Und spaltbares Material gibt es massenhaft. Nach Berechnungen des NCI verfügen zahllose Institutionen insgesamt über mehrere hunderttausend Tonnen an waffenfähigem Plutonium - etliches davon lagert auch in zivilen Einrichtungen. Vor allem hier müssten neue Sicherheitsmaßnahmen gegen potenziellen Nukleardiebstahl eingeführt werden, rügt das NCI.

Die Konzentration der IAEA auf verloren gegangenes schwach radioaktives Material dürfte daher nicht ausreichend sein. Auch die Fokussierung auf die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion als Quelle strahlender Materialien scheint eher den politischen Konzepten der US-amerikanischen Regierung zu folgen als einer realistischen Einschätzung der tatsächlichen Gefahren. Immerhin hat US-Präsident George W. Bush Russland aufgefordert, seine nuklearen Anlagen besser zu schützen. Der »Kampf gegen den Terror« lässt sich eben in Übersee leichter führen.

Dabei gehen auch US-Unternehmen nicht immer sorgsam mit Strahlungsquellen um. 1 500 Mal haben sie nach Angaben der IAEA seit 1996 den Verlust radioaktiven Materials melden müssen, erst die Hälfte davon ist wieder aufgetaucht. Inzwischen haben auch die US-amerikanischen Geheimdienste festgestellt, dass al-Qaida-Zellen in den USA bereits vor dem 11. September eifrig auf der Suche nach solchen Materialien waren. Die Reise nach Georgien, Kasachstan oder ein anderes Land der ehemaligen Sowjetunion werden sie sich angesichts des offenbar reichen Reservoirs in den USA selbst wohl gespart haben.