Fünf Jahre "Jungle World"

Es war ein Fehler

Die Gründung der Jungle World war ein Fehler, ein Fehler, für den ich mitverantwortlich bin. Liquidiert wurde damit ein einzigartiges Experiment, dem man aus heutiger Sicht mit Wehmut nachtrauert: Die junge Welt der Jahre 1994 bis 1997, eine wilde Mischung aus Kulturbolschewisten, Antideutschen und SED-Nostalgikern, also dem Besten, was die Linke im letzten Jahrzehnt zu bieten hatte.

Ein Dream Team: In der Antifa-Verteidigung die zuverlässigen Kämpen Leonore Dietrich, Regina Sommer, Ferdinand Muggenthaler, Bernd Verter und Wolf-Dieter Vogel; im Mittelfeld - mit wehender blonder Mähne wie einst Netzer- der Wortakrobat Stefan Ripplinger; Katja Leyrer, Elke Wittich und Beate Willms sorgten für den notwendigen feministischen Druck; Linksaußen wirbelte Bernd Beier, Rechtsaußen Werner Pirker, in der Mitte lauerte das enfant terrible Jürgen Kiontke, und als Joker auf der Bank saßen junge Wilde wie Friedrich Geiger und Richard Rother.

Ab und zu gaben Altstars wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann oder Robert Kurz Kabinettstückchen zum Besten. (Vermutlich habe ich die Besten vergessen - sorry, es waren einfach zu viele.)

Die gegenseitige Disziplinierung klappte weitgehend. Die einen sorgten dafür, dass Pirker sich beim Thema Israel zurückhalten musste, die anderen stoppten Elsässers Erörterungen über die Frauenfrage, und ein Minimum an grammatikalischem und stilistischem Konsens verhinderte, dass Poplinke und andere Analphabeten zum Zuge kamen.

Das ist freilich alles post festum gesprochen. Aus damaliger Sicht war es richtig, dass wir den Aufstand gewagt haben. Wir, die erdrückende Mehrheit der jungen Welt-Redaktion, waren im April 1997 mit dem Versuch des Geschäftsleiters Dietmar Koschmieder konfrontiert, unter Bruch der Kollektivität - eigentlich gehörte das Blatt uns allen - eigenmächtig die Chefredaktion neu zu bestimmen. Dagegen zu streiken war notwendig, und als das nichts half, war es erfolgversprechend, mit der Jungle World einen neuen Start zu wagen.

Doch selbst der Blinde kann heute erkennen: Es hat nicht geklappt. Hätten wir Koschmieders Eigenmächtigkeit zähneknirschend toleriert, wäre das Mischungsverhältnis in der Redaktion zwar verschlechtert, aber grosso modo erhalten worden. Durch die Gründung der Jungle World aber setzte ein verheerender Entmischungsprozess ein. Nun gibt es eine tägliche UZ auf der einen und eine wöchentliche taz auf der anderen Seite. Die junge Welt bekommt ihre Möllemänner nicht in den Griff, und die Jungle World Bush's Little Helpers nicht.

Immerhin hat die junge Welt vor zwei Jahren die schlimmsten Problemfälle abgestoßen, während die Jungle World ihre Bellizisten eifrig hätschelt und bisher nur Einen aus ihrem Herausgeberkeis ausgeschlossen hat, nämlich mich. (Aber keine Sorge, ich bin nicht nachtragend, und wenn ihr wenigstens den schlimmsten Kriegstreibern den Stecker rauszieht, soll euch alles vergeben und vergessen sein - so wie umgekehrt auch der jungen Welt. Alles andere wäre Kindergarten.)

Die Vertazung der Jungle World resultiert aus einer Verschmelzung poststrukturalistischer und beute-adornitischer Strömungen in Redaktion und Autorenschaft. Beide sind sich einig darin, dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur Political Correctness, keine Revolution, sondern nur Raveolution. Statt Diskussion gibt es Disko. Schreiben darf, wer entweder den postmodernen Jargon oder die universitäre Einschüchterungsprosa beherrscht, das Design bestimmt das Bewusstsein. Metadiskurse wie über Antiimperialismus und Israel-Solidarität ziehen die Bluffer und Blender an, die Fernfuchtler und WG-Strategen, die nichts untersucht haben, aber mitreden wollen.

Demgegenüber wäre nichts so notwendig wie eine neue Sachlichkeit. Fürs Zeitungsmachen bedeutet das: Erstens: Im Allgemeinen gilt das Primat der Fakten über die Meinungen. Zweitens: Im Politikteil gilt das Primat der Ökonomie. Drittens: Im Kulturteil gilt das Primat der Politik. Viertens: Junk Word und lustige Überschriften sind verboten.

Jürgen Elsässer ist konkret-Redakteur und Buchautor. Im Mai erschien »Deutschland führt Krieg. Seit dem 11. September wird zurückgeschossen« (Verlag KVV Konkret)