Spanisch-marokkanischer Konflikt

Petersilie für alle

Es ging um das Vaterland. Um die Ehre. Spaniens Kriegsflotte lief aus. Die Armee war in höchster Alarmbereitschaft. Die Regierungen der Nato-Partner fürchteten bereits den Bündnisfall. Elitetruppen machten sich einsatzbereit. Ihr Ziel: die Rückeroberung eines bedeutenden Stücks spanischen Territoriums. Einer Insel namens Perejil - Spanisch für Petersilie. Statt Insel könnte man auch Felsen sagen. Ein ziemlich kleiner Felsen sogar. Mit ein paar Ziegen drauf, sonst nichts.

Doch plötzlich wehte eine Fahne auf dem Felsen, die marokkanische. Sechs Soldaten hatten das mickrige Eiland vor der Nordküste Afrikas eingenommen. Und ganz Spanien war entsetzt. Freilich, es ging nicht um den Felsen namens Petersilie, nicht um die Ziegen, nicht um die marokkanische Fahne und auch nicht um die kleine Hütte, die Marokkos Soldaten auf der öden Insel errichtet hatten.

Mehr als ums Vaterland noch ging es ums Prinzip. Um das Prinzip der Festung Europa: Will ein Marokkaner spanischen Boden betreten, muss er vorher fragen, Anträge stellen, Dokumente vorlegen und dann auf sein Abweisung warten. Tut er das nicht, erwartet ihn das Schicksal des halben Dutzends marokkanischer Soldaten auf dem Petersilien-Eiland. Sie wurden von spanischen Truppen überwältigt, wegen illegaler Einwanderung festgenommen und abgeschoben.

Die kleine Insel sei nicht mal den Treibstoff der Kriegsschiffe wert, unkten einige. Mehrheitlich rief die spanische Öffentlichkeit: Olé! Denn was Marokkos König Mohammed VI. weiß, das weiß die ehemalige Kolonialmacht längst: dass Außenpolitik manchmal nicht mehr ist als Innenpolitik mit anderen Mitteln.

Das Ansehen des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar hatte seit Jahresbeginn arg gelitten. Während der spanischen EU-Präsidentschaft erreichte man nichts, die Gewerkschaften bliesen im Juni zum Generalstreik und eine willkürliche Regierungsumbildung erweckte Anfang Juli auch nicht gerade Vertrauen. Ein äußerer Feind nützt da ungemein.

Und Marokko ist immer für ein diplomatisches Scharmützel gut. Bereits im Oktober hatte die frühere spanische Kolonie ihren Botschafter aus Madrid ohne Begründung abgezogen, um dem Königreich auf der europäischen Seite die Zähne zu zeigen und damit von sozialen Problemen in Marokko abzulenken. Nach der Einnahme der Insel bekräftigte die Regierung in Rabat sogleich ihren Anspruch auf Ceuta und Melilla, zwei spanische Städte auf dem marokkanischen Festland, Überbleibsel der Kolonialzeit.

Statt eines Krieges will Madrid nun einen Kompromiss. Spaniens Felsen hin, Marokkos Anspruch her, Petersilie soll für alle da sein. Allerdings nicht ohne Bedingung: Marokko soll gemeinsam mit Spanien die EU-Außengrenze gegen Migration und Schmuggel sichern. Nicht Spaniens Urlaubsstrände sollen zum Festungswall der Europäischen Union werden, sondern die marokkanischen Küsten.

Allerdings sind Arbeitsmigration und Schmuggel für Marokko längst die wichtigsten Einnahmequellen geworden. Und auf Geld verzichtet man bekanntlich nicht so schnell. Zumindest nicht so schnell wie auf Felsen, Petersilie und ein paar Ziegen.