Griechenland nach dem Schlag gegen den 17. November

Keine Träne wert

Nun sitzen sie also im Knast, die Mitglieder der dienstältesten Stadtguerilla Europas. Sie plaudern, gestehen, bereuen und belasten sich gegenseitig. Politiker, Diplomaten und Manager in Athen können ruhiger schlafen: Der legendäre 17. November ist zerschlagen.

»Wurde ja auch Zeit«, dürfte man in Washington gesagt haben. Die USA hatten in den letzten Jahren den Druck auf Athen erhöht, das Terrorismusproblem zu lösen. Schließlich richteten sich die meisten Anschläge des 17. November gegen US-Bürger und -Einrichtungen.

In der griechischen Bevölkerung gab es einen weitreichenden stillen Konsens darüber, es sei schon irgendwie okay, US-Interessen anzugreifen. Dieser Antiamerikanismus reicht von links bis rechts, und bis Mitte der neunziger Jahre fand er sich auch in der Propaganda der sozialdemokratischen Pasok.

Die EU hatte sich dieser Kritik angeschlossen und auf eine Umstrukturierung der griechischen Polizei gedrängt. So sind seit dem Mord an Stephen Saunders offiziell britische Antiterrorexperten vor Ort, die bei der Fahndung nach den Mitgliedern des 17. November mitwirken. Beamte des deutschen BGS wiederum helfen bei der Sicherung der Grenzen gegen Flüchtlinge.

Wegen des anhaltenden Misserfolgs der Ermittlungsbehörden und der großen Erwartungen kam es in den neunziger Jahren mehrfach zu spektakulären Prozessen gegen anarchistische Aktivisten, die ersatzweise zu Top-Terroristen stilisiert wurden. Jorgos Balafas erhielt im ersten Urteil 15 Jahre Haft, nachdem die USA gedroht hatten, eine »negative Reiseempfehlung« für die westliche Ägäis auszusprechen. Allerdings erhielten viele dieser Angeklagten in den Revisionsprozessen mit der Stimmenmehrheit der Schöffen gegen die Berufsrichter Freisprüche oder mildere Strafen.

Vor sechs Monaten wurde, nachdem jahrelang alle Anläufe gescheitert waren, ein Anti-Terror-Gesetez geschaffen. Darin werden unter anderem die Schöffengerichte durch Staatsschutzsenate ersetzt. Diese neue Rechtslage, der auch in Griechenland verschärfte Sicherheitsdiskurs, der Wegfall des so genannten ernsten Terrorismus, der mit einem Nachlassen der kritischen Öffentlichkeit einhergeht - all das könnte sich bald für die radikale Opposition zum ernsten Problem entwickeln.

Vor allem für jene Teile der anarchistischen Bewegung, die in inhaltlicher Abgrenzung zum 17. November militante Aktionen durchführen und eher auf den Zuspruch der Bevölkerung hoffen können. Auch einige Demonstranten gegen den EU-Gipfel in Thessaloniki im Juli 2003 können sich darauf gefasst machen, als Terroristen kriminalisiert zu werden.

Der griechische Staat hat sich für die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Anfang 2003 und für die Olympischen Spiele im folgenden Jahr gerüstet. Gerade noch rechtzeitig, war Athen doch in der Vergangenheit damit gedroht worden, wegen der terroristischen Bedrohung die Olympiade zu verlegen.

Griechenland will seine schon heute herausragende Position in der Region als wirtschaftlich starkes Land und einziges EU-Mitglied weiter ausbauen. Seit dem Antritt der Pasok-Regierung unter Kostas Simitis wird der Weg zur Regionalmacht beschritten. Thessaloniki wird zur Balkanmetropole ausgebaut, ein Ausgleich mit der Türkei wird gesucht und alte Partnerschaften mit islamischen Ländern werden aufgefrischt. Um sich als regionaler Machtfaktor zu etablieren, ist Ruhe im eigenen Land nötig.

Der politische Nachruf auf den 17. November aber ist schnell geschrieben. Nicht wegen der erbärmlichen Vorstellung, die seine verhafteten Mitglieder scheinbar freiwillig abliefern, sondern wegen seiner Aktionen und seiner Ideologie gilt, dass eine solche Gruppe, die soziale Befreiung mit dem Morden für das Vaterland und für »nationale Interessen« verwechselt, in der radikalen Linken nichts verloren hat. Der 17. November hat es verpasst, selbst seine Auflösungserklärung zu verfassen. Jetzt wird er von außen aufgelöst. Schade ist es nicht.