Debatte um »Empire«

Multitude, rüste dich!

»Empire« leidet darunter, dass es keine Verbindung zwischen dem Terror des 11. September und der Kriegsmaschine herstellt.

Versinkt das Buch »Empire« von Antonio Negri und Michael Hardt, wenn die Rede auf die revolutionären Qualitäten der Multitude und auf das Gegen-Empire kommt, in einem Sumpf aus Immanenz-Kitsch, Pathos und schlechter Liebeslyrik?

Der Konstruktion des Buchs entsprechend, besteht zwischen beiden Begriffen kein Gleichgewicht. Das Empire ist wesentlich ausgearbeiteter als die Multitude. Anders gesagt, die Beschreibung dessen, was sich »unmittelbar vor unseren Augen materialisiert«, ist plastischer, empirisch konkreter und historisch präziser als die evozierten Möglichkeiten radikaler Veränderung. Dieses Gefälle ergibt sich nicht nur aus der Evidenz eines global existierenden Kapitalismus, sondern betrifft wesentlich die Begriffe und Bilder, mit denen in »Empire« hantiert wird.

Die eigentliche Erfindung von »Empire« ist der Begriff Empire. Die Überlegungen, die darunter von Negri/Hardt zusammengefasst werden, sind für sich gesehen nicht neu. Dass sie jedoch in dieser Form als Empire konzeptualisiert werden, hingegen schon. Auch wenn Negri/Hardt darauf insistieren, dass Marx von der Geschichte nicht widerlegt wurde und der Kommunismus eine Option bleibt, scheint ihr Bezug zu den »Tausend Plateaus« von Deleuze/Guattari für die aktuelle Situation weitreichender. Wenn in »Empire« explizit der Anspruch erhoben wird, die theoretischen Grenzen der »Tausend Plateaus« zu überwinden, lässt sich am Begriff der Kriegsmaschine zeigen, dass dies nicht ohne weiteres gelingt.

Die Kriegsmaschine taucht in »Tausend Plateaus« im Zusammenhang mit der Entstehung und der Funktionsweise von Staaten als Vereinnahmungsapparaten auf. Die weit reichenden Konsequenzen, die sich aus dieser Perspektive ergeben, werden von Negri/Hardt vollständig übernommen, jedoch nicht ohne eine entscheidende Akzentverschiebung vorzunehmen.

Anstatt sich auf die Kriegsmaschine zu konzentrieren, ist das Empire ganz und gar an der Multitude interessiert und es entwickelt eine immanente Perspektive des Kapitalismus, die aus den Widerständen gegen bestimmte Produktionsverhältnisse betrachtet wird (Sabotage, Migration, Streik). Dass die Kriegsmaschine in »Empire« rudimentär bleibt, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie das immanente Zusammenspiel von Produktion, Macht und Widerstand, nicht nur verkompliziert, sondern darüber hinaus auf ein Außen bezieht. Die Relation von Empire und Multitude stellt sich aus der Perspektive der Kriegsmaschine in einem anderen Licht dar, ohne dass das Konzept damit obsolet würde. Um diese anderen Färbungen geht es hier.

Die Theorie des Empire, also des Aufziehens einer neuen transnationalen, globalen Souveränität, die unmittelbar mit dem maschinellen Gefüge des kapitalistischen Weltmarkts korrespondiert und in einen postkolonialen Raum eingebettet ist, hat inzwischen radikal an Evidenz gewonnen. Dabei geht es nicht so sehr um die Verifikation jeder einzelnen These, sondern um die seltsame Korrelation zwischen dem Empire-Szenario und dem, was täglich massenmedial an Worten und Bildern gesendet wird. Ein Beispiel aus »Empire«: »Jeder imperiale Krieg ist ein Bürgerkrieg, eine Polizeiaktion, von Los Angeles und Grenada bis nach Mogadischu und Sarajewo. Und so verliert sich denn auch die einst strikte Aufgabentrennung zwischen äußerem und innerem Arm der Macht (zwischen Armee und Polizei, zwischen CIA und FBI) immer mehr im Vagen und Unbestimmten.«

Ist es nicht genau diese Unbestimmtheit, die das Bush-Regime nach dem 11. September mit 40 Milliarden Dollar in einem Superministerium für Heimatschutz zu konzentrieren versucht, um so der angeblich neuen Bedrohung Herr zu werden, ohne jedoch die Unbestimmtheit einfach in Souveränität überführen zu können? »Heute tun sich die Ideologen der Vereinigten Staaten unheimlich schwer, einen einzelnen, einheitlichen Feind zu benennen; stattdessen scheint es überall kleine und schwer bestimmbare Feinde zu geben. Das Ende der Krise der Moderne hat zu einer Ausbreitung kleiner und unbestimmter Krisen oder, wie wir sagen würden, zu einer Omni-Krise geführt.«

An diesem Punkt berührt sich die Darstellung von Negri/Hardt mit der Kriegsmaschine von Deleuze/Guattari. Das Empire koexistiert mit einem Außen, nicht als Gegenteil von Innen, sondern als eine andere Art, Räume zu besetzen. Deleuze/Guattari lokalisieren die Kriegsmaschine in ihren Ursprüngen bei den Nomaden der asiatischen Steppe (Dschingis Khan). Die Nomaden, anders als die Sesshaften, definieren sich nicht dadurch, dass sie Territorien einnehmen und zwischen ihnen herumziehen, sondern dass sie die Wüste (glatter Raum) nicht verlassen, indem sie auf der Stelle reisen.

Passend zu diesem Bestreben ist die Kriegsmaschine, anders als der Krieg, kein Instrument, um andere kulturelle Räume zu erobern oder den eigenen zu verteidigen, sondern eine reine Auflösungsbewegung, die sich in Zusammenstößen mit Staatsapparaten und imperialen Reichen herausgebildet und transformiert hat. Auf diesem Weg verbindet sich die Kriegsmaschine unter anderem mit dem Islam und wird vom Okzident mit dem Orient identifiziert: »Das ist die Religion als Bestandteil der Kriegsmaschine und die Idee des heiligen Krieges als Motor dieser Maschine. Der Prophet, der sich gegen die staatliche Person des Königs und die religiöse Person des Priesters stellt, schreibt die Bewegung vor, durch die eine Religion zur Kriegsmaschine wird oder auf die Seite einer solchen Maschine übergeht. Es ist häufig gesagt worden, dass der Islam und der Prophet Mohammed eine solche Umwandlung der Religion vollzogen und einen wirklichen Korpsgeist geschaffen haben (...) Eben darauf bezieht sich der Westen, um seine Antipathie gegenüber dem Islam zu rechtfertigen. Zumal die Kreuzzüge ein im eigentlichen Sinne christliches Abenteuer dieser Art waren.«

In diesen Sätzen aus »Tausend Plateaus« zeigt sich die gesamte Ambivalenz des Orientalismus. Heute kann jeder Reaktionär im Westen die Misogynie der Taliban als Kriegslegitimation anführen und gleichzeitig die Schuld für die NY-Attentate der Emanzipation in die Schuhe schieben. Die Aufmerksamkeit sollte jedoch auf die erstaunliche Nähe zwischen der Darstellung der Kriegsmaschine und der neuen Feindbestimmung nach dem 11.September gelenkt werden. In der Figur des Propheten lassen sich leicht die Selbststilisierung bin Ladens per Videoclip mit Turban und Kalaschnikow sowie seine Konstruktion als islamistischer Fundamentalist und Topterrorist durch den Westen, inklusive Bushs Rede vom »Kreuzzug gegen das Böse«, wieder erkennen.

Solche Vorgänge als pure Ideologie abzutun, ist zu wenig. Vielmehr mehren sich seit dem 11. September die Anzeichen dafür, dass Deleuze/Guattari mit ihrem Konzept richtig lagen. So betonen sie immer wieder, dass Krieg im staatlichen Sinne nicht das Ziel der Kriegsmaschine ist, jedoch in dem Maße dazu werden kann, wie sich die Logik der Staatsapparate universalisiert. Dabei wird die Kriegsmaschine in dem Maße zu reiner Destruktion, wie die Staaten selber eine Kriegsmaschine in Gang setzen, indem sie deren Methoden imitieren (molekulare Kriegsführung, Hightech-Guerilla, etc).

Deleuze/Guattari geben dieser Dynamik einen eigenen Spin: »Es scheint indessen schwierig zu sein, die Kriegsmaschine bei der allgemeinen 'Behandlung' von Minderheiten einzusetzen, ohne einen absoluten Krieg auszulösen, den sie gerade verhindern soll. Auch hat man gesehen, dass die Kriegsmaschine quantitative und qualitative Prozesse von Verkleinerung und Anpassung in Gang setzt, die es ihr ermöglichen, ihre Attacken oder Gegenschläge je nach Art des 'beliebigen Feindes' (Individuum, Gruppe, Völker, Nationen ...) abzustufen. Aber unter diesen Bedingungen produziert und reproduziert die kapitalistische Axiomatik unaufhörlich das, was ihre Kriegsmaschine zu beseitigen versucht.«

In diesem Sinne kann man sagen, dass sich mit dem Empire zwangsläufig auch eine omnipräsente Kriegsmaschine »vor unseren Augen materialisiert« und dass das erhebliche Probleme für die Multitude mit sich bringt. Sie materialisiert sich nämlich nicht so ohne weiteres vor unseren Augen und hier wird das Verhältnis von »Empire« zu »Tausend Plateaus« wieder interessant. Der Dualismus zwischen Multitude als politischem Subjekt und Akteur der Geschichte und Empire als globalem Kapitalismus, der kein Außen mehr kennt, ist am 11. September mitten in NY grundsätzlich in Fragestellt worden.

Als vor den Augen der Weltöffentlichkeit das WTC in sich zusammenbrach und aus allen Kanälen die Worte Terror und Krieg auf die Welt abgefeuert wurden, lag der Begriff Kriegsmaschine nahe. Das war weder das Empire oder CIA/FBI noch die Multitude oder die Mafia, sondern die Kriegsmaschine, von der in »Tausend Plateaus« die Rede ist. Als sich das allgemeine Rätselraten in der scheinbaren Gewissheit, dass es sich um bin Laden und sein Terror-Netzwerk handelt, beruhigte, war die zentrale Konfrontation ausgerufen: Zivilisation gegen Barbaren (Terroristen).

Schien in Genua die Multitude eine neue Qualität zu erreichen und sich vor unseren Augen unter den Knüppeln der Polizei wenigsten ein bisschen zu materialisieren, wurde dieses »zarte Pflänzchen« unter dem WTC mitbegraben. Dass Negri/Hardt in diesem Zusammenhang nirgendwo eine Linie vom Terror zur Kriegsmaschine gezogen haben, hat Gründe, die ins Zentrum der Konzeption von »Empire« reichen.

Zwar sieht Negri in »Tausend Plateaus« »die Renaissance eines historischen Materialismus, der auf der Höhe der Zeit ist. Er wartet nur, bewahrheitet, d.h. im Ereignis der Revolution vollbracht zu werden. Umso erstaunlicher, dass der so zentrale Begriffe der Kriegsmaschine umgangen wird, zumal ein Großteil des Begriffsapparats, wie etwa Re- und Deterritorialisierung, Immanenzplan etc. aus »Tausend Plateaus« in verwandelter Form in »Empire« wieder auftaucht. Warum also dieser blinde Fleck genau in dem Moment, wo sich die Kriegsmaschine als reine Zerstörung vor unseren Augen in dem Maße materialisiert, wie sich die Multitude als revolutionäres Subjekt scheinbar dematerialisiert?

Die Antwort liegt genau in dieser Verbindung. Negri stand der Kriegsmaschine als politischem Konzept schon immer skeptisch gegenüber, weil er wohl ahnte, dass es der fröhlichen Losung »Mit der Multitude zum Kommunismus« zwangsläufig in die Quere kommt. Die Tatsache, dass im Rahmen neuer Gesetze in den USA Terror, Drogenhandel und jede Art von Dissidenz ins selbe Feindschema passen, bestätigt diese Sorge.

In einem Interview, das Negri im Frühjahr 1990 für die erste Ausgabe von Futur antérieur mit Deleuze gemacht hat, gibt er diesem Unbehagen konkret Ausdruck: »Mir scheint, dass 'Tausend Plateaus', das ich als ein großes philosophisches Werk betrachte, auch ein Katalog ungelöster Fragen ist, vor allem im Bereich der politischen Philosophie. (...) Alles bleibt nicht nur immer offen, sondern wird auch immer wieder geöffnet, mit einem unerhörten theoretischen Willen und einer Gewalt, die an den Ton der Ketzerei erinnert. Ich habe nichts gegen eine solche Subversion, ganz im Gegenteil. Aber manchmal glaube ich eine tragische Note zu hören, da, wo man nicht weiß, wohin die Kriegsmaschine führt.«

Worauf ihm Deleuze antwortet: »Und schließlich eine dritte Richtung, die in der Suche danach besteht, welchen Status die Kriegsmaschinen besitzen, die sich überhaupt nicht durch den Krieg definieren, sondern durch eine bestimmte Weise, den Zeit-Raum zu besetzen, auszufüllen, oder neue Zeit-Räume zu erfinden: solche Kriegsmaschinen sind revolutionäre Bewegungen (man berücksichtigt zum Beispiel nicht genügend, dass die PLO einen Zeit-Raum in der arabischen Welt erfinden musste), aber auch künstlerische Bewegungen.« Die Nähe, die hier zwischen Befreiungsbewegungen und Kriegsmaschinen hergestellt wird, stellt sich natürlich aus heutiger Sicht anders dar; denn sie ist radikal durch den 11. September als Terror übercodiert und Bestandteil herrschender Ideologie geworden.

Darüber hinaus definiert sich die Kriegsmaschine über ein anderes Funktionieren, das Erfinden eines anderen Verhältnisses zu Raum und Zeit. Sie ist bewegungslos und unsichtbar, um sich dann schlagartig zu entladen (Sleeper). Sie unterläuft die molare Ethik des Staates, weil sie plötzlich von außen zuschlägt.

All das tut die Multitude nicht, denn sie ist, auch wenn sie Widerstand leistet und das Kapital permanent zwingt, die Produktionsverhältnisse umzustrukturieren, dennoch ein Teil des geschichtlichen Telos. Darum ist Deleuze im besagten Interview auch skeptisch, als ihm Negri sein Konzept eines »Kommunismus á venir« unterbreitet. So gesehen stellten die Attentäter in den Flugzeugen auf das WTC eine Kriegsmaschine par excellence dar. Eine Attacke aus dem Nichts, die nur eine totale Auflösung zum Ziel hat und die bindenden, durch Arbeit kristallisierten Kräfte des Staates als Selbstzweck pulverisiert.

Und diese faschistoide Variante bestimmt gerade die Spielregeln, auch die der Medien. Bis in die homophoben Witze von Harald Schmidt hinein (bin Laden hat so schöne Augen!) wurde allerorten die Kriegsmaschine exakt in den Kategorien beschworen, wie sie in »Tausend Plateaus« entfaltet werden: List, Clans, Frau werden, Tier werden, Nomaden, Wüsten, Waffen als Schmuck, blindwütige Affekte, High Society als Guerilla, Güte und Feigheit.

Im Versuch, der aufgezeichneten Katastrophe Herr zu werden und sie in den gesellschaftlichen Diskurs zu reintegrieren, öffnete sich dieser einem fremdartigen Terrain. Islamismus, Terrornetzwerke, bin Laden oder Afghanistan waren zwar auch schon vor dem 11. September ein Thema, aber sie wurden bis dahin nicht massenmedial zu einer Perspektive zusammengesetzt und erst recht nicht als oberstes Ziel einer globalen Sicherheitsdoktrin. In diesem Sinne kennt das sich materialisierende Empire sehr wohl ein Außen.

Denn auch wenn die Kriegsmaschine in ihrer aktuellen reaktionären Form unmittelbar mit dem Megavereinnahmungsapparat verschmilzt, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, markiert sie nicht nur den äußerst fragilen Rand der Souveränität des Empire, sondern schießt auch darüber hinaus. Sie bildet einen klandestinen Raum, eine permanente Unsicherheit inmitten der Imma-nenz von Empire und Multitude, die sich jederzeit als globaler Bürgerkrieg oder Terror entladen kann und enthält die ganze Logik von blindwütigen Attacken, Gegenschlägen und Niederlagen. Gleichzeitig aber besteht die Kriegsmaschine aus Fluchtlinien, die die Immanenz permanent offen halten. Es geht also um die gesamten, von der kapitalistischen Dynamik freigesetzten subjektiven und kollektiven Deterritorialisierungen der Moderne, die wiederum die postmodernen Fundamentalisten jeder Couleur auf den Plan rufen.

In dieser Konfrontation kehren sich die Ideen der Emanzipation völlig um. Die Multitude wird sich aus der Umklammerung der produktiven Dynamik des Empire nicht lösen können, ohne sich Aspekte der Kriegsmaschine anzueignen, auch auf die Gefahr hin, selbst als Terrorist behandelt zu werden.