Eine geplante Flussumlenkung in Spanien und ihre Folgen

Wenn die Flut kommt

Eine geplante Flussumlenkung wird Auswirkungen auf die einzelnen Regionen Spaniens haben. Der Kampf um den Ebro und das Wasser.

Große Landstriche Spaniens sind eine Wüste. Auf die Wasserknappheit und die Ausbeutung der Grundwasservorräte reagierte die Zentralregierung José María Aznars im Juli des vergangenen Jahres mit einem nationalen Wasserplan. Umstritten ist vor allem die Umlenkung eines Teil des Ebro nach Ost- und Südostspanien. Während sich die BäuerInnen im Süden eine Hilfe gegen die Dürre erhoffen, mit der sie ständig zu kämpfen haben, fürchten die BewohnerInnen des Flussdeltas um die Zukunft ihrer Region.

Kurz nach Castellón, in Richtung Valencia, säumen Orangenhaine beide Seiten der Eisenbahngleise, die sie dann mehrere hundert Kilometer weit in den Süden begleiten. Die Trockenheit nimmt in dieser Richtung zu. Zwischen Alicante und Murcia dominieren immer noch die Obstplantagen, aber man sieht auch karge Berge mit bizarren Formen, und die eine oder andere Kirche guckt hinter einem Felsen hervor.

Hierhin, wo es fast nie regnet, will die spanische Regierung ab 2008 gut die Hälfte des Wassers leiten, das sie dem Ebro entnehmen will. Es entspricht etwa dem 20fachen Volumen des Bodensees und, je nach Pegel, zwischen einem Zehntel und einem Zwölftel des Wassers, das der Ebro in der Nähe des Deltas führt.

So will die Regierung die städtische Versorgung sichern und den gestörten Wasserhaushalt Südostspaniens wieder ausgleichen. Ein Teil der dafür nötigen Infrastruktur besteht bereits, der noch fehlende soll mit Hilfe der EU errichtet werden. Das Großprojekt, das im Rahmen des nationalen Wasserplans im Juli 2001 vom spanischen Parlament verabschiedet wurde, soll 4,3 Milliarden Euro kosten.

Wenn man über die Brücke von Orihuela (Alicante) geht, kommt einem ein übler Kloakengestank entgegen. Eine braune Wasserlache, eingefasst von Teppichen grünlicher, undefinierbarer Substanzen, ist dort alles, was von dem Fluss Segura noch übrig ist, der seit über 1 000 Jahren den Gemüseanbau inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft ermöglichte. Aus diesem angeblichen Fluss holen auch heute noch die meisten der Kleinbauern ihr Wasser für die Felder.

»Uns bleibt ja nichts anderes übrig«, meint achselzuckend José Manuel Martínez, der dort Brokkoli, Tomaten und Artischocken für den Export anbaut. Das sauberere Wasser des Tajo-Segura-Kanals können sie nicht bezahlen, denn traditionell werden die Felder mehrmals im Jahr überschwemmt, wofür große Mengen Wasser benötigt werden. Hinzu kommt die ständige Unsicherheit, ob es überhaupt genügend Wasser geben wird.

Während Martínez die Regierungspläne begrüßt, sehen andere Bauern der Ankunft des Ebrowassers skeptischer entgegen. Manuel Carrera zweifelt daran, ob es ihnen zugute käme, da es mit Sicherheit nicht subventioniert werde. Auch der Bauer Antonio Mona ist pessimistisch: »Wenn wir nur wenig Wasser bekommen und dennoch ein Haufen Erde urbar gemacht wird, nützt es uns gar nichts.«

Damit spricht er eines der Hauptprobleme der Region an: die unkontrollierte Umwandlung von Trocken- in Bewässerungsland, die teilweise durch illegale Anzapfung von Brunnen bewerkstelligt wird. Rechtlich ist die Schaffung neuen Bewässerungslandes in den Empfängerregionen des Ebrowassers strikt untersagt. Doch die Realität ist eine andere.

Orangenplantagen säumen die Landstraße von Murcia nach Alicante. Einige Bäume sind schon groß und voller Früchte, andere wurden eben erst gepflanzt und sind kaum mehr als junge zerbrechliche Triebe mit fünf, sechs Blättern. Die Berge sind spärlich mit ein paar Sträuchern und gelben Blumen bewachsen. Doch selbst hier sieht man Planierraupen die Erde aufreißen und platt walzen.

Die Biologin Julia Martínez datiert den Beginn dieser für die Region so negativen Entwicklung auf die siebziger Jahre, nach dem Bau des Tajo-Segura-Kanals. Mit dem Angebot an frei verfügbarem Wasser sei auch die Nachfrage gestiegen: »Und jetzt, mit der Ankündigung der Umleitung Ebro-Segura, beobachten wir ein neues Wachstum des Bewässerungslandes, sogar innerhalb von Naturschutzgebieten.«

Ein Sprecher der Umweltschutzgruppe Ecologistas en Acción erklärt das mit dunklen Machenschaften in der Region: »Große Firmen legen ihr Schwarzgeld an, indem sie große Flächen von Trocken- in Bewässerungsland verwandeln und damit seinen Wert enorm steigern.«

Der Minister für Landwirtschaft, Wasser und Umweltschutz in Murcia, Antonio Cerdá, bestreitet die Vorwürfe. »Man kann neues Bewässerungsland innerhalb einer Zone anlegen, die als solche registriert ist, jedoch bis dato nicht begossen wird«, versucht er sich herauszureden. Und überhaupt sei das Wasser keinesfalls für neue Plantagen gedacht, sondern für die bereits bestehenden.

Die Ecologistas en Acción lehnen die Wasserumleitungspläne ab: »Letztlich ist so viel Land da, das sie urbar machen können, dass, egal wie viel Wasser kommt, das Bewässerungsland weiter wachsen wird«, schimpft ein Sprecher. Die einzige Möglichkeit, die ausgebeuteten Grundwasservorräte langsam wieder herzustellen, bestehe in einer prinzipiellen Reduzierung der Plantagen.

Große Aufregung rief unter den GegnerInnen der Ebroumlenkung auch eine Studie von Greenpeace vom April dieses Jahres hervor, nach der in den Regionen Valencia und Murcia 66 neue Golfplätze geplant sind. Man fürchtet, dass sie das eigentliche Ziel des umgelenkten Ebrowassers sein werden. Der Bauminister Valencias, José Antonio García, versicherte dagegen der Lokalzeitung La Verdad, in seiner Region solle der Rasen mit geklärtem Wasser begossen werden. Gleichzeitig aber verteidigte er den Bau von Golfplätzen als Quelle von Reichtum und Arbeitsplätzen.

Auch in Murcia wächst schließlich der Tourismus. Auf zwei der letzten unbebauten Flecken der Costa Blanca, in Marina de Cope und in Covaticas (Mazarrón), sollen auf 2 000 bzw. 800 Hektar Hotels und Apartments mit mindestens 20 000 Betten entstehen. Caballero spricht vom »größten Tourismuskomplex Europas«, und Firmen wittern bereits das große Geschäft. Doch Cerda bestreitet die Nutzung des Ebrowassers für derartige Projekte: »Für alles, was neu geschaffen wird, neue Hotels oder Golfplätze, wird entsalztes Wasser verwendet.«

Das geplante Flussprojekt geht auf Kosten zweier vom spanischen Staat traditionell schlecht behandelten Regionen: der Pyrenäen Aragons und des Ebrodeltas etwa 200 km südlich von Barcelona.

Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Menschen im Delta noch von Viehzucht, denn der hohe Salzgehalt der Erde ließ eine Bewirtschaftung nicht zu. Erst mit dem Bau der Kanäle wurde der Reisanbau möglich, der heute eine wichtige Einnahmequelle der Region darstellt. Wegen seiner einzigartigen Flora und Fauna steht sie unter Naturschutz. Die Menschen im Delta leben mehrere Monate im Jahr quasi im Wasser. Im April werden die Felder überschwemmt, und bis sich im Mai der Grünschleier der ersten Pflänzchen über das Wasser legt, sieht man hier nur Wasser und Himmel. Von einem Überfluss an Wasser, von dem die Zentralregierung gerne spricht, kann, sagen die BewohnerInnen, dennoch keine Rede sein. Im Gegenteil, auch ohne die Umleitung wäre die Zukunft ihrer Region gefährdet, und damit auch ihre eigene.

Die häufigere Nutzung des Ebro für die Landwirtschaft und der Bau zweier Staudämme im Unterlauf sind für die kontinuierliche Abnahme des Wasserstands während der letzten 30 Jahre und die fehlende Zufuhr von Sedimenten verantwortlich, aus denen sich das Delta über die Jahrtausende bildete. Als Folge davon sinkt der Fluss weiter ab und gefährdet die Stabilität der Küsten und die in ihrer Nähe liegenden Lagunen. Außerdem steigt das Salzwasser unterhalb des Deltas und gefährdet den Reisanbau.

Auch die FischerInnen sind Leidtragende des Projekts. In der Flussmündung sieht der Ebro noch riesig aus, doch nur 40 Kilometer flussaufwärts kann man sehen, wie niedrig der Wasserstand tatsächlich ist.

Sorgen macht den FischerInnen zweierlei: die Versandung der Ausfahrt und die Abnahme von Fischen und Muscheln. »Der Fluss führt kein Wasser«, meint die Fischerin María del Carmen Bartomeu, »die Schiffe laufen auf Grund, wenn sie aufs Meer wollen.« Das Problem ist nicht neu, verschärft sich jedoch mit der abnehmenden Strömung. »Die wenigen Sedimente, die der Ebro mitbringt, lässt er direkt vor der Mündung, da das Meer dort eine Art Barriere bildet«, erläutert Susanna Abella vom Bündnis zur Verteidigung des Ebro.

Mit dem Rückgang der Wassermenge des Ebro im Delta findet sich auch weniger in den Fischernetzen. »Das Süßwasser wirkt als Dünger auf das Meer«, schreibt der Biologe Carles Ibánez. Das Wasser der Reisfelder gelangt über den Ebro und die Kanäle an die Küste. »Indem es sich mit dem Salzwasser vermischt, lässt es das Plankton wachsen, die Basis allen Lebens im Meer.«

Die FischerInnen lehnen das Regierungsprojekt also ab: »Wir sind dagegen, aber völlig«, meint María del Carmen Bertomeu. Deswegen gingen sie bereits mehrfach auf die Straße. Auch sonst ist im ganzen Delta der Widerstand spürbar. In den Dörfern hängen an vielen Häusern Transparente oder Plakate. Die Menschen eint ein tiefes Misstrauen gegenüber den PolitikerInnen.

»Uns unterstützt niemand«, schimpft Ernesto Casanova, ein anderer Fischer. »Wenn die anderen Regionen Wasser wollen, sollen sie sich Stauseen bauen und das Regenwasser darin auffangen. Das Delta ist ruiniert. Es gibt weder Fische noch Muscheln. Hier wird es in 20 Jahren kein Leben mehr geben. Aber nein, sie wollen Golfplätze für Valencia und Almeria. Für die Reichen wollen sie das Wasser, nicht für uns.«

Für die Großdemonstration in Barcelona vor dem EU-Gipfel im März diesen Jahres mieteten die DeltabewohnerInnen 100 Busse. 150 weitere kamen aus Aragon. Etwa 400 000 Menschen zogen von der zentralen Universität zur Kathedrale.

Die zahlreiche Teilnahme der AragonesInnen kam dabei nicht von ungefähr. Sie gehören zu den erbittertsten GegnerInnen des Wasserprojektes. Obwohl der Ebro durch Aragon fließt, ist die Region einer der trockensten Flecken Europas. Bewässerungsland ist hier für viele Menschen das Synonym für Reichtum. Und so beanspruchen sie das Wasser des Ebro für sich selbst.

In Aragon, einer Region so groß wie Niedersachsen, leben nur 1,2 Millionen Menschen. »Die Bevölkerung ist emigriert, weil sie hier nichts hatte, wovon sie leben konnte«, erklärt die Bäuerin Julia Cañete aus Tauste, einem Ort, der 50 Kilometer westlich von Zaragoza liegt. Seit einigen Jahren hat ihr Schwiegersohn den Hof und 16 Hektar Felder übernommen, auf denen er Mais und Futterklee anbaut. Das Wasser dafür beziehen sie aus einem Stausee in den Pyrenäen. Doch in diesem Jahr herrscht Trockenheit und so besteht die Gefahr, dass sie die Maisernte verlieren.

Die Regierung Aragons beschloss bereits 1992 den Bau zweier großer Stauseen in den Pyrenäen und die Erweiterung eines dritten. So will sie 200 000 Hektar an neuem Bewässerungsland schaffen. Der nationale Wasserplan unterstützt den Bau. Nach Meinung von José Javier Gracia, der für eine Vereinigung spricht, die sich gegen große Staudamm- und Flussumleitungsprojekte wendet, geht die europäische Agrarpolitik völlig an der Realität vorbei. Auch übersteige die Kapazität der Seen die Menge des benötigten Wassers bei weitem. Gracia vermutet, dass das Wasser für den Süden gedacht ist, denn nur in den Übergangsjahreszeiten gibt es genügend Wasser, um ihn versorgen zu können.

Während viele in Aragon den Bau der Stauseen im Gebirge gutheißen, gibt es auch Proteste gegen alle hydraulischen Projekte. Für Cristina Monge, die Sprecherin des Bündnisses zur Verteidigung des Ebro in Zaragoza, bedeutet der Staudammbau, dass »alle Enwicklungschancen einer Region beschnitten werden«.

Der geplante Stausee von Biscarrués soll nun nicht nur den Canon überschwemmen. Auch das Dorf Erés ist bedroht. Seine Häuser sind aus braunem Stein gebaut, einige sind weiß gestrichen, an seinem Ausgang steht eine kleine Kirche. Von hier schaut man auf das gesamte Tal mit Weizenfeldern und vereinzelten Mandel- und Ölbäumen. All das verschwände unter den Fluten des Stausees.

Erfahrungen anderer Dörfer zeigen, wie fatal auch für die umliegenden Orte, deren Existenz nicht unmittelbar bedroht ist, der Staudammbau sein kann. Viele Menschen emigrierten, weil ihnen die Anbauflächen genommen wurden.

An der Notwendigkeit, mit Wasser künftig planvoller umzugehen, zweifelt in Spanien niemand. Man streitet vielmehr darüber, wie das geschehen soll. Während die Regierung die Umleitung und die Staudammprojekte für unverzichtbar hält, sprechen Umweltschutzgruppen, WissenschaftlerInnen und die Betroffenen von reiner Geschäftemacherei mit »pharaonischen Projekten«. In einem Kommuniqué, das Greenpeace-Madrid kürzlich veröffentlichte, heißt es: »Die Umleitung des Ebro in den Süden begünstigt direkt die Baufirmen, die für die großen Flächen an Bewässerungsland im spanischen Osten und für die großen Tourismuskomplexe zuständig sind.«

Nach der Bestätigung des nationalen Wasserplans im spanischen Parlament setzen die GegnerInnen einer Umleitung des Ebro ihre letzte Hoffnung auf Brüssel, wo die EU über die Finanzierung von 30 Prozent des Plans befinden muss. Derzeit erwartet die europäische Umweltkommission die Antwort der spanischen Regierung auf einen von ihr formulierten Fragenkatalog.

Sollte die EU den Wasserplan für nicht nachhaltig befinden und ihm die Gelder verweigern, dann wären Staudammprojekte und die Flussumlenkung vielleicht noch zu stoppen. Darauf hoffen die GegnerInnen trotz aller Gerüchte, die Bauaufträge seien schon erteilt und es gebe kein Zurück mehr.