Christian-Dietrich Schönwiese, Klimaforscher

»Andere Länder sind stärker betroffen«

Die Bilder sind dramatisch. Häuser stehen bis zum ersten Stock unter Wasser, ganze Stadtviertel müssen evakuiert werden. Derweil streiten die Experten über die Ursachen. Kündigen die Überschwemmungen eine von Menschen gemachte Klimakatastrophe an? Christian-Dietrich Schönwiese ist Professor für meteorologische Umweltforschung und Klimatologie an der Universität Frankfurt am Main.

Es ist jetzt viel die Rede von einer Jahrhundertflut. Ist das nur Sensationsberichterstattung?

Es ist schon sehr extrem, was die Leute da im wahrsten Sinne des Wortes ausbaden müssen. Der Begriff Jahrhundertflut ist sicher nicht übertrieben.

Sind die Schäden vor allem wegen der begradigten Flussläufe und der Bebauung vom Hochwasser gefährdeter Gebiete so extrem, oder bekommen wir einen Klimawandel zu spüren?

Um das beurteilen zu können, müssen wir vom Einzelereignis weg. Wenn man lange genug zurückgeht, dann findet man immer noch Schlimmeres. Das vermutlich Schlimmste war ein Hochwasser im Jahr 1342, das fast alle Brücken in Deutschland zerstört hat.

Für solche Extremereignisse kommen zwei Ursachen in Frage. Erstens die Frage der Bebauung und Bodenversiegelung in der Nähe von Flüssen und zweitens die Niederschläge. Ich würde sagen, jetzt sind die extremen Niederschläge die Hauptursache. Nachzuweisen, dass daran der Mensch schuld ist, ist allerdings sehr schwer.

Wie kann man denn von Menschen verursachte überhaupt von natürlicher Klimaveränderung unterscheiden? Schließlich steigt die Temperatur schon seit dem Ende der so genannten kleinen Eiszeit um 1850.

Wir haben in einer Studie herauszufinden versucht, in welchen Daten sich der Klimafaktor Mensch nachweisen lässt. Das Ergebnis war, dass wir beim Anstieg der Weltmitteltemperatur in den letzten 100 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen können, daran ist der Mensch zu 60 Prozent schuld. Aber je mehr wir zur regionalen Verteilung und ganz besonders wenn wir von der Temperatur zum Niederschlag übergehen, fällt eine solche Aussage immer schwerer.

Aber es wird doch von vielen Ihrer Kollegen behauptet, die Häufung extremer Ereignisse deute auf einen Klimawandel.

Das lässt sich nur zum Teil belegen. In Deutschland ist zum Beispiel die mittlere Temperatur in den letzten 100 Jahren um 0,9 Grad gestiegen. Das ist vor allem auf wärmere Winter zurückzuführen, und diese gehen mit erhöhten Niederschlägen einher. Die Zahl der extremen Monatsniederschläge hat um rund 30 Prozent zugenommen. Die sommerliche Erwärmung war begleitet von einem Niederschlagsrückgang. Aber in den letzten Jahren gibt es Hinweise, dass auch im Sommer die Niederschläge zunehmen und sich die Extremereignisse häufen. Bei der Frage, warum das so ist, tappen wir aber noch weitgehend im Dunkeln.

Das heißt, die Klimamodelle sind noch recht unzuverlässig. Vor einigen Jahren wurden ja noch die trockenen Sommer vorhergesagt.

Das ist richtig. Die Modelle zum anthropogenen, also von Menschen verursachten Treibhauseffekt sagen für Mitteleuropa wärmere nasse Winter und heißere trockene Sommer voraus. Aber die Modelle tun sich mit regionalen Aussagen und mit den Wolken sehr schwer, und Niederschläge gehen nun einmal mit Wolken einher. Ich fürchte, wir haben einen Trend zu trockenen Sommern, die von besonders heftigen Niederschlägen unterbrochen werden.

Wenn die Modelle noch so unzuverlässig sind, wie verlässlich sind dann die Handlungsanweisungen, die daraus abgeleitet werden?

Wir müssen damit leben, dass wir das Klima nicht exakt vorhersagen können und dass wir gerade beim Niederschlag Überraschungen wie jetzt erleben können. Das ändert nichts daran, dass bestimmte Temperaturdaten belegen, dass der Mensch das Klima ändert. Und diesen Einfluss sollten wir verringern, das bedeutet vor allem, den Ausstoß von Treibhausgasen - im Energiebereich, im Verkehr und bei den Waldrodungen - zu reduzieren.

In seinem umstrittenen Buch vertritt Björn Lomborg, der Leiter des dänischen Instituts für Umweltprüfung, die These, die Auswirkungen der anthropogenen Klimaveränderungen würden übertrieben. Es sei billiger, sich auf diese Klimaveränderungen und ihre Folgen einzustellen, als mit strengen Maßnahmen die Treibhausgase zu reduzieren. Was halten Sie davon?

Nicht viel. Die Kosten der Klimaänderungen lassen sich nur schwer berechnen. Und schon die Annahme ist falsch, die Klimatologen würden behaupten, sie wüssten, wie im Jahre 2100 die Temperaturen oder die Niederschlagsmenge sein werden, auch wenn das in der Öffentlichkeit manchmal anders wahrgenommen wird.

Letztlich führen wir ein Experiment mit unserem Klima durch, ein Experiment mit einem ungewissen Ausgang. Aber dass der Mensch im Industriezeitalter, zumindest was die Temperaturveränderungen betrifft, zum dominierenden Klimafaktor geworden ist, verglichen beispielsweise mit Sonnenaktivitäten und Vulkanismus, das ist für mich klar.

Reiche Gesellschaften wie die deutsche können sich auf Klimaveränderungen relativ gut einstellen und auf Unwetter reagieren. Aber in anderen Regionen sieht das anders aus.

Das ist richtig. Wenn wir beispielsweise an den Anstieg des Meeresspiegels denken, da liegen die Vorhersagen für die nächsten 100 Jahre zwischen zehn Zentimetern und einem Meter. Ein Meter wäre für die Malediven schon das Aus. Oder wenn wir an Bangladesh und andere tropische Staaten denken. Dort wird befürchtet, dass die Anzahl und die Intensität der Wirbelstürme zunimmt. Diese Länder sind viel stärker betroffen, und sie sind den Naturgewalten stärker ausgeliefert.

Allerdings erleben wir, dass bei uns jetzt Phänomene auftreten, die wir in diesem Ausmaß nicht für möglich gehalten hätten. Man hat immer in ferne Länder geschaut, jetzt sind wir selbst betroffen. Wir müssen damit rechnen, dass solche Extremereignisse häufiger und intensiver auftreten werden. Ganz sicher wissen wir es nicht. Es ist eine echte Risikoabschätzung.

Die Risikoabschätzung ist auch eine Sache der Versicherungen. Interessieren sie sich jetzt stärker für Ihre Forschungen?

Schon seit einiger Zeit. Die Versicherungen, besonders die Rückversicherer, stellen fest, dass die Schäden durch Überschwemmungen und Stürme gewaltig zunehmen. Die volkswirtschaftlichen Schäden durch witterungsbedingte Ereignisse wurden beispielsweise in den sechziger Jahren auf 70 Milliarden und in den Neunzigern auf über 650 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das kann man nicht alles dem Klima in die Schuhe schieben, es gibt mehr Wertekonzentrationen, die Leute werden unvorsichtiger, sie bauen in gefährdeten Gebieten. Aber auch wenn man das alles berücksichtigt, bleibt die Befürchtung: Da ist der Klimatrend beteiligt.

Sind die Versicherungen inzwischen auch Auftraggeber für die Klimaforschung?

Ja, wir haben für die Münchener Rückversicherung schon mal eine Studie durchgeführt. Aber die Versicherungen sammeln eigentlich eher die Erkenntnisse ein, die die Klimatologen auf den Tisch legen.

Trotz der dramatischen Lage kann sich die Klimaforschung doch über die öffentliche Aufmerksamkeit freuen.

In gewisser Weise schon. Mir soll es recht sein, wenn jetzt, auch mit Hilfe von falschen oder nicht ganz gesicherten Argumenten, der Weg in die richtige Richtung geht. Es mag etwas zynisch klingen, aber solche Katastrophen helfen dem Menschen, sich Gedanken zu machen, ob nicht doch selbst als Klimafaktor für das eine oder andere verantwortlich ist und ob wir da nicht etwas tun müssen.