Ausnahmezustand in Kolumbien

Demokratie der Spitzel

Die neue kolumbianische Regierung hat den Ausnahmezustand verhängt, die größte Guerilla, die Farc, trägt den Konflikt in die Städte.

Mit einem Paukenschlag hat der neue kolumbianische Präsident Alvaro Uribe Vélez seine Amtszeit begonnen. Nach lediglich fünf Tagen verhängte er am Montag vergangener Woche den Ausnahmezustand. Offiziell hat er damit den Frontalangriff auf die Gruppen der linken Guerilla und auf die Paramilitärs der extremen Rechten eröffnet. Zumindest letzteres kann bezweifelt werden, denn Uribe gilt weithin als Mann der Paramilitärs. (Jungle World, 24/02)

Mit dem Ausnahmezustand versucht Uribe, die letzte Welle aufständischer Attacken einzudämmen, die am Tag seiner Vereidigung - und ausgerechnet in der Umgebung des Präsidentenpalastes in Bogota -, 21 Tote und rund 70 Verletzte forderten. In der ersten Woche seiner Amtszeit gab es bereits mehr als 100 Tote.

Die Journalistin Salud Hernández schrieb in der konservativen spanischen Zeitung El Mundo, dass dieser Angriff auf das »Herz der demokratischen Institutionen, das Klopfen an den Präsidentensitz mit einem Mörser, die Bewohner der großen Städte, die es gewohnt sind, den Krieg im Fernsehen zu sehen, zittern lassen soll«.

Die Verhängung des Ausnahmezustands, der die Zustimmung des Obersten Gerichtshofs erfordert, ist vorgesehen bei einer »schweren Störung der öffentlichen Ordnung, die die institutionelle Stabilität, die Sicherheit des Staates oder das bürgerliche Zusammenleben gefährdet«, erklärte Innen- und Justizminister Fernando Londoño.

Uribes Vorgänger, Andrés Pastrana, lehnte vor einem Monat den Ausnahmezustand noch ab, nachdem die Farc angekündigt hatte, ihre Liste »militärischer Ziele« um die kürzlich gewählten Bürgermeister zu erweitern.

Die bewaffnete Organisation des sagenumwobenen Manuel Mirulanda alias Tirofijo (Sicherer Schuss) hat ihre kriegerische Strategie geändert und den bewaffneten Konflikt vom Land in die großen Städte getragen. Die Notstandsmaßnahmen, die der Präsident angekündigt hat, sind für 90 Tage vorgesehen; sie können mit Erlaubnis des Kongresses um 180 Tage verlängert werden. Verschiedene Bürgerrechte können damit eingeschränkt werden, etwa die Informationsfreiheit oder die Bewegungsfreiheit der Staatsbürger, möglich werden soll auch das Abhören von Handys ohne richterliche Genehmigung.

»Alles das ist 'erschütternd', denn es bezieht sich auf ein Vorkriegsklima oder zumindest auf einen militaristischen Staat, der versucht hat, sich uns als notwendig zu verkaufen, um Ordnung und Autorität wieder herzustellen«, erklärt Paloma Méndez, eine Kolumnistin der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador der Jungle World. »Aber das kann in einen Autoritarismus ausarten, unter dessen Konsequenzen wir in Lateinamerika schon viel gelitten haben.«

Als erste konkrete Maßnahme kündigte Präsident Uribe eine Vermögenssteuer an, die Finanzminister Roberto Junguito zufolge den Beitrag »der Reichsten zur demokratischen Sicherheit« darstellt. Der Staat wird 1,2 Prozent von denen kassieren, die über ein erklärtes Nettovermögen von umgerechnet 57 000 Dollar oder mehr verfügen; ab Oktober soll das Geld eingezogen werden. Schätzungen zufolge wird diese Maßnahme etwa 400 000 Kolumbianer treffen, etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung, und in diesem Jahr rund 800 Millionen Dollar einbringen, die vorrangig für die Streitkräfte bestimmt sind. Nach Aussage der Verteidigungsministerin Martha Lucía Ramírez wird dieser Posten dazu dienen, die Sicherheitskräfte mit 10 000 neuen Polizisten zu verstärken und zwei mobile Brigaden der Armee aus je 3 000 Soldaten zu bilden.

Der ambitionierte Plan der Aufstandsbekämpfung sieht auch vor, eine Million Zivilisten als Informanten der Geheimdienste anzuheuern. Der Abgeordnete Antonio Navaro Wolf, ehemaliger Leiter der Guerillagruppe M-19, befürchtet von der Einbeziehung ziviler Kreise in den Konflikt, dass »das Konfrontationsniveau ansteigen wird«.

Wahrscheinlich wird sich, wie der einflussreiche kolumbianische Kommentator Alejo Vargas der Jungle World erklärte, »die Situation nicht substanziell verändern. Die Vergrößerung der öffentlichen Sicherheitsorgane wird sich nicht vor Ablauf von etwa sechs Monaten konkretisieren.«

Die Einwände der Farc, die 1964 mit einer marxistisch-bolivarianischen Rhetorik entstanden ist, lassen wenig hoffen. In einem Kommuniqué, das von ihrer Nachrichtenagentur Anncol übermittelt wurde, stellt die Guerilla fest, dass die Entscheidung Uribes bedeutet, »mehr Öl ins Feuer« des bewaffneten Konflikts zu gießen. »Mit voller Kraft hat sich ein faschistischer Staat gebildet, der es der Oligarchie erlaubt, ohne die Unbequemlichkeiten der kolumbianischen Volksbewegung in ihren verschiedensten Ausdrucksformen weiter zu regieren.«

Nach Auffassung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten des linksgerichteten Polo Democrático, Luis Eduardo Garzón, gaben die letzten Aktionen der Guerilleros »der Regierung ein unumstößliches Argument, um den Ausnahmezustand zu verhängen«; im Übrigen warnt er vor der Möglichkeit einer »Hexenjagd« auf angebliche Unterstützer der Guerilleros. Denn Besorgnis erregend seien vor allem der »Mangel an Verantwortung und die Missbräuche, die von den Militärs und der Polizei begangen werden«, erklärt aus Washington Eric Olson von Amnesty international.

Das Land steht am Rande des Abgrunds. Der kriegerische Konflikt hat im letzten Jahrzehnt mehr als 40 000 Tote gekostet, und die ökonomischen Daten geben auch keinen Grund zum Optimismus. Auf dem Land liegt die Arbeitslosenrate bereits über 50 Prozent, das Wirtschaftswachstum wird nach Schätzungen aus Regierungskreisen zum Jahresende bei etwa 1,5 Prozent liegen, das Haushaltsdefizit bei sechs Prozent des Bruttosozialprodukts.

Die Kolumnistin Paloma Méndez versichert, dass »Kolumbien nicht so sehr einer 'weichen Diktatur' als einer 'Pluridiktatur' ähnelt: der Guerilla, der Paramilitärs und der Narcos. Da ist unser Drama. Es scheint, als gefiele uns diese Art von Gesellschaft. Dadurch gewinnt ein Kandidat, der auf sichere Weise eine andere Diktatur anbietet: eine der autoritären Demokratie, der Demokratie des Ausnahmezustands.«

»Offensichtlich setzt jeder Teil auf die militärische Abschreckung des Feindes, und das bringt sehr große Risiken mit sich, wenn der Konflikt eskaliert«, erklärt seinerseits der Politologe Alejo Vargas. »Aber es stimmt auch, dass die Guerilla bislang nicht im Ernst an Verhandlungen interessiert war, und man hat auch Zweifel, ob das Establishment Interesse an ernsthaften Verhandlungen hat. Unter diesen Umständen kommt es zum Krieg.« Und es ist sicher, dass der gegenwärtige Amts-träger erfüllt, was er versprach und wofür er die überwiegende Mehrheit in den Wahlen vom 26. Mai erhielt, bei denen er mit 53 Prozent weit vor seinem Hauptkonkurrenten Horacio Serpa lag - allerdings bei einer geringen Wahlbeteiligung von etwa 50 Prozent.

Die Vereinigten Staaten haben schließlich anerkannt, dass ihr angeblicher Kampf gegen die Drogen in dem traditionellen Kaffeeland direkt die aufständischen Organisationen einschließt; so zeigt der Plan Colombia sein wahres Gesicht. Die USA haben die neue Regierung unter Uribe nun autorisiert, die rund 80 von der Regierung Bush gelieferten Hubschrauber auch gegen die Guerilla einzusetzen. Zuguterletzt haben die USA nach Angaben ihres obersten Drogenbekämpfers vorgesehen, vermutlich im Oktober ihr Programm von Überwachungsflügen über Kolumbien und Peru wieder aufzunehmen. »Offensichtlich gibt es eine Besorgnis erregende Gefahr, und jedes Mal greift die US-Politik nicht nur in Kolumbien, sondern hauptsächlich im Andengebiet ein. Und zwar nicht nur auf ökonomischem Gebiet, sondern auch auf operativem«, präzisiert Alejo Vargas.