»Stars - Annäherungen an ein Phänomen«

Der Schweiß vom King

Vor 25 Jahren ist Elvis gestorben. Ein neuer Sammelband fragt nach den goldenen Regeln des Starwesens.

Am 16. August vor 25 Jahren ist Elvis Presley, auf dem Klo sitzend, in Graceland verstorben. Am 22. August dieses Jahres wird Leni Riefenstahl, weit über den ihr gemachten Vorwürfen stehend, 100 Jahre alt. Neben der Tatsache, dass sie ungefähr gleichzeitig Jubiläen feiern, eint beide, dass sie etwas mit dem Aufbau eines Herrschers zu tun gehabt haben.

Elvis war, wie Klaus Theweleit feststellt, gleich dreifacher King. King eines von Europa befreiten Amerikas, der »King of America« schlechthin und ganz direkt »King of Memphis, Tennessee«, seines Geburtsorts, von wo aus er im Graceland Palace regierte, »mit der«, so Theweleit, »gewährenden Gnade eines absoluten Herrschers«. Leni Riefenstahl dagegen war zwar nicht Herrscherin eines Reichs, tat jedoch ihr Mögliches, um einem anderen zur »Gnade eines absoluten Herrschers« zu verhelfen. Immerhin.

Was die beiden, Elvis Presley und Leni Riefenstahl, außerdem verbindet, ist die schlichte Tatsache, dass sie Stars sind. Das Leben und Schaffen beider erregt bis heute die Massen genauso wie die Intellektuellen. Bei beiden scheint jedes Bruchstück ihrer Biografie unendlich interessant zu sein, und es wird akribisch versucht, letzte offene Fragen (bei Elvis: Hat der CIA seinen Scheintod inszeniert?, bei Leni Riefenstahl: Hat sie mit dem Führer oder hat sie nicht?) endgültig zu klären.

Was jedoch macht den Star überhaupt zum Star? Mit dieser Frage beschäftigt sich der von Wolfgang Ullrich und Sabine Schirdewahn herausgegebene Sammelband »Stars - Annäherungen an ein Phänomen«. Wie in Deutschland üblich, ist auch ein dermaßen popkulturelles Gebiet wie das des Starwesens weniger ein Fall für autodidaktische Losschreiber mit dem Drang zur abgefahrenen These, als für Literaturwissenschaftler, die allein schon die Tatsache für abgefahren halten, dass sie sich plötzlich mal mit Madonna oder Lara Croft auseinandersetzen dürfen. Kurz: Jemanden, der auch nur ansatzweise so new journalism-mäßig wie etwa Julie Burchill das Starwesen seziert, sucht man hier vergebens. Dafür werden so crazy Typen wie Jacques Derrida oder Johann Wolfgang von Goethe nach ihrer Popstartauglichkeit abgeklappert,was zugegebenermaßen auch wieder seinen Reiz hat.

Elvis Presley sah bekanntlich umwerfend gut aus. Camille Paglia nannte ihn »Mann der Schönheit« und überreichte ihm neben den von Theweleit zuerkannten drei Staaten, über die der King herrschte, gleich noch einen vierten: seinen eigenen Körper, Elvis war der König seines eigenen königlichen Bodys.

Um die Inszenierung dieses Starkörpers geht es in »Stars« auch Juliane Vogel in ihrem Aufsatz »Himmelskörper und Schaumgeburt: Der Star erscheint«. Im klassischen Hollywood wurde Technik dazu eingesetzt, den Star zum Mythos zu erhöhen. In der Großaufnahme wird Marlene Dietrich zur Göttin, zur Venus, alle Tricks und Lichteffekte werden dazu eingesetzt, dass Marilyn Monroe oder Greta Garbo, die Göttinnen Hollywoods, stets glamourös wirken, erhaben, göttlich eben. Nach Transzendenz jedoch, das muss man schon sagen, strebte Elvis nie. Er war nie Gott, er war der King. Das war zwar in Frankreich zur Zeit des Absolutismus dasselbe, doch nicht in Graceland, zumindest nicht, solange Elvis lebte. Erst nach seinem Tod wurde er, wenn auch nicht Gott, so doch zumindest Jesus, wenn nicht gar sogar etwas größer als Jesus.

In Michaela Krützens Essay »Madonna ist Marilyn ist Marlene ist Evita ist Diana ist Mummy ist Cowgirl ist - Madonna« geht es ungefähr um das, was der Titel erahnen lässt: um das ständige Remodeling Madonnas, um das, was inzwischen in wirklich jeder Zeitschrift bereits nachzulesen war, wenngleich nicht mit Fußnoten versehen.

Auch Elvis hat sich natürlich immer wieder gehäutet. Anfangs war er der schüchterne Junge vom Land, der zum Gefallen seiner Lehrerinnen und seiner Mutti mit der Gitarre klampfte und dazu so herzzerreißend sang. Dann war er der Bürgerschreck, der in der Ed Sullivan-Show nur oberhalb der Hüfte gezeigt wurde, schließlich sollte sein dauerrotierendes »pelvis« einer hormonverwirrten Jugend nicht zugemutet werden. Dann kam »Love Me Tender« und Elvis wurde zum Schwiegermütterliebling, daraufhin der tote Elvis, weil plötzlich alle nur noch die Beatles hören wollten, und im letzten Viertel seines Lebens dann der Comeback-Elvis in Las Vegas, der Blaubeerkuchenvertilger und Drogenfresser, das fette Schwein, das dennoch mehr »King« denn je war.

In »Starkult als Verdoppelung: Doubles« von Wolfgang Ullrich und ein paar weiteren Aufsätzen des »Stars«-Sammelbandes wird eine kulturgeschichtliche bis psychopathologische Auseinandersetzung mit dem Fanwesen betrieben. Was treibt den Fan dazu, sich derart mit dem Objekt seiner Begierde zu identifizieren? Was hat es mit dem Doppelgängermotiv aus der Romantik auf sich? Warum will man selbst überhaupt Star sein, wenigstens die berühmten 15 Minuten lang?

Bei Elvis hat der Starkult bekanntlich die bizarrsten Blüten getrieben. Graceland ist eine gut frequentierte Pilgerstätte, zum Todestag des Kings wurde sie jedoch wahrlich überschwemmt. Elvis lebt, er lebt nicht nur fort in den unzähligen Doubles, die sich immer wieder bei Look-Alike-Contests lächerlich machen, sondern überall und dauernd und in allen Formen. »Elvis-Statue auf dem Mars entdeckt«, titelte am 20. September 1988 die Sun, und man kann sich sogar »Originalschweiß« vom King besorgen, »Elvis hat für euch seine Seele vergossen, und jetzt könnt ihr seine Transpiration zu eurer Inspiration werden lassen«, so wurden Glückwunschkarten mit Plastik-Ampullen von der Firma Maiden Jest beworben.

Der extremste Auswuchs der Starobsession ist das Stalker-Phänomen. Stalker sind Typen, meist Männer, wie Jens Hoffmann in seinem Aufsatz »Star-Stalker: Prominente als Objekt der Obession« feststellt, die ihr ganzes Leben darauf ausrichten, auf irgendeine Weise ihrem Helden näher zu kommen, wobei oft extremes sexuelles Interesse ein Antrieb für ihr Verhalten ist. Ein berühmt gewordener Stalker war Mark Chapman, der Mörder von John Lennon. Er war immer ein wahnsinniger Fan Lennons, der sich aber irgendwann von seinem Helden verraten fühlte. Wegen dem Ende der Beatles, wegen Yoko Ono und all dem. Als »irgendeinen dahergelaufenen Spinner« klassifizierte George Harrison Chapman, »wäre John von Elvis umgebracht worden, dann hätte die Sache wenigstens einen Sinn gehabt!« Und das, obwohl sich der King und die Beatles eigentlich immer prächtig verstanden.

Wolfgang Ullrich/Sabine Schirdewahn (Hg.): Stars - Annäherungen an ein Phänomen. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 2002. 305 Seiten, 15,90 Euro