Ost-Erweiterung der EU

Gelehriger Nachwuchs

Die östlichen Beitrittskandidaten errichten zur Abwehr von Flüchtlingen einen zweiten Sicherheitsgürtel um die Europäische Union.

Mit der Ost-Erweiterung verschieben sich die Außengrenzen der EU. Dort, wo sie einmal verlaufen werden, an der Grenze zu Weißrussland oder zur Ukraine, wird deshalb aufgerüstet. Die Länder, die der EU im Jahr 2004 beitreten wollen, müssen ähnlich undurchlässige Grenzen errichten, wie es Deutschland oder Österreich gegenüber Polen oder Tschechien getan haben. Wenn dieser Prozess beendet ist, wird die EU neben dem vorhandenen Ring, der für weitere sieben Jahre bestehen bleiben soll, über einen zweiten verfügen, der weiter im Osten liegt.

Polen hat als letzter Beitrittskandidat im Juli die Verhandlungen über das Kapitel 24, das die »Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres« regelt, abgeschlossen und wesentliche Elemente der westlichen Ausgrenzungspolitik übernommen. Innere Sicherheit und Grenzkontrollfragen bildeten die Kernpunkte der Verhandlungen. Polen musste sich verpflichten, seine Grenzen noch besser zu sichern, die Zahl der Grenzbeamten zu erhöhen und eine neue technische Ausstattung, etwa Hubschrauber, anzuschaffen.

Warum die Grenzabschottung nötig sei, erläuterte der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen Mitte Juli bei einem Besuch in Ungarn. Die Gemeinschaft brauche die »Hilfe der Beitrittskandidaten« im »Kampf gegen Terror, organisiertes Verbrechen und illegale Einwanderung«. Bereits 1998 hatte der EU-Rat die Beitrittsländer dazu verpflichtet, »den Besitzstand der EU zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung in ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Praktiken zu übernehmen«. Dazu gehört insbesondere der Ausbau des Grenzschutzes. Aus den Kassen in Brüssel sind dafür schon 340 Millionen Euro in die Kandidatenländer überwiesen worden.

Zuletzt war es Österreich, das sich bemühte, die Abschottungspolitik der östlichen EU-Nachbarn anzuschieben. Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) konferierte vom 25. bis 27. Juli mit seinen Kollegen aus Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien.

Die Innenminister der Kandidatenländer berichteten während des Treffens von den Fortschritten, die sie auf dem Gebiet der Grenzsicherung in den letzten Jahren gemacht haben. Krzyszof Janik aus Polen erklärte, sein Land sei damit beschäftigt, systematisch einen gut ausgebildeten und ausgerüsteten Grenzschutz aufzubauen. An den Grenzen nach Russland, Weißrussland und zur Ukraine würden jetzt im Abstand von je 20 Kilometern Kontrollposten zur Überwachung der »grünen Grenze« aufgestellt.

Außerdem will Warschau in einem Jahr die Visumpflicht für Staatsangehörige Weißrusslands und der Ukraine einführen. Dadurch wird der grenzüberschreitende Kleinhandel, von dem in den östlichen Regionen Polens viele Menschen wirtschaftlich abhängig sind, beträchtlich erschwert. Mit Deutschland hat Polen im Februar bereits ein Abkommen über die Zusammenarbeit der Polizei- und Grenzschutzbehörden unterzeichnet. Es sieht unter anderem einen verbesserten Informationsaustausch sowie gemeinsame Fahndungsaktionen und Dienststellen vor.

Die ungarische Innenministerin Monika Lamperth präsentierte ähnliche Erfolge ihrer Regierung im Kampf gegen illegale Einwanderer. Schon im nächsten Jahr will Ungarn bereit sein, dem Schengener Abkommen beizutreten, das den Abbau der Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten, vor allem aber den Ausbau der Außengrenzen, regelt. Mit Hilfe des »Schengener Informationssystems« sollen dann die Daten von Flüchtlingen und Asylbewerbern auch innerhalb der erweiterten EU gesammelt und unter den Staaten ausgetauscht werden.

Am Ende des Treffens in Österreich verabschiedeten die Innenminister noch eine gemeinsame Erklärung über die weitere Zusammenarbeit beim »Bordermanagement«. Ein »strategischer Datenaustausch« über Asyl- und Migrationsbewegungen ist ebenso vorgesehen wie die Einrichtung von Kontaktstellen für Grenzschutzfragen und der »Austausch von Personal zwischen den Grenzkontrollstellen«. Außerdem soll ein gemeinsamer Lehrplan für die Aus- und Fortbildung der Beamten erarbeitet werden. Eine wichtige Rolle wird dabei die Mitteleuropäische Polizeiakademie in Wien und Budapest spielen. Dort werden seit zehn Jahren Ausbildungsprogramme, wie beispielsweise ein jährlicher »Spezialkurs für die Grenzpolizei«, durchgeführt.

Die Innenpolitiker der EU dürften mit der Übernahme der Abschottungspolitik durch die östlichen Nachbarländer zufrieden sein. Dort finden inzwischen Debatten um »Asylmissbrauch« und »Illegale« statt, die an jene in der EU erinnern. Ökonomisch nicht erwünschte Einwanderer werden in der öffentlichen Diskussion vor allem als Sicherheitsrisiken betrachtet. So forderte der slowakische Innenminister Ivan Simko härtere Asylbestimmungen für sein Land, da Terroristen »als Asylanten getarnt« nach Europa einsickern könnten.

Diese Einschätzung wird von der Bevölkerung offenbar geteilt. Als die Slowakei im Oktober des vergangenen Jahres ein neues Flüchtlingslager in Rohovce eröffnete, kam es zu öffentlichen Protesten gegen die Aufnahme von Asylsuchenden. »Die Menschen fürchten sich vor Fremden, Kriminalität und Krankheiten«, kommentierte damals ein slowakischer Radiosender.

In Ungarn stieß im gleichen Monat die Planung eines Wohnheims für 1 000 afghanische Flüchtlinge auf Widerstand. Der Bürgermeister des Ortes Kalocsa bezeichnete die Asylsuchenden als »Sicherheitsrisiko« und verwies auf die »feindselige Haltung der Einwohner gegenüber Ausländern und insbesondere gegenüber Afghanen«. Die Regierung reagierte, indem sie nur 500 Flüchtlinge, die aus dem ehemaligen Jugoslawien kamen, in Kalocsa unterbrachte.

Die Ankunft von Flüchtlingen in den östlichen Nachbarländern der EU ist eine Neuigkeit der vergangenen Jahre. Bisher waren diese Staaten vor allem als Auswanderungsländer bekannt. Mehr als zehn Millionen Menschen emigrierten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus dem ehemaligen Ostblock. Nun stellten, nach einem Bericht des UNHCR, allein in der Slowakei über 8 100 Flüchtlinge aus aller Welt im vergangenen Jahr einen Asylantrag, sechs Jahre zuvor waren es nur 360. Ungarn registrierte im gleichen Zeitraum einen Ansieg der Asylbewerberzahlen von 590 auf 9 550 und Tschechien von 1 410 auf 18 090.

Trotz der bis heute geringen Zahlen an Asylanträgen betrieben die Beitrittsstaaten schon früh eine restriktive Flüchtlingspolitik. Bereits 1995 führte Polen die Abschiebehaft gesetzlich ein. Drei Jahre später folgte die so genannte Drittstaatenregelung, mit der Polen seine östlichen Nachbarländer verpflichtete, Flüchtlinge, die durch ihr Gebiet einreisen, ohne Einzalfallprüfung zurückzunehmen. Die deutsche Regierung finanzierte zahlreiche Abschottungsmaßnahmen Warschaus als Gegenleistung für das Versprechen der polnischen Regierung, jährlich bis 10 000 illegal über Polen nach Deutschland eingereiste Flüchtlinge aufzunehmen.

Auch Tschechien verabschiedete vor drei Jahren strengere Gesetze und erkannte nur noch 0,5 Prozent der eingehenden Asylanträge an. Ungarn orientierte seine Asylgesetzgebung, wie zuletzt im vergangenen Jahr, ebenfalls an Richtlinien der EU. Selbst in Ländern, die 2004 noch nicht mit einem Beitritt rechnen können, hat sich herumgesprochen, dass die Flüchtlingsabwehr ein wichtiges Kriterium ist. So beabsichtigt Rumänien, mit finanzieller Hilfe der EU, 50 Millionen Euro in seine Grenzsicherung zu investieren. Die Türkei will vor allem Schlepper härter bestrafen.

Nicht nur in den alten, sondern auch in den künftigen EU-Staaten hat sich eine rasante Dynamik der Flüchtlingsabwehr entwickelt. Reichlich hilflos wirkt es da, wenn der EU-Kommissar für Innen- und Justizpolitik, Antonio Vitorino, anmerkt, die europäische Asylpolitik solle sich an demokratischen Prinzipien und an den Menschenrechten orientieren.