Israelisch-palästinensischer Konflikt

Gemeinsam in die Pleite

Palästinensische Nationalisten bemühen sich um Deeskalation, denn wegen der katastrophalen sozialen Lage wächst die Unzufriedenheit. Doch auch die israelische Wirtschaft gerät durch die Militarisierung des Konflikts in eine Krise.

Den Anfang machten Intellektuelle und gemäßigte nationalistische Politiker. Nun aber distanzieren sich auch palästinensische Milizenführer von Selbstmordattentaten. »Es ist nicht Teil der Fatah-Strategie, unschuldigen Menschen Leid zuzufügen und Angriffe in Israel durchzuführen«, erklärte Hussein al-Sheikh in der vergangenen Woche im Namen der Tanzim, des bewaffneten Arms der Fatah in der Westbank.

Für Daniel Pipes, einen renommierten konservativen Nahostexperten, ist der Fall klar. Die Palästinenser haben den Abnutzungskrieg gegen Israel verloren, schrieb er kürzlich in der New York Post. Der Terror habe weniger die Israelis demoralisiert, die enger zusammenstünden als je zuvor, als die Palästinenser selbst, die feststellen müssten, dass sie keines ihrer Ziele erreicht hätten. Die israelische Politik der »eisernen Faust« zeitige ihre Wirkung, immer mehr Palästinenser bekundeten offen ihre Unzufriedenheit und befürworteten Verhandlungen.

Zu Recht verweist Pipes auf die katastrophale ökonomische und soziale Lage in den Palästinensergebieten. Einem Bericht der John Hopkins Universität zufolge sind inzwischen über 21 Prozent aller palästinensischen Kinder akut unterernährt, die Arbeitslosenquote im Gazastreifen beträgt 80, in der Westbank über 50 Prozent. Die Mittelschichten sind verarmt, die Gehälter für die Angestellten der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) werden nicht mehr regelmäßig gezahlt.

Jüngst bekannt gewordene Versuche verschiedener palästinensischer Parteien, sich auf eine so genannte nationale Agenda zu einigen, sind für Pipes ein deutliches Anzeichen dieser Schwäche. Seit über einem Monat verhandeln Vertreter der Fatah mit den islamistischen Parteien Hamas und Jihad Islami einerseits und der PFLP und der DFLP andererseits.

Sie wollen ein gemeinsames Programm verabschieden, um ihrer Intifada neuen Auftrieb und zugleich eine verbindliche Richtung zu geben. Das aus zwölf Parteien bestehende Gremium ist bislang zu keinem tragfähigen Ergebnis gekommen. Während die Fatah die Selbstmordattentate in Israel einstellen will und erneut erklärt hat, sich auf die Schaffung eines Staates in den Grenzen von 1967 festlegen zu wollen, weigern sich die Hamas und der Jihad Islami, die Existenz des Staates Israel anzuerkennen und auf Terror innerhalb der Grünen Linie zu verzichten.

Die Europäer, aber auch die USA, setzen einige Hoffnungen auf die palästinensische Initiative. Doch für den israelischen Premierminister Ariel Sharon ist sie, wie sein Sprecher Raanan Dissin erklärte, nur ein öffentichkeitswirksamer Bluff. Einer Warnung des Inlandsgeheimdienstes Shin Beth zufolge bereiten mindestens 60 Selbstmordattentäter neue Anschläge in Israel vor. Und die Hamas wird es kaum tatenlos hinnehmen, dass am Mittwoch vergangener Woche israelische Soldaten ihren militärischen Führer in Jenin, Nasser Jerar, töteten. Ihm wurde die Planung mehrerer Attentate zur Last gelegt. Bei der Aktion benutzten israelische Soldaten einen 19jährigen als »lebendes Schutzschild«; der Jugendliche kam im Kugelhagel um. Dieses Vorgehen stieß nicht nur unter Palästinensern und in Europa, sondern auch in Israel auf heftige Kritik.

Zugleich aber lässt Sharon mit den Palästinensern verhandeln. Ein Treffen seines Vertrauten Dov Weisglas mit dem palästinensischen Finanzminister Salam Fayad zeigt, dass trotz aller anders lautenden Erklärungen Arafats PA der israelischen Regierung weiterhin als Gesprächspartner dient. Denn sollten die palästinensischen Parteien zu einer Einigung kommen, also die Hamas und der Jihad zustimmen, aus strategischen Gründen in nächster Zeit von Terroranschlägen in Israel Abstand zu nehmen, würden sie an einer neuen »nationalen Einheitsführung« beteiligt und folglich aufgewertet, während die israelische Regierung stattdessen ihre Zerschlagung fordert.

Sharon gerät auch von anderer Seite stärker unter Druck. Israel befindet sich in einer tiefen ökonomischen Rezession. Allein im zweiten Quartal dieses Jahres ist das Bruttosozialprodukt um weitere zwei Prozent kleiner geworden, die Arbeitslosigkeit wächst unaufhörlich. Erstmalig seit ihrem Amtsantritt sah sich die Regierung genötigt einzugestehen, dass es zwischen der ökonomischen Krise und dem Kampf gegen die Intifada einen ursächlichen Zusammenhang gibt.

Daniel Pipes' Analyse trifft de facto gleichermaßen auf die israelische Seite zu. Immer größere Teile der israelischen Bevölkerung, die in der alltäglichen Angst vor Terroranschlägen lebt, werden von der Krise betroffen. Anstatt ökonomische Konzepte vorzulegen, kürzt die Regierung das Sozialbudget weiter, um die steigenden Militärausgaben zu finanzieren. Finanzfachleute warnten Sharon in der vergangenen Woche, dass Israel kein weiteres Jahr mit schrumpfender Wirtschaftsleistung durchhalten könne. Umfragen zufolge verliert Sharon an Ansehen unter den Wählern. Im April unterstützen ihn noch 70 Prozent aller Befragten, jetzt sind es nur noch knapp 50 Prozent.

Gleichzeitig macht die Arbeitspartei wieder von sich reden, die bis dato eine paralysierte Existenz in der großen Koalition mit dem Likud führte. In der vergangenen Woche erklärte der Bürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, er wolle für den Vorsitz der Partei gegen den Verteidigungsminister Benyamin Ben-Eliezer kandidieren. Mitzna, der den »Tauben« in der Arbeitspartei zugerechnet wird, erklärte seine Bereitschaft, die Siedlungen im Austausch für Frieden zu räumen und auch Arafat als Verhandlungspartner anzuerkennen. Sharon sei gescheitert, eine Fortführung seiner Politik verspreche nicht Sicherheit, sondern eine weitere Verschlechterung der Lage.

Iman Uda, ein Vertreter des linken Hadash-Bündnisses in Haifa, einer Stadt mit einer bedeutenden arabischen Minderheit, attestierte Mitzna, er habe mehr für den arabischen Sektor der Stadt getan als alle seine Vorgänger und sei »frei von Rassismus«. Die israelischen Araber, aufgebracht von Vorschlägen, denjenigen von ihnen, denen eine Beteiligung an Selbstmordattentaten nachgewiesen werden kann, die israelische Staatsangehörigkeit zu entziehen, würden Mitzna möglicherweise unterstützen. Andere Schichten der Bevölkerung, die von Sharons neoliberalem Programm betroffen sind, könnten sich von Mitzna eine andere Sozial- und Wirtschaftspolitik erhoffen.

Noch aber sind die Wahlen weit entfernt, und die Angst vor den Folgen eines neuen Golfkrieges wird größer. In Tel Aviv werden erneut Gasmasken ausgegeben. Die israelische Regierung drohte zwar, im Fall eines biologischen oder chemischen Angriffs des Iraks auf Bevölkerungszentren mit Atombomben zu antworten, kündigte aber auch an, ihr Vorgehen im Falle eines Krieges mit den USA abzustimmen.

In Gaza fand bereits eine proirakische Demonstration statt, auf der unter anderem Transparente mit der Aufschrift zu sehen waren: »Lieber Saddam, bitte bombardiere Tel Aviv!« Für manche Abgeordnete der Knesset dürfte das ein Grund mehr gewesen sein, endgültig dem Bau eines Sicherheitszaunes zuzustimmen, der künftig die Westbank von Israel separieren soll.