Streit um die Wagenburg »Schwarzer Kanal«

Wagenburg in Bewegung

An der Spree in Friedrichshain und Kreuzberg werden Luxusquartiere hochgezogen. Die Wagenburg »Schwarzer Kanal« soll deswegen verschwinden.

Eines Morgens sind wir aufgestanden, und da stand plötzlich ein Bauschild: 'Hier entsteht ...', ein Betonklotz, würde ich sagen.« Ulrich weiß es noch genau: Das war Anfang Februar. Seitdem müssen die Bewohner der Wagenburg »Schwarzer Kanal« um ihr Projekt fürchten.

Seit zwölf Jahren gibt es die Wagenburg auf einem Uferstreifen der Spree direkt an der Schillingbrücke. Auf der gegenüberliegenden Seite steht der frisch umgebaute und renovierte Ostbahnhof. Hier verlief einst die Mauer zwischen Friedrichshain im Osten und Kreuzberg im Westen. Eine verlassene Gegend: leer stehende, alte Industrie- und Bürogebäude, ein still gelegtes Pumpwerk aus rotem Backstein.

Dazwischen, hinter einer Mauer, befindet sich der Schwarze Kanal. 20 Bau- und Zirkuswagen oder Lkws sind dort auf Dauer geparkt. Den Bewohnern geht es um ein kollektives Leben, um eine Alternative zur Anonymität in Mietwohnungen. Kinder aus der Umgebung schätzen die Wagenburg als interessanten Spielplatz. Berühmt ist die Toilette: eine umgebaute Telefonzelle, von Efeu umrankt, von der man eine gute Sicht auf den Platz hat. In der Mitte steht die Bühne. Einmal im Monat gibt es hier kostenlos Kultur: Theater, Konzerte, Dia- oder Filmvorführungen. Am besten besucht sind die Varietés. Bis 400 Gäste kommen zu den Vorstellungen, ein bunt gemischtes Publikum, teilweise aus der Queerszene. Immer wieder werden spontane Auftritte ins Programm integriert.

»Wir sind ein Kontrastprogramm zu dem ganzen Beton rundherum«, sagt Ulrich. Denn langsam bewegt sich der Berliner Bauboom auch nach Friedrichshain. Der gesamten Gegend zwischen der Jannowitz- und der Oberbaumbrücke steht eine enorme Umstrukturierung bevor. Es ist abzusehen, dass sie die Verdrängung einiger der jetzigen Bewohner in den beiden Stadtteilen, die zu den ärmsten in Berlin gehören, mit sich bringt.

So sind auf dem Gelände des alten Postbahnhofes, direkt neben dem Ostbahnhof, ein »StadtQuartier« mit »Freizeit- und Erlebniseinrichtungen« sowie zwei Hochhäuser geplant. Dahinter, entlang der EastSideGallery in Richtung der Warschauer Straße will die Sports und Entertainment Group eine große Mehrzweckhalle, ein Multiplex-Kino, ein Hotelhochhaus, Geschäfte und Büros bauen. Auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes, wo sich heute das Künstlerprojekt RAW-Tempel befindet, soll ein ganz neuer Stadtteil entstehen.

Auch westlich der Schillingbrücke sind an der Spree Hochhäuser für Hotels und Büros in Planung. Dass in »Oberbaumcity« jetzt schon viele Büros leer stehen, scheint die Stadtplaner nicht zu interessieren. Für einen besser fließenden Autoverkehr sollen zwei zusätzliche Brücken entstehen.

Schon jetzt zeigen einige Beispiele, wie es an diesem Teil der Spree einmal aussehen wird. In einen aufwendig renovierten Speicher an der Oberbaumbrücke ist das Musiklabel Universal Music eingezogen. Und gleich gegenüber der Wagenburg wurde bereits ein Ibis-Hotel hochgezogen.

Auf dem Gelände des Schwarzen Kanals will die Baufirma Hochtief ein großes Bürogebäude errichten. Hier soll die Bundeszentrale der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schon im Juli 2004 einziehen. Als die Wagenburgler von den Bauplänen erfuhren, wandten sie sich an den Gewerkschaftsrat. Man setzte sich zusammen mit Leuten von Verdi, dem Bauunternehmen Hochtief und der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.

»Verdi will keine schlechte Presse. Und wenn sie uns einfach räumen ließen, gäbe es eine Anfechtung. Das würde einige Zeit dauern, und die hat Verdi nicht«, sagt der Wagenbewohner Tobias Grun. Dennoch kamen die Verhandlungen nicht so recht voran. Die Wagenbewohner legten Verdi drei Vorschläge vor, wie sich ein Nebeneinander des Verdi-Gebäudes und der Wagenburg verwirklichen ließe. Denn am Ufer soll ein Grünstreifen erhalten bleiben, ein idealer Platz für den Schwarzen Kanal, argumentiert Grun. Doch Verdi lehnte die Pläne ab.

Immerhin hat Hochtief den Wagenbewohnern einen anderen Platz auf einem angrenzenden Gelände angeboten, der ebenfalls im Besitz des Bauunternehmens ist. Doch der Platz sei viel zu klein für die 20 Wagen, sagt Tobias. »Eine Bühne für unsere Varietés kann man da nicht aufstellen.« Zudem wäre die Nutzung auf zwei Jahre begrenzt.

Jetzt hofft man auf den Senat. Er bot dem Schwarzen Kanal einen Ausweichplatz in Köpenick an, zu weit draußen, um das Stammpublikum zu den kulturellen Veranstaltungen anzulocken. »Der Senat tut so, als handelte es sich um eine Privatveranstaltung. Wir sollten doch froh sein, überhaupt was angeboten zu bekommen«, beschreibt Tobias die Meinung des zuständigen Senatsbeauftragten Ralf Hirsch. Deshalb wurde der Senatsvertreter nach dem ersten Treffen am Runden Tisch zu den Verhandlungen um die Zukunft der Wagenburg nicht mehr eingeladen.

Hirsch bewertet die Sache anders: »Wir sehen keine Veranlassung, uns einzumischen, das ist eine zivilrechtliche Frage zwischen Verdi und der Wagenburg.« Man habe sich umgeschaut, doch die Stadt verfüge über keine geeigneten Grundstücke, die sie billig abgeben könnte. »Wir können doch nicht 100 Kinder von einer der wenigen Grünflächen der Stadt vertreiben für 20 Bauwagen.«

Der Schwarze Kanal hat nicht mehr viel Zeit. Für Anfang September ist der Baubeginn vorgesehen. Mit Kundgebungen vor dem Roten Rathaus am Montag dieser und der vergangenen Woche versuchten die Wagenburgler auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Dort sprach Merle vom Schwarzen Kanal ins Mikrophon: »Eigentlich könnte Berlin stolz sein auf seine Wagenburgen, die einen Teil dieser Stadt ausmachen. Wir hoffen, dass Berlin seine Buntheit nicht verliert und nicht zu einer Stadt aus Glas und Beton wird, in denen der Zugang zu Leben und Gesellschaft nur über Geld möglich ist.«

Begleitet wird das Ganze von dem Aerobikduo Betsy und Petsy, das mit Stirnbändern um die Perücken »Medizin nach Noten« macht und die Kundgebungsteilnehmer dazu bringt, ihre Arme schwingen zu lassen. Schließlich gehe es doch um mehr »Bewegung im Widerstand«. Mal sehen, wer sich am Ende bewegen muss.