Spendensammelsendung der ARD

Was lange gärt, wird endlich Flut

Eine von der Hochwasserkatastophe ausgelöste Spendenleidenschaft bricht sich im MDR, in der ARD und der Bild-Zeitung Bahn.

Weniger als nichts sei den Opfern der Flutkatastrophe in Deutschland geblieben, eröffnete eine sonore Männerstimme die gemeinsame Spendensammelsendung der ARD und der Bild-Zeitung, »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, am vergangenen Freitag zur Abendsendezeit.

Wie man sich so ein Nichts mit einem Minus davor vorzustellen hat, verriet die Stimme nicht, denn nun war es Zeit für ein bisschen Kapitalismuskritik, gepaart mit Bildern hauptsächlich sächsischen Elends: »Einige Banker« hätten für Überweisungen auf die einschlägigen Hilfskonten doch tatsächlich »Gebühren kassiert«.

Die folgende gedrückte Stimmung konnte auch von der Moderatorin des Abends zunächst nicht gebessert werden. Uta Bresan hatte bereits seit den frühen Morgenstunden in zahlreichen Spots der ARD darum gebeten, die Sendung einzuschalten, mit schlagenden Argumenten. Sie stamme nicht nur selbst aus Dresden, sondern sei auch persönlich betroffen: »Das Haus meiner Schwiegereltern droht einzustürzen. Ich habe Angst.«

Es ist kein Fehler, anzunehmen, dass die Bundesländer immer die Regionalprogramme kriegen, die sie verdienen. Aber derart schlechte Menschen können die Sachsen gar nicht sein, dass man sie gleich mit dem MDR strafen muss.

Der hatte, als flutbetroffene Sendeanstalt, schon am Donnerstag letzter Woche eine eigene Spenden-show gesendet. Mit Live-Schaltungen zu den unter Wasser liegenden Gebieten, Gesprächen mit Betroffenen, ersten Schadensbilanzen. Nach menschlichem Ermessen hätte eine solche Sendung gar nicht schief gehen können, schließlich kann jeder, der noch alle beisammen hat, nachvollziehen, wie das sein mag, wenn man alles verliert. Die Möbel, Kleider, Elektrogeräte, Haushaltsgegenstände, für die man vielleicht lange gespart hat. Die Erinnerungsstücke, die Fotos, die Briefe, die kleinen Geschenke. Der MDR verkackte jedoch selbst diese einzigartige Gelegenheit, mitleidige Menschen um Spenden zu bitten, mit unnachahmlicher Grandezza.

Denn das live übertragene Spendensammeln litt vor allem darunter, dass die ins Studio durchgestellten Geldgeber im Tausch gegen ihre Euros nicht nur vom Moderator am Telefon begrüßt wurden, sondern auch noch gern ein wenig plaudern wollten. Hauptsächlich darüber, wie gern und großzügig sie »angesichts der Schreckensbilder« in die Tasche zu greifen gewillt oder in welcher Branche sie tätig seien. Der Mann im Studio wollte seinerseits gern seine unbedingte Betroffenheit dokumentieren, oder wie immer man das nennen mag, wenn jemand noch den letzten Schwachsinn mit einem verständnisvollen »Mmmjaa« begleitet, ständig mit dem Kopf nickt und dazu eigene Empfindungen einbringt. Von einem solchen fliegeesken Moderator verstanden zu werden, kann auf keinen Fall das Ziel eines auch nur annäherungsweise klar denkenden Menschen sein. Und deswegen kam auch nicht besonders viel zusammen: Gerade mal 100 000 Euro wurden gespendet.

Bei der ARD und bei Bild wird wohl niemand den Sendeaufwand und den Spendenerlös in Relation gesetzt haben, als es darum ging, die tags darauf folgende gemeinsame Fernsehbettelei zu planen. Der MDR habe als Hochwassersender schon Erfahrung, wird man sich dort gedacht haben, wisse zudem, auf welche Reize der Ossi reagiere, und dann werde schon alles gut gehen.

Zudem sollte die vorgesehene Moderatorin ja auch nicht allein bleiben. Mit Axel Bulthaupt wurde ihr ein Mann zur Seite gestellt, der als Grand-Prix-Kommentator ja auch Erfahrung hat, Wessis - um deren Kohle es wie immer schließlich ging - für den allerletzten Schwachsinn zu begeistern. Und der ebenso davon ausging, dass ein extrem verlangsamtes Sprechtempo der Lage durchaus angemessen sei.

So nahm das Unglück also seinen Lauf und Uta das Mikrofon beherzt zur Hand. »Gu-ten A-bend«, sagte Uta Bresan, selbst-ver-ständ-lich sehr laaang-sam und unter dem Beifall des Studiopublikums, das in der Hauptsache aus Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und Jürgen Trittin sowie deren Beratern zu bestehen schien. »Dieser Satz zur Begrüßung geht mir heute nur schwer von den Lippen«, fuhr die Moderatorin mit eindeutigen Sorgenfalten auf den Stimmbändern fort, denn »ganz ehrlich, ein Teil meiner Gedanken geht ganz intensiv, Sie werden es bestimmt verstehen, nach Dresden.« Wo, die Aufgeklärten unter den Zuschauern wussten es natürlich längst, das schwiegerelterliche Haus ja vom Aussterben bedroht war. Wäre in einer solchen Ausnahmesituation Utas Platz aber nicht eher an der Sandsackfront?

Schonschon, aber die Frau dachte schließlich auch an alle anderen Opfer. Zu Bildern von Menschen in bunten Gummibooten, in Wolldecken gehüllten Greisinnen, in Massenunterkünften übernachtenden Familien erklärte sie zunächst die Tragweite der Situation: »Bis vor ein paar Tagen konnte man den ängstlich fragenden Kindern sagen: 'Bei uns kann so etwas nicht passieren!'«

Eltern sollten ihre Kinder eigentlich nie anlügen, auch in der Zone nicht. Aber darum ging es an diesem Abend natürlich nicht, obwohl das Thema allein schon sondersendungskompatibel genug wäre. Deswegen wurde nun extra in die Überflutungsgebiete geschaltet. Das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, sagten die dortigen TV-Männer in Gummistiefeln, zum Beispiel der zweifellos entnervte ARD-Korrspondent in Dresden, doch schon im normalen Programm seit Tagen Sätze wie: »Die Zigarettenautomaten sind leer, die Kneipen geschlossen.«

Allein solche Beschreibungen des alltäglichen Mangels hätten ganz sicher Millionen Euro an Spendengeldern eingebracht, aber der MDR wollte es partout ganz besonders schön machen. Und schaltete zu Andreas Bönte, einem der notorisch beim Bayerischen Rundfunk aktiven Brüder. Und also nach Passau, wo die Flut streng genommen eigentlich schon vorbei war. Bönte stand jedoch unverdrossen auf einer eigens angefertigten stählernen Insel inmitten der nur noch einen Gummistiefel hohen braunen Flut. Von dort berichtete er von diesem und jenem und vor allem davon, wie unzufrieden die Flutbetroffenen mit den Politikern, vulgo der Bundesregierung seien. Katastrophenbilder in Zeitlupe rundeten die Bayernschau ab.

Das war jedoch definitiv nicht spendensackfüllend, deswegen kam nun Bild dran.

»Wir wissen alle: Bild weiß mehr«, kündigte Bulthaupt den Auftritt einer stellvertretenden Chefredakteurin an, »aber heute können sie auch beweisen, dass dies so ist!« Mit großer Geste verkündete die Frau nun, dass Michael Schumacher einem ihrer Kollegen »gerade gesagt« habe, er werde auch spenden.

Was für eine Überraschung, schon seit Stunden war in allen deutschen Medien verbreitet worden, dass der Rennfahrer eine Million Euro spende: »Immerhin bin ich Deutscher. Ich möchte etwas an die Leute zurückgeben, die uns all die Jahre unterstützt haben und treue Fans gewesen sind. Ich denke, ich kann dem einen oder anderen unter die Arme greifen und helfen.«

Der eigens zugeschaltete Boris Becker dagegen erklärte, er habe ja in Magdeburg einmal sehr nette Menschen kennengelernt, weswegen ihm die Sache mit der Flut sehr Leid tue und er daher spenden wolle. Bloß was? Bargeld? Lieber nicht, aber die Einnahmen eines Showkampfes wolle er sehr gerne geben.

Axel Bulthaupt verschlug es dann fast die Sprache, als er zum nächsten Höhepunkt kam. Die Adam Opel AG habe sich etwas Besonderes einfallen lassen, kündigte er an. »Nichts ist unmöglich, dank Opel.« Was mochte das wohl sein? Den vor lauter Spannung schon kaum noch Atem holen könnenden Zuschauern verkündete dann eine extra zugeschaltete Managerin des Unternehmens, dass der Hersteller jedem, der seinen Wagen in den Fluten verloren habe, drei Wochen lang kostenlos ein Opel-Modell zur Verfügung stelle. Anschließend bestehe die Möglichkeit, im Rahmen eines extra aufgelegten »Null-Zins-Programms« einen Neuwagen des Autobauers zu erwerben.

Blöd nur, dass dieses Angebot nicht mehr so ganz neu und wohl auch nicht völlig uneigennützig war. Der Branchendienst Auto.t-online hatte es schon längst so kommentiert: »Land unter? Opel weiß, was das bedeutet (20,8 Prozent Absatzminus im ersten Halbjahr 2002). Folgerichtig eine Aktion, die einschlägt wie der Blitz: Wer den Wasserschaden hat, braucht für den Opel nicht zu sorgen - mit kostenlosen Vorführwagen für eine Nutzungsdauer bis zu drei Wochen; mit Null-Prozent-Finanzierungen für den neuen Opel. Das ist nicht nur nett, das ist auch clever: Nie war es leichter, potenzielle Kunden ins Trockene zu holen.«

Dass die Hersteller Skoda und Mitsubishi schon vor Tagen ähnliche Aktionen angekündigt hatten, wurde übrigens nicht weiter erwähnt.

Dafür gab es Gesangsdarbietungen schwer abgehalfterter Künstler wie Udo Lindenberg und zweier Mitglieder der Kelly-Familie sowie eines zweifellos ostdeutschen Tenors und anderer suspekter Musiker. Unterbrochen von Uta, die voller Stolz ein Anschwellen der Spendenflut annoncierte, »all denen zum Trotz, die glauben, dass in unserem Land Nächstenliebe und solidarisches Miteinander längst der Vergangenheit angehören«.

Aus bis heute ungeklärten Gründen wurden bei der ARD-Sendung »Die Hoffnung stirbt zuletzt« mehr als zehn Millionen Euro für Flutopfer gesammelt.