Wahlkampf der Grünen

Wasser wirkt

Der bisherige Wahlkampf der Grünen war wenig erfolgreich. Nach dem Hochwasser hofft die Ökopartei, sich noch einmal als die saubere Alternative präsentieren zu können.

Noch vor anderthalb Wochen sah es nicht besonders gut aus für die Grünen. Zwar war damit zu rechnen, dass sie nicht, wie etwa 1990, an der Fünfprozenthürde scheitern würden, doch schien es, als müssten sich all die Minister, Staatssekretäre und Hinterbänkler nun um die wenigen Sitze im Bundestag schlagen, die der Fraktion nach der Wahl verbleiben würden. Und es war den Grünen kein Kampfeswille mehr anzumerken, denn wenn auch mit steter Regelmäßigkeit Presseerklärungen herausgegeben und Interviews vereinbart wurden, zu sagen hatten die Sprecher der Partei wenig.

Weil sich die Parteispitze in den letzten Monaten nahezu all ihrer innerparteilichen Kritiker entledigt hatte, war auch garantiert, dass man nicht einmal mit Querschlägern und Querelen in die Schlagzeilen geraten würde. Der Spitzenkandidat Joschka Fischer reiste durch die Länder und joggte mit Getreuen, doch hatte er nicht mehr zu sagen, als dass es eine Frage der besseren Moral sei, ihn zu wählen. Jürgen Trittins Wahlkampfauftritt in Göttingen geriet zu einem Debakel inmitten von Regen und Farbbeuteln. Christian Ströbele schließlich, dem das Mitleid von Parteifreunden noch eine Chance gab, ließ in Berlin-Kreuzberg Plakate kleben, die für ihn als Direktkandidaten werben, deren Ästhetik aber nur Sechs- oder 60jährige anspricht.

Das Plakatmotiv ist ein typisches Wimmelbild des Zeichners Gerhard Seyfried, auf dem Punks und Polizisten einander Blumen reichen, Emanzen und Radfahrer schon jetzt zufrieden sind und in dem Banker ein kleines bisschen im Spendensumpf versinken. Zudem ist der öde Spruch zu lesen: »Ströbele wählen heißt Fischer quälen.« Andere grüne Plakate machen ebenfalls auf niedlich oder verspielt. Der einzige Ostdeutsche, der in der Parteispitze noch etwas gilt, Werner Schulz, lädt auf einem Plakat mit dem Schriftzug der Biermarke Wernesgrüner zu »Werners grünem Salon« ein. Lustig.

Im Osten haben die Grünen ohnehin ihre Schwierigkeiten. Der einstmals gute Ruf als Partei der Bürgerrechtsbewegung ist verflogen, auch die neuen Bundesländer kennen die Grünen vor allem als Partei der schönen Worte. In Magdeburg bekam Fischers Wahlkampfeuphorie einen heftigen Dämpfer, als er auf dem Großen Rathausplatz vor etwa 250 Zuschauern reden musste. Überdies sind die ostdeutschen Kandidaten selbst in ihren eigenen Ländern recht unbekannt und müssen angesichts von Wahlergebnissen, die voraussichtlich bei kaum mehr als zwei Prozent liegen dürften, um ihren Wiedereinzug in den Bundestag fürchten.

Ein weiteres Problem der Grünen ist die Jugend. In der Partei, die einst mit dem Rotationsprinzip in die Landtage einzog und deren heutige Spitzenpolitiker früher anderen Parteien Überalterung vorwarfen, bemühen sich heute die Alten, den Nachwuchs unten zu halten. Fischer ist dafür bekannt, gegenüber jüngeren Platzanwärtern mit seiner vermeintlichen Unantastbarkeit innerhalb der Partei zu protzen. So aber sind die Grünen heute beim Werben um Erstwählerstimmen sogar ernsthaft von der FDP gefährdet.

Darüber hinaus ist weder der Nitrofenskandal noch die Bonusmeilenaffäre von der grünen Stammwählerschaft vergessen worden, und Leute wie die Verbraucherministerin Renate Künast haben sich ebenso wenig als radikale Ökologen beweisen können wie Rezzo Schlauch und Cem Özdemir als moralisch integer. In allen anderen Fragen setzten die Grünen in den letzten Jahren kaum neue Akzente gegenüber der SPD, zu den Vorschlägen der Hartz-Kommision wussten sie nichts zu sagen, außer, dass sie sie begrüßten.

Vorschläge für größere soziale oder wirtschaftliche Veränderungen erwartet von den Grünen kaum jemand. Und die zur Klientel zählenden Pazifisten dürften nicht vergessen haben, dass gerade die Grünen die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal in einen Krieg geführt haben. Einige können sich außerdem noch daran erinnern, dass dem Außenminister Fischer für die Rechtfertigung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo sogar eine Relativierung des Holocaust nicht zu widerlich war. Angesichts dessen ist auch das rechtzeitig zum Wahlkampf abgegebene Versprechen, an einem möglichen Krieg gegen den Irak nicht teilnehmen zu wollen, wenig glaubwürdig.

Die Grünen setzen nun mangels Alternativen ganz auf den Superstar, Vizekanzler, Außenminister und seit Monaten beliebtesten Politiker Deutschlands, den einzigen Grünen, den selbst konservative Politiker respektieren, Joschka Fischer. »Ich stehe persönlich zur Wahl, ich als Außenminister, als Grüner.« Dieser Satz, den die Grünen mangels anderer politischer Inhalte zu einem Slogan erhoben haben, war nichts anderes als das Eingeständnis, nichts mehr zu sagen zu haben.

Doch nun ist die Elbe- und Mulde-Flut da, und mit ihr die Chance des Fischer-Wahlvereins, sich doch noch als eine Partei, die für etwas einsteht, zu verkaufen. Gerade noch hatten alle Parteien beteuert, die Flut und das Elend der Betroffenen nicht zum Wahlkampfthema machen zu wollen, da stellte sich der Parteiführer der Moralisten bereits vor die Mikrophone und behauptete: »Wir Grünen stehen für eine neue Hochwasserschutzpolitik.«

Obschon sich die von Jürgen Trittin betriebene Umweltpolitik in Bezug auf die Wasserstraßen bislang kaum von der seiner Vorgänger unterschied, glauben die Grünen nun, sich noch einmal als saubere Alternative profilieren zu können.

Allerdings konnte ihr Vorsitzender nicht an sich halten und rief ins Land hinaus, was ihn wirklich bewegte: »Wir Grünen sind die einzige Partei, die seit 20 Jahren effektive Klimaschutzpolitik betreibt, weil wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben - und darauf werden wir im Wahlkampf hinzuweisen wissen.« Trittin argumentierte anschließend ähnlich.

Der sächsische Ministerpräsident hatte demzufolge völlig Recht, wenn er dem Bundesumweltminister vorwarf, dass er nur die Nähe des Wassers suche, um Wahlkampf zu betreiben. Doch dass Georg Milbradt (CDU) sich veranlasst sah, während des Untergangs seiner Landeshauptstadt in dieser Schärfe gegen Trittin vorzugehen, zeigt, dass auch die Konservativen glauben, die Grünen bekämen durch die Wassermassen eine zweite Chance.

Diejenigen, die sich in Umweltdingen auskennen, also Organisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland oder Greenpeace, sind jedoch entsetzt von der Betulichkeit, mit der Trittin über eine drohende Wasservergiftung redet und vom anstehenden, nicht ökologischen Elbausbau schweigt. Ebenso ist der Bauernverband irritiert von der Ruhe der für ihre Belange zuständigen Ministerin. Man hätte ja mit einer kämpferischen Ökopartei rechnen können, deren Mitglieder hektisch vor den Kameras, an den Deichen und auf den betroffenen Bauernhöfen Präsenz zeigen, doch die grünen Spitzenpolitiker hielten sich auffällig zurück.

Lediglich Fischer präsentiert sich wieder in der ihm eigenen auftrumpfenden Art und ergreift zugleich jede Chance, davon zu erzählen, dass er persönlichen Umgang mit berühmten Leuten hat, die er »meine Kollegen« schimpfen darf. Die anderen aber, heißen sie nun Roth, Kuhn, Künast, Trittin oder Schlauch, halten sich mit Forderungen und Versprechen zurück. Denn sie wissen ja, dass ihnen der Kanzler nie erlauben würde, als eine tatsächlich ökologische Partei zu agieren. Vor allem aber scheint ihr größter Kampf, nämlich der um ihre Posten, nun doch nicht mehr so aussichtslos. Und Gerettete lehnen sich bekanntlich erst einmal glücklich zurück.