Zur Sonne, zum Konsens

Die Vorschläge der Hartz-Kommission liegen vor und die Gewerkschaften könnten die Verlierer sein.

Anerkennend nickt Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Kopf, als Peter Hartz erzählt, wie dick der Schlussbericht der Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« ist. Auf 343 Seiten haben Hartz und seine 14 Mitstreiter Ideen gesammelt, wie bis zum Jahr 2005 zwei Millionen Menschen weniger arbeitslos sein könnten und die Arbeitsverwaltung jährlich 19,6 Milliarden Euro sparen könnte. »Das ist ein großer Wurf für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt«, triumphierte der Kanzler am vergangenen Freitag im Foyer des Bundeskanzleramtes.

Das sehen viele anders. Ein »Dokument des Versagens der Bundesregierung« ist der Bericht für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. »Hier geht es um die Verwaltung von Arbeitslosen, nicht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Hartz spielt mit den Schwächeren der Gesellschaft«, findet Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer der PDS. »Wirklich klasse« findet das Konzept nur der Vorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn. Kleinlaut hingegen reagieren die obersten Gewerkschafter. »Ich will nicht mäkeln«, sagt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Und Johannes Jakob, ein Arbeitsmarktexperte beim DGB-Bundesvorstand, formuliert diplomatisch: »Der Entwurf enthält viele gute Ansätze, aber bei einigen Punkten wurde unsere Kompromissfähigkeit stark getestet.«

Dabei geht es ja wirklich, wie Schröder betonte, um neue Strukturen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitslose könnten bald massenhaft an Firmen ausgeliehen werden. Und viele neue Selbständige soll es bald geben, vor allem die bisher Arbeitslosen wursteln dann, jeder für sich, in ihrer Einmannfirma vor sich hin. Damit das alles auch für die Gewerkschaften erträglich ist, wurden die Maßnahmen schön garniert. Zu Tariflöhnen sollen sich Arbeitslose als Zeitarbeiter verdingen. Und die Ich-Unternehmer zahlen Pflichtbeiträge in die Arbeitslosenversicherung. Anders als bislang geförderte Existenzgründer fallen sie dann nicht mehr nach sechs Monaten aus dem Leistungsbezug des Arbeitsamtes, wenn etwas schief läuft. Auch die Qualifizierung soll genauer werden, und für allein erziehende Arbeitslose soll es mehr Kinderbetreuungsplätze geben. Das alles klingt gut.

Aber in der Planung gibt es immer noch noch viele unbekannte Faktoren - zum Beispiel bei den Personal-Service-Agenturen (PSA). Als eigenständige Einheiten sollen sie der »vermittlungsorientierten Arbeitnehmerüberlassung« dienen, Arbeitslose also in kurzfristigen Zeitarbeitsverhältnissen unterbringen. »Vermittlungsorientiert« sind sie deshalb, weil im günstigsten Fall daraus feste Anstellungen werden sollen. Grundsätzlich schließt die PSA einen Vertrag mit dem Arbeitslosen, den Lohn des Leiharbeiters zahlt das Unternehmen an die PSA. Während der Probezeit erhält der Arbeitslose »einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes, anschließend den tariflich vereinbarten PSA-Lohn«, heißt es im Bericht. Der steht aber noch nicht fest, sondern muss erst ausgehandelt werden. In einer Beispielrechnung geht die Kommission von 70 Prozent des letzten Bruttogehalts aus, wenn die PSA die Hälfte ihrer Kosten durch Leiharbeit erwirtschaftet.

Bei den Verhandlungen sind die Gewerkschaften eingeknickt. Noch Anfang Juni sagte Michael Sommer: »Wir wollen schon genau wissen, wie die Arbeitsbedingungen derjenigen sind, die über die PSA an Betriebe ausgeliehen werden. Unsere Forderung ist eindeutig: Es müssen (...) die Bedingungen gelten, die in den Entleihbetrieben für die Stammbelegschaft gelten.« Weiterhin sollen für die PSA die Beschränkungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht gelten. »De facto führt die verstärkte Einschaltung von PSA (...) zur Neutralisierung des Kündigungsschutzes.«

Ein weiterer Baustein ist die Ich-AG. Sie soll Menschen den Weg aus der Schwarzarbeit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ebnen. Die jährliche Verdienstgrenze liegt bei 25 000 Euro. Sämtliche Einnahmen werden mit einer zehnprozentigen Pauschale versteuert und es besteht volle Sozialversicherungspflicht. Für maximal drei Jahre könnten solche Unternehmer Zuschüsse vom Arbeitsamt erhalten. Im Vergleich zur bisherigen Existenzgründerförderung sinkt zwar der monatliche Geldbetrag, den das Arbeitsamt überweist, dafür wird die Förderung zeitlich gestreckt

Ihre Dienste sollen die neuen Selbständigen vor allem kleinen Unternehmen und Handwerksbetrieben anbieten, deren Belegschaft zukünftig bis zur Hälfte aus Ich-AG bestehen darf. »Damit ist klar«, behauptet der Gewerkschafter Jakob, »dass die Einführung der Ich-AG nicht zwangsläufig den Einstieg in einen Niedriglohnsektor bringt«. Nicht zwangsläufig. Aber »wenn Menschen in die Selbständigkeit gehen, die vorher nicht schwarz gearbeitet haben, dann gibt es Verdrängungseffekte«, sagt Hilmar Schneider vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit.

Um den Arbeitsmarkt zu entlasten, hat sich die Hartz-Kommission für ältere Arbeitslose über 55 Jahre Sonderregeln ausgedacht. Grundsätzlich können Betroffene zwischen dem Bridge-System und der Lohnversicherung wählen. Beim Bridge-System steigen sie aus dem Vermittlungssystem aus und erhalten statt des Arbeitslosengeldes monatlich gleich bleibende Raten, die dem Gegenwert der Arbeitslosenversicherung des Betroffenen entsprechen. Allerdings wird der errechnete Gesamtbetrag von vornherein um ein Viertel eingedampft. Die Begründung lautet, dass die Wahrscheinlichkeit der Wiederbeschäftigung bei einem über 55jährigen Arbeitslosen derzeit nur bei 25 Prozent liegt und man die Arbeitslosenversicherung nicht zusätzlich belasten will. Ab 60 Jahren können Bridge-Arbeitslose dann vorzeitig Altersrente erhalten, ebenfalls gekürzt um die momentan gültigen gesetzlichen Abschläge.

Wollen Ältere wieder vermittelt werden, sollen sie auch niedriger bezahlte Arbeit annehmen. Teilweise kompensiert werden die entstehenden Einkommensverluste durch eine Lohnversicherung, die die bisherige Arbeitslosenversicherung ergänzt. Außerdem sollen die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung Älterer erweitert werden.

Dagegen wehrt sich der DGB in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Hartz-Bericht vom 15. August: »Der DGB sieht in der Lohnversicherung für Ältere kein geeignetes Instrument. Die vorgeschlagene Aufhebung des Kündigungsschutzes (...) ist nicht akzeptabel.« Wurden die Gewerkschafter also über den Tisch gezogen? »Wir warten erst einmal ab, bislang steht das nur auf dem Papier. Die konkrete Auseinandersetzung erfolgt im Gesetzgebungsverfahren«, sagt Jakob. Er hat Recht, nun kommt es auf die Verhandlung der Details an. Auch wenn Schröder zum wiederholten Male betonte, nicht über Details diskutieren zu wollen, das Hartz-Konzept müsse als Ganzes wirken. Die Gewerkschaftsspitze muss den Streit mit Schröder suchen, trotz des Wahlkampfes.

Sonst geht die geplante Arbeitsmarktreform im Falle von Schröders Wiederwahl so kläglich aus wie der Kampf gegen die private Rentenversicherung. Vor allem die IG Metall wehrte sich anfangs gegen den Systemwechsel, der die kollektiv getragenen Risiken der Altersvorsorge immer mehr auf den Einzelnen abwälzt. Inzwischen preist sie in aufwändigen Werbeaktionen ihre private Metallrente.

Und Peter Hartz könnte als der Mann in die Geschichte eingehen, der den Weg für die Einführung eines Niedriglohnsektors ebnete und den hart erkämpften Kündigungsschutz zerstörte. Dafür braucht es noch nicht einmal die Holzhammermethode. Die Deutschen machen das subtiler. Sie bestücken eine Kommission mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften. Man diskutiert einige Monate, und heraus kommt ein so genannter gesellschaftlicher Konsens.