Freie Journalisten als Ich-AG

Ich bin so frei

Wie es sich lebt und arbeitet in der Hartzschen Ich-AG, wissen die meisten Journalisten aus eigener Erfahrung.

Heißer Sommer in Berlin. Die Redakteurin Anne Graef ruft den freien Journalisten Udo Böhlefeld an. »Böhlefeld«, tönt es ihr entgegen, dazu eine Geräuschkulisse aus Wind und Wellen. »Aha, die arbeitende Bevölkerung schwitzt am Schreibtisch, und der Udo schippert auf dem Wannsee«, lästert sie in den Telefonhörer. In der einen Hand die Pinne, in der anderen das Handy, so sieht man den Journalisten im Sommer häufiger auf seinem Segelboot »Carlotta«, das er vorzugsweise vormittags an Wochentagen über den Wannsee gleiten lässt. »Sonntags drängeln sich so viele Boote, da macht es keinen Spaß.« Sein Arbeitstag beginnt gegen 13 Uhr. Er hat eine sechs Monate alte Tochter, und die möchte Böhlefeld »aktiv« miterziehen und aufwachsen sehen. Das Dasein als freier Journalist lässt ihm den nötigen Spielraum.

So sieht es auch der Kölner Journalist Thomas Gersterkamp. Vor einigen Monaten tauschte er seinen Arbeitsplatz in einer Bürogemeinschaft gegen das Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung, um an der Erziehung teilhaben zu können. Was in der politischen Diskussion unter dem Schlagwort »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« diskutiert wird und in der »normalen« Arbeitswelt unüblich ist, leben Böhlefeld und Gersterkamp vor. Und sie gehören zur seltenen Spezies der freien Journalisten, denen das »Jammern auf hohem Niveau« fremd ist.

Dazu zählt auch Michaela Böhm aus Frankfurt am Main. Bevor ihre Tochter Janika zur Welt kam, war sie bei einer Tageszeitung beschäftigt. Nun arbeitet Böhm im neunten Jahr freiberuflich. »Das war zunächst eine Notlösung, jetzt habe ich mich mit dem Dasein als Freie ausgesöhnt und schätze die Vorteile, zum Beispiel nur noch selten über Themen schreiben zu müssen, denen ich nichts abgewinnen kann.« Manchmal stört es sie, dass es ein »relativ einsames Arbeiten« ist. Ihr Tag ist meist zweigeteilt. Wenn Janika in der Schule ist, vier bis fünf Stunden am Schreibtisch oder auf Achse, danach ist für einige Stunden die Mutterrolle dran. Am frühen Abend erneuter Rollentausch. Ihr Partner Viktor kommt von der Arbeit und sie legt eine zweite Schicht ein.

Böhm, Böhlefeld und Gersterkamp sind drei von schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen, die auf freiberuflicher oder selbständiger Basis arbeiten. Darunter tummeln sich etwa 32 000 freiberuflich arbeitende Journalistinnen und Journalisten. Rund 20 000 gelten als so genannte Nebenerwerbsjournalisten. Diesen beiden Gruppen stehen 37 000 angestellte Redakteurinnen und Redakteure gegenüber. Während der vergangenen 20 Jahre ist die Zahl der Freiberufler stetig gestiegen. Waren es zu Anfang der achtziger Jahre noch 15 Prozent, so sind es heute weit über 50 Prozent.

Im Gegensatz zu anderen Freiberuflern wie Ärzten, Architekten, Therapeuten oder Rechtsanwälten arbeiten Journalisten weitgehend im unregulierten Raum. Zwar gibt es den Tarifvertrag für so genannte »arbeitnehmerähnliche Freie«, er wird aber so gut wie nicht angewandt. Arbeitnehmerähnlich arbeiten Journalisten, die überwiegend auf Honorar- oder Pauschalbasis arbeiten. Ansonsten handelt jeder sein Honorar individuell aus oder muss sich mit dem zufrieden geben, was »redaktionsüblich« ist. Die anderen freien Berufsgruppen sind in der Regel über das Standesrecht und staatlich festgelegte Honorarsätze abgesichert.

Ob Peter Hartz freie Journalistinnen und Journalisten im Kopf hatte, als er sich die Ich-AGs ausdachte, ist nicht überliefert. »Irgendwie sind wir ungewollt schon die Vorreiter«, so Böhm. Mit der Ich-AG will Hartz Autobastler, Maler und Tapezierer, Umzugshelfer, Bauarbeiter oder Fußbodenschleifer aus der Schwarzarbeit holen. Zudem sollen alle diejenigen, die mit »alltagspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten« aufwarten und so den »großen Bedarf an kostengünstigen Dienstleistungen befriedigen« können, aus der Arbeitslosigkeit geholt werden. Was das für feste Arbeitsverhältnisse zu Tarifbedingungen bedeutet, ist unschwer auszumalen. Allemal lohnt ein Vergleich mit freien Journalisten.

Karin Schneider lebt in einer ostdeutschen Kleinstadt, sie »schustert« für Zeitungsredaktionen in Mecklenburg themenspezifische Beilagen zusammen, wie sie erzählt. Zum Beispiel eine Beilage zum Thema »Riester-Rente«. Das heißt recherchieren, Texte schreiben, Anzeigen beschaffen, die Seiten selbst umbrechen und die fertige Datei an die Redaktion liefern. »Ich komme im Schnitt auf 150 Euro pro Seite, davon kann ich nicht leben, also hetze ich noch zu drei bis fünf Terminen pro Tag und beliefere die Lokalredaktion. Schneider ist es relativ egal, über was sie schreibt, Hauptsache der Lebensunterhalt kommt zusammen.

»Mit meiner Arbeit verbinde ich auch politische Ansprüche«, sagt dagegen Lisa Kilian aus Hamburg. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und der Germanistik heuerte sie als Volontärin bei einer Wochenzeitung an. Anschließend wechselte sie in eine andere Redaktion und blieb dort zwei Jahre. Inzwischen gibt es dieses Blatt nicht mehr, und so machte sie »aus der Not eine Tugend« und ist seit mehreren Jahren freiberuflich tätig.

»Das Geld spielt zwar eine Rolle, für mich aber nicht die größte, ich lebe eher bescheiden.« Rückblickend sagt Kilian, als sie noch »in den Fesseln« der Redaktion gearbeitet hat, konnte sie viele Themen, die sie interessierten, nicht bearbeiten. Jetzt zählt das »Nein sagen« zu Aufträgen, die ihr nicht gefallen, zum großen Vorteil. »Diese Freiheit ist einerseits klasse, andererseits gibt es viel Schatten.« Zu ihren »demütigenden Erfahrungen« gehört das Anbieten von Themen in den Redaktionen. »Man wird oft abgewimmelt, an ein anderes Ressort verwiesen, oder die Themen werden zerhackt.«

Im Kontakt zwischen fest angestellten Redakteuren und Freien tut sich nach Kilians Einschätzung ein besonderes Spannungsfeld auf. Es sind zwei sehr unterschiedliche Arbeits- und Lebenswelten. Mitunter blicken die Festen neidvoll auf die »Freiheiten der Freien«, während sie in das Korsett der Redaktion gezwängt sind.

Der Redaktionsalltag stresst, weil die meisten Redaktionen unterbesetzt sind. »Wenn dann der dritte unterirdisch schlechte Text eines Freien ankommt oder jemand ein Thema anbietet, das gar nicht ins Ressort passt, muss das unter Umständen der nächste Freie, mit dem man gute Erfahrungen gemacht hat, ausbaden«, erzählt Kilian aus ihrer Zeit als Redakteurin.

Michaela Böhm ärgert sich über die vielen Schreiber, die »weder davon leben wollen noch müssen«. Sie bringen die mühsam aufgebauten Honorarstandards ins Wanken. Und überhaupt mag sie nicht einsehen, dass sich so viele im Gewerbe tummeln und dafür keine Qualifikation mitbringen. Jeder Gas- und Wasserinstallateur brauche schließlich auch einen Gesellenbrief, bevor er an anderer Leute Wasserhähne rumbasteln darf.