28.08.2002
Wahlkampf I

Schröd! Stoib!

Wenn verdienten Boxtrainern danach ist, in ihrer Sportart nicht allzusehr bewanderte Menschen zu beeindrucken, erzählen sie die Geschichte von den ersten 30 Sekunden. Innerhalb dieses Zeitraums könnten Geübte nämlich genau erkennen, mit welcher Strategie die Kämpfer von ihren Betreuern in den Ring geschickt wurden. Nach dieser ersten halben Minute werde es jedoch schwierig, denn, so die Veteranen: »Dann ham sie wieder alles vergessen und machen sowieso nur noch, was sie wollen.«

Beim TV-Duell des amtierenden deutschen Bundeskanzlers und seines Herausforderers, hier nur noch Schröder beziehungsweise Stoiber genannt, war auch nach wenigen Sekunden die jeweilige Taktik klar erkennbar. »Edmund, sei ganz ruhig und lass das Herumgefuchtel mit den Händen«, werden die Wahlkampfberater der CDU/CSU ihrem Kandidaten eingeschärft haben. Denn der erhobene Zeigefinger mache keinen guten Eindruck, weswegen sich Stoiber gleich zu Beginn mit beiden Händen am Podium festkrallte und seinen Klammergriff in den folgenden 90 Minuten nur gelegentlich lockerte.

Bei der SPD verlief das Training dagegen ganz anders, wenngleich ähnlich aufgeregt: »Du bist der Titelverteidiger, Gerd, das heißt die bayerische Drecksau muss kommen. Bleib du einfach stehen und reg' dich auf keinen Fall auf«, wird es geheißen haben.

Vielleicht sind Bundeskanzleraspiranten tatsächlich intelligenter als durchschnittliche Boxer, vielleicht hören sie auch nur besser zu, wenn ihre Trainer reden. Der Showdown zwischen Schröder und Stoiber wurde jedenfalls zum langweiligsten Event der deutschen Fernsehgeschichte, seit Wolfgang Neuss per Annonce den Halstuch-Mörder verriet.

Möglicherweise lag das aber auch nur daran, dass beide Beteiligten zuvor ausgedehnten Medikamtenversuchen unterzogen worden waren. Und die gestalteten sich wohl ziemlich kompliziert: AN1? Pervitin? Anlässlich der in extrem ausgiebigen Verhandlungen beider Seiten ausgehandelten Redezeit von nur 90 Sekunden nix für den extremem Mitteilungsdrang. Haldol? Eigentlich okay, um den bei Wahlkämpfern periodisch auftretenden Verfolgungswahn zu mildern, aber streng genommen nichts, unter dessen Einfluss man in der Öffentlichkeit gesehen werden möchte. Rohypnol? Nur dann super, wenn man Wert darauf legt, der staunenden Öffentlichkeit als der Idiot im Gedächtnis zu bleiben, der damals während des Kanzler-Duells zusammensackte und beim tiefen Fall in die Bewusstlosigkeit auch gleich noch das Podium mit sich riss.

Ähnliches gilt für Heroin (wer mag sich schon gerne coram publico die Eingeweide aus dem Leib kotzen?) und XTC (macht keinen guten Eindruck, wenn sich die Herausforderer seelig-grinsend umarmen, statt einander argumentativ anzugehen). Und die zunächst favorisierten US-Hype-Feel-Good-Pillen Prozac benötigen eine ungefähr dreiwöchige Vorlaufzeit, um auch wirklich zu wirken, was keinen Wahlkampfmanager wirklich überzeugte.

Was blieb, war vermutlich Valium. Und der schwarze Anzug. Kombiniert mit Krawatten, die die jeweilige Koalitionsaussage oder vielleicht auch irgendetwas völlig anderes unterstreichen mochten (Schröder: rot-grau, Stoiber: blau-grau) oder vielleicht auch nur Zeugnis ablegen wollten von der grundsätzlichen Geschmacklosigkeit der Amtswilligen.

So traten also gelassene Kandidaten mit farblich unpassenden Schlipsen vor die Öffentlichkeit, um im Großen und Ganzen dasselbe zu sagen. Wobei Stoiber zusätzlich von seinem Unterstützerkomittee auf unablässiges Lächeln getrimmt worden war. Das sah mitunter nicht wirklich gut aus, vor allem dann nicht, wenn es um Flutopfer, Arbeitslose und andere vom Schicksal schwer gebeutelte Menschen ging.

Immerhin, auch der Kanzler grinste nicht besser als sein Herausforderer. Auch wenn beide auf die Valium-Behandlung gut ansprachen, sollten die eklatanten Unterschiede des gewählt werden wollenden Packs nicht außer Acht gelassen werden. Zur Wahl stehen der verklemmte Klammerer und der ungehindert Gestikulierende. Oder so.