Politischer Machtkampf

Auf Elefantenjagd

Um seiner Amtsenthebung zu entgehen, schickt der nicaraguanische Parlamentspräsident Arnoldo Alemán die Abgeordneten in den Zwangsurlaub.

Sechs Monate nach dem Amtsantritt des Präsidenten Enrique Bolaños hat sich Nicaragua derart verändert, dass von Attentaten über einen Generalstreik bis zu Neuwahlen alles möglich scheint. Doch nicht die Konflikte zwischen Liberalen und Sandinisten sind der Grund. Vielmehr handelt es sich um Machtkämpfe zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb des Partido Liberal Constitucional PLC, der seit 1996 regiert.

Das hatte sich der ehemalige Präsident Arnoldo Alemán ganz anders vorgestellt. Von der vormals revolutionären und inzwischen sozialdemokratischen Frente Sandinista de Liberacion Nacional war er Schelte gewohnt, hatte sich aber mit dem sandinistischen Generalsekretär und früheren Revolutionskommandanten Daniel Ortega bestens arrangiert. Mit dem so genannten Pacto hatten die einstigen Kriegsgegner Alemán - er saß nach dem Triumph der sandinistischen Revolution am 19. Juli 1979 als Scherge der Somoza-Diktatur für einige Zeit im Gefängnis - und Ortega ihren Parteien PLC und FSLN bedeutende Posten in Wahlgremien, Gerichten und Kontrollausschüssen zugeschanzt. Und die beiden Caudillos selbst hatten sich mit Parlamentsposten Immunität verschafft. Alles schien perfekt zu laufen, damit die zwei Kampfhähne bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006 erneut gegeneinander antreten können.

Doch dann eröffnete Alemáns früherer Vizepräsident Enrique Bolaños eine Kampagne, die Ihresgleichen sucht und am 7. August in eine Anklage gegen Arnoldo Alemán, seine Schwester Amelia, seine Tochter Maria Dolores, seinen Bruder Alvaro, seinen Schwager Mayra, seinen Neffen Arnoldo sowie weitere Personen wegen Geldwäsche, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Plünderung des Staates und anderer Delikte mündete.

Mediengerecht zeichnete Bolaños der verblüfften Öffentlichkeit auf einer Großleinwand die Mechanismen nach, mit deren Hilfe Alemán und Co. 100 Millionen Dollar über 40 Tarnfirmen und Konten in Panama, Guatemala, der Dominikanischen Republik, den Cayman Islands und den USA transferierten und zum Teil in Ländereien und Immobilien investierten. Durch Tricksereien bei der Privatisierung der staatlichen Betriebe war der Staat um Millionenbeträge betrogen worden, die über Briefkastenfirmen auf das Konto der Fundacion Democratica Nicaraguense FDN in Panama transferiert und von dort auf Privatkonten der Familien Alemán und Jerez, aber auch auf Konten des PLC weitergeleitet wurden.

Den Ausgangspunkt des parteiinternen Konfliktes, den Alemán als »Kriegserklärung« bezeichnet, bildete die Festnahme des ehemaligen Finanzministers und engsten Vertrauten Alemáns, Byron Jerez. Er hatte wegen der Veruntreuung von Hilfsgeldern nach dem Hurricane Mitch im Jahr 2000 abtreten müssen, juristisch belangt wurde er deshalb jedoch nie.

In einem spektakulärem Polizeieinsatz war Byron Jerez am 23. April in einem Fluchtauto verhaftet worden, als er sich ins Ausland absetzen wollte. In seinem Koffer befanden sich zehntausende Dollar, eine MP, sechs Pässe auf verschiedene Namen, 16 Kreditkarten und Belege über Auslandstransfers in Millionenhöhe. Nun musste ermittelt werden. Und siehe da: Byron Jerez und Co. hatten Unterlagen über Raubzüge sogar auf ihren Computern gespeichert und gestatteten der Polizei deshalb einen Einblick in nie geahnte Betrügereien.

In der so genannten Canal 6-Affäre hatten Alemán und Byron Jerez mithilfe zweier justizflüchtiger Mexikaner nicht nur Geld veruntreut, sondern vor allem versucht, über Tarnfirmen die Medienrechte mehrerer TV-Sender zu ergattern und damit ein Medienmonopol zu erlangen. Mit solchen Mitteln wollte Alemán die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006 gewinnen.

Und genau da setzen die innerparteilichen Konflikte ein. Alemáns historisches Verdienst innerhalb des rechtsbürgerlichen und von den USA geförderten Blocks war der Aufbau einer antisandinistischen Massenpartei und die Rückeroberung verlorenen Eigentums der seit 1980 enteigneten und in großer Zahl in Miami exilierten Großgrundbesitzer - ein Prozess, der als nahezu abgeschlossen gelten kann. Alle Abgeordneten der PLC waren von Alemán persönlich ausgesucht worden.

Nach der Intensivierung der Ermittlungen gegen Alemán und Co. haben sich nun zwei Fraktionen im PLC herausgebildet. Auf der einen Seite stehen die loyalen »Arnoldistas«, auf der anderen die »Bolañistas«, die zwar in der Bevölkerung hohes Ansehen genießen, jedoch kaum parlamentarische Repräsentanz besitzen.

Seit Monaten schon wird über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Alemán spekuliert, um seine Immunität, die er als Parlamentspräsident genießt, aufzuheben. Doch dazu bedarf es 47 Stimmen der Nationalversammlung. Daniel Ortega hat die 38 Stimmen der FSLN zugesichert. Einerseits kann er sich so eines lästigen Widersachers entledigen, andererseits kann er es sich auch nicht erlauben, die Massenproteste auf den Straßen zu ignorieren; es wurden schon 500 000 Stimmen für die Amtsenthebung Alemáns gesammelt. Nun stellt er sich an die Spitze der Kämpfer gegen die Korruption, ebenso clever wie zynisch. Denn nur wegen des im »Pacto« von ihm selbst zugestandenen Mandats ist Alemán immun.

Alle sieben Abgeordneten der konservativ-liberalen Fraktion Bancada Azul y Blanco haben sich Ortega angeschlossen. Damit wären 45 Stimmen zusammen. Und es bleibt eine interessante Tatsache, dass der Präsident des Landes im mehrheitlich von seiner Partei besetzten Abgeordnetenhaus mehrere Wochen braucht, um die fehlenden zwei Stimmen zu garantieren. Diese scheinen nun sicher zu sein.

Angesichts seiner Amtsenthebung hat sich Alemán hinter seinem Posten verschanzt und die Nationalversammlung für drei Wochen geschlossen und alle Abgeordneten in einen Zwangsurlaub geschickt. Also kann die Abstimmung zunächst nicht stattfinden.

Indessen hat Präsident Bolaños zu Massenprotesten aufgerufen und sich im Laufe der Woche ein Dutzend Mal mit Ortega getroffen. Noch vor einem halben Jahr hatte Bolaños beim Amtsantritt erklärt, dass er »kotzen müsse, wenn er nur einen Sandinisten sieht«. Doch nun kann er an Ortega nicht vorbei. Ohne die Stimmen der FSLN ist er handlungsunfähig.

Und nicht nur das. In einer unglaublichen Schlammschlacht werden er und seine Getreuen von Alemán und Jerez beschuldigt, Schwarzgeld für ihren Wahlkampf angenommen zu haben und sehr wohl Kenntnisse über die Konten der FDN besessen zu haben. Was wahrscheinlich ist.

Bolaños sieht sich auch ganz anderen Angriffen ausgesetzt. Immer wieder machen Gerüchte über Mordanschläge auf den Präsidenten die Runde. Sie werden durch Presseerklärungen von Polizeisprechern, die Ermittlungen gegen Kreise innerhalb des PLC bestätigen, erhärtet. Ganz offen war im Alemán ergebenen Radio La Poderosa (Die Mächtige) zur Erschießung des Regierungschefs aufgerufen worden.

Bereits während der ersten Verlesung der Anklage gegen Alemán waren die Polizei und die Armee in Alarmbereitschaft versetzt worden, da ehemalige Contras mit Gewalttaten gedroht hatten. Dass bei Razzien im Haus von Byron Jerez Präzisionsgewehre gefunden wurden, lässt einiges befürchten. Doch seien sie nicht für kriminelle Handlungen bestimmt, erläuterte Rechtsanwalt Martinez, sondern »zur Elefantenjagd«.