Wahlkampf der Grünen

Deine Rede sei jein, jein

Jürgen Trittin lobt im Wahlkampf um den Prenzlauer Berg seine Partei und die deutsche Bierkultur.

Immer wieder beschleicht einen das Gefühl, dass Menschen, die einer Partei angehören, sonderbare Leute sind. Gestern noch sagten sie dieses, heute jedoch tun sie jenes. Zugegeben: Das ist nichts Neues. Schon gar nicht im Bundestag. Eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen funktioniert seit nunmehr über 15 Jahren so. Warum also daran etwas ändern? Never change a winning team. »Grün wirkt!«, wie derzeit der Wahlkampfslogan verkündet.

Ja, Grün wirkt tatsächlich, denn es ist Regierung und Opposition in einem, eine perfekte Synthese. Es ist breiartig, nachgiebig und doch zählebig und strapazierfähig. Die Farbe der Hoffnung ist auch the colour of money. Man bringt nicht allein das Kunststück fertig, simultan gegen und für etwas zu sein, sondern ist überdies in der Lage zu erklären, warum sich das nicht widerspricht. Eine außerordentliche Leistung, die alle vier Jahre vom Wähler aufs neue honoriert wird, und entsprechend haben sich die Grünen im Bundestag mittlerweile festgesetzt wie der Hausschwamm. Weil aber der Machterhalt derzeit noch nicht gesichert ist, hatte sich Werner Schulz, der Berliner Spitzenkandidat der Partei, am vergangenen Mittwoch für seinen Wahlkampf im Prenzlauer Berg jemanden eingeladen, der die Tradition des »Jein«, des »Ja, aber«, des »Sowohl als auch« der grünen Politik idealtypisch repräsentiert: Jürgen Trittin, der im Hof der Berliner Kulturbrauerei mit T-Shirt und Jeansjacke auftritt, denn im Herzen ist er ein Sponti geblieben. Und sein Publikum glaubt das auch.

Der Bundesumweltminister (Bündnis 90/Die Grünen) war früher einmal Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB), heute ist er Mitglied der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Das widerspricht sich nicht, es sind nur verschiedene Arten, für das Gute in der Welt zu kämpfen. Einstmals stritt er im Klassenkampf, heute engagiert er sich für die Reaktorsicherheit. Vom Bund übers Bündnis zum Bundesminister; stets hat er, der Fleisch gewordene Kompromiss, bewiesen, dass es geht, wenn man nur will. Man kann gegen Atommülltransporte demonstrieren und sie gleichzeitig von einer Polizeiarmee schützen lassen. Man kann sich bei öffentlichen Bundeswehrgelöbnissen gegen die Militarisierung der Gesellschaft aussprechen und trotzdem Kriegseinsätzen der Bundeswehr im Ausland zustimmen. Man kann für ökologisch korrekte Baumwollunterwäsche plädieren und dennoch den Abwurf von Bomben rechtfertigen. Anything goes, man muss es nur als fortschrittliche Reformpolitik zu verkaufen wissen.

Und das tut Trittin, der grundsympathische Schnauzbartträger und Kumpel, der, wenn es ums Gewähltwerden geht, mit seinen Wählern auch bisweilen per Du ist: »Ihr wisst, diese Regierung ist ordentlich und verantwortungsbewusst.« Man habe, seit man an der Regierung ist, viel durchgesetzt: die Homo-Ehe, die Ökosteuer, den Atomkonsens, die Förderung regenerativer Energien. Kurz: man habe praktisch eine Art Revolution im Legolandformat gemacht.

Manchmal aber kann sich der Minister, der von sich selbst als einem »alten Klassenkämpfer« spricht und das auch noch glaubt, nicht nur zwischen dem »Ja« und dem »Nein«, sondern auch zwischen dem »Du« und dem »Sie« nicht recht entscheiden: »Sie haben die Wahl zwischen einer Kraft, die sich für soziale Gerechtigkeit, Reformen, eine tolerante Gesellschaft und den Aufbruch in die ökologische Modernisierung einsetzt, und organisiertem Stillstand. Denkt daran, was nur sechs oder sieben Prozent Grüne an Reformen und Veränderungen im Land durchgesetzt haben!« Einen Krieg zum Beispiel.

»Manchen sind die Reformen vielleicht nicht schnell genug gegangen. Aber wenn Sie grün wählen«, tönt Trittin weiter, »wählen Sie Leute, die stehen immer wieder auf und gehen nach vorne!« Man muss das als Drohung verstehen. Nicht links, nicht rechts, sondern vorne, auf der Regierungsbank und vor den Fernsehkameras will man nach der Wahl wieder Platz nehmen. Allen voran zählebige und strapazierfähige Leute wie Jürgen, der Jeansjackenminister, der den Atomkonzernen nach harten und schwierigen Verhandlungen das Versprechen abgerungen hat, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wenn sie in 35 bis 40 Jahren nicht mehr gebraucht werden und noch nicht kaputtgegangen sind. Ein unschätzbarer Erfolg grüner Politik.

Und doch bleiben Zweifel. Hätte dergleichen nicht auch die SPD oder sonst wer ohne Hilfe der Grünen zustandegebracht? Trittin ist anderer Meinung: »Stellen Sie sich eine rote Schafherde vor. Wiederkäuer! Die müssen auf die grüne Wiese! Na? Dazu braucht man Hirtenhunde. Wir sind 47 Hirtenhunde, die sie immer wieder auf die Weide treiben!« Hirtenhunde wie der Gastgeber Werner Schulz beispielsweise, der einer der ersten Grünen war, die schwarz-grüne Koalitionen vorgeschlagen und ein militärisches Eingreifen in Krisengebieten gefordert haben.

Trittin aber, früher Kommunist, heute auch Hirtenhund, ist überzeugt von seiner Mission. Er ruft: »Sie haben die Wahl zwischen Dosenpfand und Plastikflasche!« Zweifelsohne eine Wahl, deren Bedeutung für die anstehende Weltrevolution noch gar nicht abzusehen ist.

Trittin spricht von Einweg- und Pfandflaschen, Kleinbetrieben und Großhandelsketten, Getränkeverpackungen und Verbrauchergewohnheiten, und es ist ihm anzusehen, dass er sich für eine Art Robin Hood des Parlaments hält, dabei ist er nur das Funkenmariechen des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Und dann sagt er den entscheidenden Satz. Einen Satz, der aus dem ganzen anderen Unfug herausragt, denn er enthält so etwas wie einen letzten Rest von Wahrheit. Er sagt: »Die deutsche Kultur im Bierbereich ist etwas, worauf wir stolz sein sollten.« Selbst Edmund Stoiber hätte das nicht schöner formulieren können.

»Grün wirkt! Acht Prozent und wir machen weiter!«, verspricht Trittin am Ende, bevor er mit einem lässigen Sprung das Podium verlässt und zwischen einigen muskulösen Sicherheitsbeamten verschwindet, die graue Anzüge und einen Knopf im Ohr tragen. Am gleichen Tag noch muss der Minister nach Johannesburg, Weltpolitik machen. Dann gehen die meisten, die ihm mucksmäuschenstill zugehört und ihr Schweigen nur beim Applaudieren gebrochen haben, nach Hause.

Während der beiläufigen Betrachtung einiger Wahlplakate, die überall in der Gegend hängen, fällt aber noch etwas auf. Es ist ein Aufkleber, kaum größer als eine Hand. Jemand hat sich die Mühe gemacht, solche Aufkleber gleichmäßig auf die Konterfeis der Herren Schulz, Trittin und Thierse (SPD) zu verteilen. In dem Augenblick, in dem man liest, was auf ihnen steht, ahnt man, dass es jenseits der kandidierenden rot-grünen Politkasper und der besinnungslos applaudierenden Menge Menschen zu geben scheint, die etwas tun.

Sie tun etwas, das gar nicht genug zu rühmen ist, weil ein Handeln wie das ihre heutzutage rar geworden ist. Sie sind im Auftrag der Wahrheit unterwegs. Auf jedes Plakat haben sie selbst gemachte kleine Zettel geklebt, auf denen geschrieben steht: »Alte Scheiße.« Es dürften sympathische Menschen sein. Einer Partei gehören sie vermutlich nicht an.