Der 11. September im Fernsehen

Der Tag des Terrors

Am ersten Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center überbieten die Fernsehsender einander im Gedenken.

Nicht die immer gleichen Bilder« versprechen die einen, »noch nie zuvor gesehene Aufnahmen« die anderen. Wenn sie von den Sendungen reden, die sie anlässlich des ersten Jahrestags des Terroranschlags vom 11. September vorbereitet haben, geraten die deutschsprachigen TV-Anbieter ins laute Trommeln. Und das müssen sie auch, denn der verständliche Ehrgeiz vieler Redakteure und Autoren, den historisch einzigartigen Terroranschlag aufzuarbeiten, hat zu einem nur noch schwer überschaubaren Wettbewerb geführt.

Terror am laufenden Band heißt die Devise. Geplant sind nicht nur unzählige Dokumentationen und Reportagen rund ums Thema, allein Arte zeigt zwischen dem 6. und 13. September insgesamt zwölf. Hinzu kommen noch stundenlange Live-Berichte, u.a. von Trauerfeiern und Gedenkkonzerten. Den skurrilsten Beitrag im Programm bietet 3sat, das am 11. September aus Krakau das Konzert »Papst Johannes Paul II. - Frieden durch Musik« überträgt. Zur Prime Time, wohlgemerkt.

Das größte Prestige eilt dem Film »9-11« voraus, der am Jahrestag in der ARD unter dem Titel »11. September - Die letzten Stunden im World Trade Center« zu sehen ist. Die Regisseure Gédéon und Jules Naudet hatten ursprünglich eine Langzeitdokumentation über einen Berufsanfänger drehen wollen, der in der Feuerwache Ladder 1 stationiert ist. Doch als diese Feuerwehrleute am 11. September 2001 zum nur sieben Blocks entfernten World Trade Center ausrücken, landet Jules Naudet in der Lobby von Tower 1, und somit im Zentrum eines historischen Ereignisses.

Nicht die immer gleichen Bilder? Stimmt größtenteils. Die schrecklichsten Szenen - von den Menschen, die aus den obersten Stockwerken in den Tod stürzen - bekommt man hier aus dem Blickwinkel der Feuerwehrmänner vermittelt, die im Gebäude arbeiten. Das heißt, der Zuschauer sieht die Fallenden gar nicht, er sieht das Chaos, das in der zur Kommandozentrale umfunktionierten Lobby herrscht, und dann hört er immer wieder einen dumpfen Aufprall.

Zwischendurch versucht ein Firefighter zu beschreiben, wie er sich fühlte, wenn er außerhalb des Gebäudes einen Körper zerschmettern hörte: »The sound was loud.« Hinzu kommen Bilder von draußen, wo Jules' Bruder gedreht hat. Immer wieder sieht man, wie er mit der Hand über die Kameralinse wischt, um den Staub zu entfernen, ausgerechnet so etwas Nebensächliches bleibt einem lange im Gedächtnis haften.

Die Regisseure halten sich nicht im Hintergrund, sie treten selbst als Zeitzeugen auf, weil sie ja gewissermaßen ein Teil des Plots geworden sind. Sie behalten aber auch im Blick, was sie ursprünglich hatten zeigen wollen. So beschreiben sie im ersten Drittel des Films den Alltag in der Feuerwehrwache, wo es natürlich rau, aber irgendwie doch herzlich zugeht - wie so oft, wenn zu viele Männer zu lange beieinander hocken. Und als die Türme nur noch Staub und Trümmer sind, geht der Film, den in den USA 40 Millionen Menschen gesehen haben, trotzdem weiter. Die Welt von Ladder 1 in den Stunden nach dem Anschlag, am Tag danach und Wochen später - die Naudets setzen immer wieder neu an, und es ist natürlich sympathisch, dass sie nicht nur die Bilder ausbeuten, die sie am Vormittag des 11. September eingefangen haben.

Aber man ertappt sich dabei, das letzte Viertel des Films langweilig zu finden, weil man eben doch eigentlich nur das Spektakuläre sehen will. Spektakulär sind die Bilder durchaus, die Jules Naudet im Innern des ersten Turms gedreht hat, obwohl sie vor allem die Angst und die Hilflosigkeit unter den Rettungskräften dokumentieren.

Andererseits: Fast zwei Wochen vor »den letzten Stunden im World Trade Center« - am 30. August in der ARD - lief bereits »Der Tag des Terrors. Anschlag aus heiterem Himmel«, eine aufwändige, 70 Minuten lange Nacherzählung des Geschehens, bei der sich die Autoren teilweise mit rekonstruierten bzw. per Trickgrafik animierten Szenen behelfen. Wer diesen Film gesehen hat, wird den Eindruck haben, dass er mehr Empathie weckt als die Dokumentation der Naudets, wahrscheinlich aus dem schlichten Grund, dass er zuerst zu sehen war. Dabei ist »Der Tag des Terrors« eher solide als spektakulär, die Autoren setzen auf viele bewährte Elemente, etwa die Nachrichten, die die Opfer kurz vor ihrem Tod noch daheim auf dem Anrufbeantworter hinterlassen haben.

Eins haben viele TV-Filme zum 11. September gemeinsam: Im Mittelpunkt stehen die Betroffenen, bei den Naudets kommen die zu Wort, die zu retten versuchten, was zu retten war, bei »Der Tag des Terrors« die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer. Und in der WDR-Produktion »Die durch die Hölle gingen - New York ein Jahr danach« trifft der für die ARD arbeitende Kameramann Joe McCarthy jenen Polizisten wieder, der ihn rettete, als der erste Turm einstürzte.

Es ist legitim, diese Schwerpunkte zu setzen. Aber es fehlt eine Art Metaebene. Was diese Menschen heute von ihren Erlebnissen am 11. September berichten - inwieweit ist es beeinflusst dadurch, dass sie es schon unzählige Male Freunden und Familienmitgliedern erzählt haben? Oder auch anderen Betroffenen, deren Schilderungen wiederum auf ihre eigenen Erinnerungen zurückwirken.

Um die Filme einordnen zu können, muss man auf noch eine Dokumentation zurückgreifen, die bereits vor zweieinhalb Monaten bei CNN lief. »In Memoriam: New York City 9/11/01«, produziert vom Bürgermeister Rudolph Giuliani. Seine Mitwirkung schadet dem Film übrigens kaum, die Szenen mit ihm verblassen gegen die teilweise verwackelten Amateuraufnahmen, die hier eingearbeitet wurden. Diese Dokumentation warf erstmals einen Widerspruch auf, der einen auch bei einigen anderen gelegentlich einholt. Man ist beinahe überbewältigt von der Authentizität der improvisierten und - sofern das überhaupt möglich ist - uninszenierten Aufnahmen, obwohl man in anderen Zusammenhängen gemäkelt hätte, dass da ein überambitionierter Zeitgenosse zu viel im Dogma-Manifest gelesen hat. Ein paar Momente später kann man aber schon leicht gernervt sein von Bildern, die infolge ständiger Wiederholung ästhetisiert wirken.

Der Wettbewerb, den die verschiedenen Filmemacher jetzt ausfechten, bringt ein Problem mit sich. Mancher Zuschauer wird sich schon übersättigt fühlen, bevor er überhaupt etwas gesehen hat. Obwohl man allen Regisseuren und Sendern gern zugesteht, so plakativ wie möglich auf ihre Beiträge aufmerksam machen zu wollen, die Titel klingen zu ähnlich. Zur Auswahl steht nicht nur die bereits erwähnte Doku »Die durch die Hölle gingen«, sondern auch noch »Die Hölle am Himmel«, und zwangsläufig ähneln sich auch die verwendeten Zahlenkombinationen - »11.9.«, »11.09«, »9-11«.

Es ist verständlich, dass viele TV-Macher den Anspruch haben, den französischen Produzenten Alain Brigand zu widerlegen, der gesagt hatte, dass nur das Kino in der Lage sei, die Nachwirkungen des Ereignisses adäquat ins Bild zu setzen. Doch in dem bevorstehenden Overkill dürfte der eine oder andere gute Film untergehen.

Schade wäre es jedenfalls um David Wittenbergs Essay »11.09 - Verbrechen gegen die Menschheit« (3sat). Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit dem Schweizer Friedensforscher Bruno Schoch, dem Adorno- und Marcuse-Kenner Detlev Claussen und dem Islamwissenschaftler Gilles Kepel. Neben Theorie und historischen Exkursen gibt es hier sogar eine erheiternde Passage. Als Bruno Schoch gefragt wird, was er am 11. September gemacht habe, erzählt er, dass er nicht live am Bildschirm miterlebt hat, wie die Türme fielen, und zwar aus einem sehr banalen Grund: Er musste sich erst einmal einen Fernseher ausleihen.

Gänzlich aus dem Rahmen fällt auch der Film »Die Geldwäscher des Djihad«, der die Zuschauer nach London, Pnom Penh, Bangkok, Kuala Lumpur und Mauritius führt, an Orte also, an die man im Zusammenhang mit dem 11. September normalerweise nicht sofort denkt. Der Autor Michel Koutouzis und der Regisseur Patrice Dutertre stellen das Datum in einen größeren wirtschaftlichen Zusammenhang. Sie skizzieren das islamische Bankensystem, das zumindest mittelbar den Terrorismus fördert, und sie besuchen kleine Geldwäscher mit Rotlichtviertel-Charme.

Es ist zwangsläufig nicht allzu aufregend, wenn man immer wieder zeigt, wie leicht es ist, Geld zu waschen. Aber wenn es einen Film zum Themenkomplex 11. September gibt, der garantiert nicht die immer gleichen Bilder liefert, dann ist es der von Koutouzis und Dutertre.

»11.09 - Verbrechen gegen die Menschheit«, 10. September, 23.15 Uhr, 3sat
»11. September - Die letzten Stunden im World Trade Center«, 11. September, 20.15 Uhr, ARD
»Ground Zero - Geschichten vom Überleben«, Arte, 6. September, 23.05 Uhr
»Themenabend: Das Inferno und seine Opfer«, Arte, 10. September, ab 20.45
»Reise nach Kandahar« (Spielfilm, 2001), 3sat, 11. September, 22.15 Uhr