Mord eines Neonazis

Einfach mal getötet

In Wurzen wurde eine Frau von einem Neonazi ermordet. Während die Staatsanwaltschaft versucht, den Mann als einen unpolitischen Schläger darzustellen, sorgen sich die Wurzener um ihren Ruf.

Wer derzeit die sächsische Kleinstadt Wurzen besucht, kommt wie in vielen anderen Orten Ostdeutschlands auch am Thema Hochwasser kaum vorbei. Meistens drehen sich die Gespräche um die Mulde und um die Schäden, die das kleine Flüsschen verursacht hat. Über ein anderes Thema wissen zwar auch alle Bescheid, geredet wird darüber jedoch nicht. Ende Juni wurde die Rentnerin Christa G., eine Frau, die als Trinkerin bekannt war, von dem 17jährigen Neonazi Patrick K. in ihrer Wohnung ermordet. Beide kannten sich länger und hatten schon öfter zusammen getrunken. An jenem Abend aber rastete K. aus. Christa G. habe ihn beim Telefonieren gestört und da habe er sie eben niedergestochen. Aus Aggressivität, heißt es. »Für einen politischen Hintergrund der Tat«, betont Oberstaatsanwalt Norbert Röger aus Leipzig, gebe es »keinen Anhaltspunkt«.

Patrick K. sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Zwei Wochen nach dem Mord hätte er sich ohnehin am Tor des Jugendknastes melden müssen. Dort sollte er eine 14monatige Jugendhaftstrafe antreten, zu der ihn das Wurzener Amtsgericht im April verurteilt hatte - wegen »Verkehrs- und allgemeinen Delikten«, so Röger. Nun wird die Haftstrafe für den Rechtsextremisten wohl länger ausfallen. Da hilft es auch nicht, dass der Oberstaatsanwalt versucht, ihn als unpolitischen Schläger darzustellen.

Dieses Bild ist schon längst fragwürdig. K. machte schon vor der Tat aus seinen politischen Überzeugungen keinen Hehl. So berichten Augenzeugen, dass sein Rucksack über und über mit Nazisymbolen, von der SS-Rune bis zum Hakenkreuz, bemalt war. Und seine Clique, die in Wurzen sogar nach ihm benannt wurde, wird für eine ganze Reihe von rechtsextremen Übergriffen in den letzten zwei Jahren verantwortlich gemacht.

Einen Monat vor dem Mord beschimpfte K. mehrere Frauen, die bei der Erdbeerernte halfen, als »Polensäue« und stieß sie vom Fahrrad. Und wenige Tage vor dem Mord verwüstete die Neonazischlägerbande die Wohnung eines Sozialhilfeempfängers, der bereits mehrfach ein Opfer ihrer Demütigungen gewesen sein soll. K. und seine Bande sind den Wurzener Behörden seit langem bekannt. Doch gegen die marodierenden Jugendlichen wollte man nichts unternehmen. Das wundert kaum. Schließlich sind Vertuschung und Ignoranz seit Jahren bewährte Mittel im Umgang mit Rechtsextremen in Wurzen.

Wenn es jedoch um den Ruf ihrer Stadt geht, dann sind die Wurzener empfindlich. Als im August 2001 bekannt wurde, dass ein hessisches TV-Team eine Tankstellenszene nachgestellt hatte, in der ein glatzköpfiger Komparse aus einem Auto aussteigt und Bier kauft, war die Aufregung groß. Die Fernsehleute hatten ein Nummernschild mit dem Kennzeichen des Muldentalkreises und der unter Neonazis gebräuchlichen Zahlenkombinationen 88, die für »Heil Hitler« steht, anfertigen lassen. Lokalpolitiker und Behörden, von der Stadtverwaltung bis zur sächsischen Staatskanzlei, waren außer sich. Wurzen werde »in gröbster Art verunglimpft und beleidigt«, schimpfte Oberbürgermeister Jürgen Schmidt.

Auch Patrick K. tauchte während der Aufnahmen auf. Ein Begleiter der Journalisten schildert die Begegnung. Als sie K. und dessen Clique auf dem Wurzener Marktplatz antreffen, läuft vom Band eine Goebbels-Rede in voller Lautstärke. Auf die Aufforderung, das doch leiser zu stellen, sei der 17jährige durchgedreht und habe eine Flasche in Richtung der Journalisten geworfen. Als zwei Streifenpolizisten auftauchen, habe K. restlos die Beherrschung verloren und auf diese eingeprügelt. Erst nach dem Eintreffen weiterer Verstärkung sei er überwältigt worden.

Zwei Tage nach der Attacke meldete sich eine vermeintliche Großmutter von Patrick K. telefonisch bei den Behörden und berichtete, ihr Enkel sei von den Hessen gedrängt worden, »Sieg Heil« zu rufen. Nach diesem ominösen Anruf begann eine regelrechte Kampagne gegen das Team des HR. Die Stadtjugendpflegerin Annelies Friedrich stellte sich auf die Seite der Rechtsextremisten und beteuerte die Unschuld der ihr anvertrauten Jugendlichen. Oberbürgermeister Schmidt empfing die »missbrauchten Jungs« in seinem Büro, gegen die Journalisten wurde Anzeige wegen Volksverhetzung und Kennzeichenmissbrauchs erstattet.

Die Stadt konnte sich also wieder einmal als Opfer auswärtiger Medien darstellen, die selbst ihre Neonazis mitbringen. Oder sogar - wie im Fall von Patrick K. - die einheimischen Neonazis zu kameratauglichen Auftritten überreden. Dass die Verfahren gegen den verantwortlichen Redakteur bereits im Oktober 2001 eingestellt wurden, interessiert die Stadtoberen und die Mehrheit der Bevölkerung sowieso nicht.

Unter den Jugendlichen in Wurzen üben die Neonazis zwar nicht mehr die Dominanz aus wie noch vor fünf Jahren. Die Mehrheit gibt sich normal und fährt lieber Skateboard. Trotzdem hören die Übergriffe von Neonazibanden nicht auf. »HipHopper werden immer mal wieder zusammengeschlagen«, erzählt Anja Treichel von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Amal. »Die meisten machen jedoch keine Anzeige.« Entweder weil dabei »eh nix rauskommt« oder weil »man das ja auch irgendwie anders regeln« könne.

So wie der Skater, der im Juni letzten Jahres von Neonazis an der Halfpipe zusammengeschlagen wurde und mit den Schlägern hinterher vereinbarte, auf eine Anzeige zu verzichten und sich künftig gegenseitig nichts mehr zu tun. Oder wie die Punks, die im Prozess zum Neonazi-Überfall auf eine alternative WG keinen der damaligen Angreifer erkennen wollten.

Der organisierten Neonaziszene in Wurzen sind Schläger wie Patrick K. dagegen wohl »einfach zu doof«, wie Antifas vor Ort einschätzen. Die Kameradschaften werden meist nur noch auswärts auffällig, bei Konzerten oder Aufmärschen. Zu Hause hält man sich zurück und baut wie der ehemalige Kameradschaftsführer und jetzige NPD-Stadtrat Markus Müller in Ruhe seine Häuser aus. In dem ehemaligen Chinarestaurant »Happy House« betreibt er eine nicht öffentliche Kneipe mit Internetzugang, einen beliebten Treffpunkt für Rechte. Man kennt sich halt.