US-Pläne zum Nahen Osten

Kontrollierte Explosion

In den Plänen der USA geht es nicht nur um den Irak, sondern auch um die Neuordnung des Nahen Ostens. Sie haben in der arabischen Welt Debatten über die politische Zukunft ausgelöst.

Angesichts einer tödlichen Bedrohung dürfen wir nicht dem Wunschdenken oder willentlicher Blindheit verfallen«, erklärte US-Vizepräsident Dick Cheney am Montag vergangener Woche. Denn jede Verzögerung eines Krieges werde das irakische Regime nur stärken. Und sollten sich die USA gar von den Drohungen eines Despoten erpressen lassen, Massenvernichtungswaffen gegen die eigene Bevölkerung oder Israel einzusetzen, wäre dies die »Garantie für eine Welt an der Schwelle zu noch größerem Terror«, warnte der ehemalige Außenminister Alexander Haig.

Die so genannten Falken innerhalb des Weißen Hauses und des Pentagon bestimmen derzeit das Tempo und die Form der Nahostpolitik. Bei einer Anhörung in George W. Bushs Ranch in Texas hatten am 21. August die militärischen Strategen ihre Pläne vorgelegt. Dabei scheint General Ronald Kadish die Zustimmung des Präsidenten gefunden zu haben. Kadish ist überzeugt, die USA könnten, zusammen mit britischen Eliteeinheiten und gestützt nur auf die Luftwaffe und Luftlandetruppen, ihre Kriegsziele erreichen. Gemeinsam mit irakischen Oppositionskämpfern sei es möglich, die Elitetruppen des Regimes und ihre Israel gefährdenden Raketenabschussrampen auszuschalten. Kadish erwartet eine massenhafte Desertion regulärer Armeesoldaten.

Solche Pläne stärken die Position des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, der seit Monaten die Überzeugung vertritt, zum Sturz Saddam Husseins könne man getrost auf Verbündete in Europa und der arabischen Welt verzichten, die Unterstützung der Türkei und Kuwaits reiche völlig aus. Außenminister Colin Powell, sekundiert unter anderem von seinen Vorgängern James Baker und Henry Kissinger sowie von General Norman Schwarzkopf, meint dagegen, dass ein Angriff ohne den Einsatz von Bodentruppen und ohne genaue Absprachen mit dem UN-Sicherheitsrat und verbündeten Staaten in einer Katastrophe enden könnte.

Derweil befindet sich die USS Lincoln auf dem Weg zum Persischen Golf, um die dort stationierten fünf amerikanischen und britischen Flugzeugträger zu verstärken. Die dann zusammengezogenen Kräfte reichten dem Informationsdienst Debka zufolge aus, um Kadishs Plan zu verwirklichen. Mitte September sei der nötige Truppenaufmarsch beendet, ein Angriff wäre dann militärisch möglich.

Offenbar schafft das Pentagon in rasanter Geschwindigkeit und gegen den Willen des Außenministeriums Fakten. Längst geht es dabei, wie Gerhard Schröder richtig feststellte, nicht mehr um die Wiederzulassung von Waffeninspekteuren durch den Irak, sondern um den Sturz Saddam Husseins und um eine Neuordnung des Nahen Ostens, der, wie Jim Hoagland kürzlich in der Washington Post meinte, »einem Wald fallender Bäume« gleiche.

Nach dem 11. September verbreitete sich in den USA die Überzeugung, die meisten arabischen Regimes könnten in ihrer jetzigen Form die nächsten fünf Jahre nicht überstehen. Es sei deshalb besser, erklärte in der vergangenen Woche ein Militärexperte dem Fernsehsender CNN, eine kontrollierte Explosion herbeizuführen, als in wenigen Jahren eine unkontrollierte Implosion der Region zu erleben mit einem rehabilitierten Saddam Hussein in der Mitte, der dann möglicherweise über Nuklearwaffen verfügt. Die Drohungen richten sich nicht nur gegen den Irak, schon sind auch Saudi Arabien und Ägypten im Visier, die zwei engsten arabischen Verbündeten der USA im Kalten Krieg.

Mit ihrer agressiven Politik haben die USA zwar bisher vor allem erreicht, dass sich Saddam Hussein einmal mehr in seiner Lieblingsrolle als Held der »arabischen Nation« aufspielen kann. Aber in der arabischen Welt, in der man spürt, dass die Amerikaner es ernst meinen, ist eine umfassende Debatte über die eigene Zukunft ausgebrochen.

Ein Angriff auf den Irak wird dabei, mit wenigen Ausnahmen, als Angriff auf das ganze »arabische Volk« betrachtet. Die amerikanische Verschwörung schweißt dabei so verschiedene Länder wie Ägypten und den Iran zusammen, schreibt der Kolumnist Adli Sadeq in der Zeitung Al Quds al-Arabi. Die Frage sei, ob sie in einen den USA unterworfenen Status als billige Öllieferanten gezwungen würden. »Die arabischen Regimes sind sich der Bedrohung äußerst bewusst«, meint der aus Syrien stammende Philosoph Muta Safadi. »Denn dem Irak könnten Saudi Arabien, Kuwait, Ägypten und Syrien folgen. Wir sprechen hier von einem diplomatischen, politischen und kulturellen Krieg ums Überleben.«

Außer der Ablehnung eines Krieges haben die arabischen Staaten wenig zu bieten. Und die entsprechenden panarabischen Slogans stellen die Regierungen sogar selbst vor ein Dilemma. Denn mobilisieren sie im Namen des »leidenden irakischen Volkes« die Massen, wie der ägyptische Präsident Hosni Mubarak es in Ansätzen bei einer Ansprache in der vergangenen Woche tat, könnte sich der Unmut der Massen schnell gegen sie selbst richten, entweder mit dem Vorwurf, de facto seien sie Alliierte des »großen Satans«, oder sogar mit der Forderung nach mehr Demokratie im eigenen Land.

Darauf zumindest scheinen die Falken in den USA zu hoffen, weshalb der bekannte Kolumnist Thomas Friedmann kürzlich bemerkte, dass er angesichts der Stärke der Islamisten das Ergebnis einer freien Wahl in Saudi-Arabien oder Ägypten derzeit eher fürchte. Auch Dick Cheney betonte in seiner Ansprache, man wünsche einen Irak, »dessen territoriale Integrität gewahrt ist, eine Regierung, die demokratisch und pluralistisch ist, und eine Nation, in der die Menschenrechte jeder ethnischen und religiösen Gruppe geachtet werden«. Wer, fragte er drohend, wolle sich dieser Vorstellung in einer Region widersetzen, in der die meisten Menschen bislang nichts außer Tyrannei und Not erlebt hätten.

Nun wenden arabische Intellektuelle zu Recht ein, die Politik der USA habe nicht unmaßgeblich zu dieser Lage beigetragen. Die Verlautbarungen aus Washington werden reflexhaft als propagandistisches Manöver abgetan, hinter dem sich wirtschaftliche und strategische Interessen verbergen.

Doch unterschwellig scheint die US-Strategie durchaus Erfolge zu zeitigen. Wieso solle ein saudischer Bürger, dem alle Freiheiten vorenthalten werden, sich gegen einen Krieg aussprechen, der im Namen dieser Freiheiten geführt wird, fragte Abed al-Bari Atwan, der Herausgeber von Al Quds al-Arabi. »Die USA werden, wie schon jetzt der Palästinensischen Autonomiebehörde und dem Irak, bald auch den anderen Ländern Demokratie verordnen. Ist es da nicht sinnvoll, wenn diese Länder Reformen durchführen, weil die Bürger es verlangen, statt zu warten, bis die Vereinigten Staaten sie zwingen?«

Seit die Falken einsehen mussten, dass ein Militärputsch im Irak nicht durchführbar ist, bezeichnen sie ihre Kriegsstrategie, wie kürzlich der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in Fox News, als Unterstützung des »Befreiungskampfes des irakischen Volkes«. Dabei rechnen sie damit, dass die irakische Bevölkerung nach einem Sturz Saddam Husseins die US-Truppen als Befreier begrüßen wird. Auch in Kairo und Damaskus weiß man zu gut, das mit der Verbreitung solcher Bilder das ganze ideologische Gebäude panarabischer Solidarität mit dem »irakischen Volk« zusammenstürzen würde. Zudem hätten die Hardliner in den USA eine Legitimation, ihr Programm von einem »neuen Nahen Osten« auch in anderen Ländern fortzuführen.