Mexiko: Überfälle in Chiapas

Land und Paras

Sicher hätte Mexikos Präsident Vicente Fox gern einen großen Erfolg präsentiert, als er am vergangenen Sonntag den jährlichen Bericht seiner konservativ-liberalen Regierung der Öffentlichkeit vorstellte: die friedliche Lösung der Probleme in Chiapas, die er bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 »innerhalb von 15 Minuten« herbeiführen wollte.

Doch daraus wurde wieder nichts. Die neuesten Meldungen aus dem südlichsten Bundesstaat zeugen vom Gegenteil. Bei mindestens fünf Angriffen vermutlich paramilitärischer Gruppen auf autonome, von der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN kontrollierte Gemeinden starben im August fünf Menschen, zahlreiche wurden verletzt.

Als »Familienstreit« bezeichnete die Generalstaatsanwaltschaft von Chiapas den Mord an zwei der Zapatisten in der vergangenen Woche. Menschenrechtler und zapatistische Organisationen dagegen forderten von der Justiz und der Regierung, die Existenz paramilitärischer Gruppen nicht mehr zu leugnen. Sie nannten die Namen vieler an den Überfällen Beteiligter, die eindeutig den Paramilitärs zuzuordnen sind. Demnach soll die mit der ehemaligen Staatspartei Pri und dem Militär verbundene OPDIC ebenso beteiligt gewesen sein wie eine Gruppe, die dem sozialdemokratischen PRD nahe steht.

Zweifellos lässt sich in Chiapas nicht jede Auseinandersetzung zwischen autonomen und anderen Gemeinden auf die Dichotomie EZLN versus Paramilitärs und politische Klasse zurückführen. Häufig haben die Widersprüche, bei denen es meist um Land geht, eine lange Tradition und ziehen sich quer durch die Parteien. Vor allem aber eine Verfassungsänderung von 1992, die das Recht auf kollektiven und kommunalen Landbesitz abschaffte und die Privatisierung ermöglichte, sorgte für eine immense Zunahme dieser Konflikte. Dass der EZLN am kollektiven »Ejido-Recht« festhält, ist folgerichtig allen ein Dorn im Auge, die an der kapitalistischen Verwertung in Chiapas interessiert sind: einheimischen Politikern und Unternehmern, internationalem Kapital und natürlich Fox, der mit dem Plan Puebla Panamá (PPP) den Süden Mexikos an den Weltmarkt anbinden will.

Man muss nun nicht den Analysen mancher mexikanischer Linker folgen, die das Headquarter der Paramilitärs direkt ins Weiße Haus phantasieren, um festzustellen, dass die paramilitärischen Gruppen gute Möglichkeiten bieten, um entsprechende Interessen zu betreiben. Wie bei früheren Angriffen lieferte die jetzige Eskalation den Vorwand für neue Bewegungen der Armee. Angriffe auf die Zapatisten werden nicht ausgeschlossen, während sich die EZLN derzeit darauf konzentriert, die soziale Infrastruktur in »ihren« Gebieten zu stabilisieren.

Fox käme jedoch eine militärische Konfrontation nicht unbedingt gelegen. Schließlich verspricht der Staatschef auf internationaler Ebene die Wahrung der Menschenrechte, um Unternehmer und Regierungen von seinem Entwicklungsplan Puebla Panamá zu überzeugen. Sein Motto lautet: »Mexiko, das sichere Investitionsland mit demokratischen Verhältnissen«. Wie Fox diese schaffen und gleichzeitig den PPP verwirklichen will, bleibt sein Geheimnis.

Derzeit verhandelt das Verfassungsgericht über den Einspruch von mehr als 300 indigenen Gemeinden gegen das »Gesetz über indigene Rechte und Kulturen«. Sollten die Kläger gewinnen, könnten sie künftig selbst über die Nutzung ihres Bodens und der dort gelagerten Rohstoffe entscheiden. Sollten sie verlieren, wäre eine militärische Intervention wohl unvermeidlich. Denn an ihrer Ablehnung des PPP lassen die Zapatisten keinen Zweifel.