Gewalttaten albanischsprachiger Nationalisten

Zusammen separat

Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in Mazedonien formieren sich die albanischen Nationalisten neu.

Lange ließ der Vergeltungsschlag nicht auf sich warten. Knapp 24 Stunden nach der Verhaftung von zwei albanischsprachigen Mazedoniern, die zwei Polizisten erschossen haben sollen, begannen Separatisten am Freitag vergangener Woche mit der Befreiung ihrer Kumpane. In dem kleinen Ort Zerovjane nahm ein mutmaßliches Kommando der mazedonischen Ableger der UCK in einem Bus acht Menschen als Geiseln und forderte die sofortige Freilassung der vermeintlichen Polizistenmörder aus dem Gewahrsam der Exekutive.

Drei der Geiseln wurden bereits nach wenigen Stunden freigelassen, weil sie albanisch sprachen. Den restlichen fünf Passagieren drohten die Geiselnehmer mit der Erschießung. Am Samstag wurden sie nach stundenlangen Verhandlungen mit dem Roten Kreuz freigelassen. Die Polizei hatte sich zuvor zurückgezogen. Zur gleichen Zeit blockierten wütende Angehörige der albanischen Minderheit in der Nähe von Gostivar eine Straße. Sie forderten ebenfalls die Freilassung der von der Polizei verhafteten Verdächtigen.

Mit der Geiselnahme Unschuldiger hat der auf kleiner Flamme brodelnde Konflikt zwischen albanischsprachigen Separatisten und der mazedonischen Staatsmacht eine neue Qualität erreicht. Während der bürgerkriegsähnlichen Kämpfe im vergangenen Jahr vergingen sich die Separatisten nie direkt an der slawisch-mazedonischen Zivilbevölkerung. Zu spät kommen die Warnungen des Nato-Generalsekretärs George Robertson, solche »provokativen Aktionen« zu unterlassen und sich vor den in zwei Wochen stattfindenden Parlamentswahlen zurückzuhalten.

Man scheint von den Separatisten im Kosovo gelernt zu haben. Seit dem militärischen Einsatz der Nato vertreiben sie die wenigen im Kosovo gebliebenen Serben. Dass etwas ähnliches auch in Mazedonien passieren könnte, davor warnten bislang nur mazedonische Politiker, die von der EU als Hardliner identifiziert wurden, wie etwa Jordan Boschkow, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des mazedonischen Parlaments. »Es wird zu einer ethnischen Säuberung im Westen des Landes kommen«, sagte er der Jungle World. Zwar sollte die Geiselnahme vor allem die Freilassung der Verhafteten bewirken, doch die Wirkung auf die in der Gegend lebenden slawischen Mazedonier wird fatal sein. Angesichts der merklich intensivierten Aktivitäten neuer UCK-Gruppen bringen sich schon jetzt etliche in anderen Landesteilen in Sicherheit.

Es ist eine neue Generation der Separatisten, die das Erbe der inzwischen in die reguläre Politik gewechselten ehemaligen UCK-Führer übernommen hat. Der mazedonische Geheimdienst warnt vor einer bislang vollkommen unbekannten »Armee der Republik von Ilirida«. Sie war schon vor drei Wochen für den Sprengstoffanschlag auf eine Kaserne der mazedonischen Armee verantwortlich, bei dem zwei Soldaten leicht verletzt wurden. Die Wandlung eines nun an der Grenze zum Kosovo verhafteten Kaders dieser neuen Widerstandsbewegung, Nevzat Halili, zeigt, wie schnell radikale Konzepte unter den albanischsprachigen Mazedoniern wieder an Zuspruch gewinnen. Früher war Halili der Vorsitzende der als gemäßigt geltenden Partei des Demokratischen Fortschritts.

Unter den Parteien der albanischen Minderheit ist kurz vor der Wahl ein Wettstreit um die radikalsten Forderungen entbrannt. So forderte Arben Xhaferi, der Vorsitzende der Demokratischen Partei der Albaner, die gemeinsam mit slawischen Parteien in der Regierung sitzt, beim Wahlkampfauftakt die Unabhängigkeit des Kosovo.

Eine raffinierte Forderung, denn nur mit einem unabhängigen Kosovo nebenan wäre auch eine Abspaltung jener Gebiete Mazedoniens möglich, in denen die Mehrheit der Bevölkerung albanisch spricht. Xhaferi kann eigentlich gar nicht anders, als die Bildung eines eigenständigen Kosovo zu verlangen, denn er hat mit dem ehemaligen UCK-Führer Ali Ahmeti Konkurrenz bekommen. Er muss den Helden des Unabhängigkeitskampfes vom letzten Jahr mit radikaleren Konzepten übertrumpfen.

Der jedoch gibt sich bislang butterweich: »Wir möchten ein neues Konzept anbieten, ohne nationalistische Phrasen.« Mehr als eine rhetorische Besänftigung des argwöhnischen Auslandes dürfte das aber nicht sein. Denn Ahmeti will weiterhin alle separatistischen Gruppierungen mit einer Wahlplattform vereinigen. Sollte das gelingen, würde die mazedonische Demokratie nur noch ein bescheidenes Spektrum an Positionen kennen: für oder gegen albanische und für oder gegen slawische Mazedonier.

Verhindern will die mazedonische Staatsmacht eine solche Plattform, indem sie Ahmeti noch vor den Wahlen verhaftet. Diese Maßnahme würde unter Garantie zu einer härteren militärischen Auseinandersetzung führen und das mühsam im August des vergangenen Jahres erreichte Abkommen von Ohrid zwischen der Regierung und den Separatisten hinfällig machen.

Das politische Establishment in Mazedonien bekleckert sich indes nicht gerade mit Ruhm, wenn es darum geht, das Vertrauen in die demokratischen Strukturen zu stärken. Für viele albanischsprachige Mazedonier sind die etablierten Parteien der slawischen Mazedonier auch deshalb nicht wählbar, weil sie von Korruption und Vetternwirtschaft gezeichnet sind.

Die International Crisis Group nannte in einem jüngst veröffentlichten Bericht Mazedonien eines der korruptesten Länder des Balkans. Und das hat weit reichende Folgen für die politischen Beziehungen innerhalb des Landes. Denn »der Erfolg des Abkommens von Ohrid hängt von der Schaffung funktionierender demokratischer Institutionen ab«, wie die Gruppe schreibt. Die Korruption treibt den Radikalen des Landes weitere Sympathisanten zu, was ihnen natürlich wiederum gelegen kommt.

Es ist daher durchaus im Sinne der slawischen Parteien, dass der Konflikt mit den Separatisten das einzige Wahlkampfthema bleibt. Denn das bedeutet, sich nicht weiter mit den wirtschaftlichen Versäumnissen und der Selbstbedienungsmentalität auseinandersetzen zu müssen.