Roma protestieren in Düsseldorf

Es wird kalt

Die Roma, die in Düsseldorf für ihr Bleiberecht demonstrieren, haben im nordrhein-westfälischen Landtag zwei Verbündete gefunden.

Die Stimmung ist miserabel. Regen prasselt auf die blauen Zeltplanen, in einer Eisenschüssel lodert Feuer. Daneben stapelt sich der Müll von zehn Tagen Camping. Die Kälte macht allen zu schaffen. Aber das Schlimmste für die etwa 150 Roma auf dem Schützenplatz im Düsseldorfer Stadtteil Heerdt ist die Vorstellung, schon morgen in einer Maschine der Fluglinie YAT zu sitzen, auf dem Weg in ein Land, das ihnen fremd ist und das viele ihrer Kinder nur aus dem Schulunterricht kennen: die Bundesrepublik Jugoslawien.

Ein Abkommen zwischen Bundesinnenminister Otto Schily und seinem jugoslawischen Amtskollegen Zoran Zivkovic vom 16. September sieht vor, dass alle Flüchtlinge, die aus dem ehemaligen Jugoslawien eingereist sind, nun in die Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben werden können. Selbst für Staatenlose gilt diese Regel.

Das Land hat mittlerweile ein Jahrzehnt der Bürgerkriege und Vertreibungen hinter sich. Die Roma und Sinti mussten darunter besonders leiden. Sie wurden in allen Kriegen zwischen den Fronten zerrieben.

Wie gleichgültig die Situation der Roma auf dem Balkan den deutschen Behörden ist, zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Lakonisch schrieb der Innenminister Fritz Behrens (SPD) am 12. September an die grüne Landtagsabgeordnete Monika Düker: »Unbestritten ist die Tatsache, dass Roma sich in der heutigen BR Jugoslawien, wie auch in anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, seit jeher wirtschaftlich, sozial und kulturell am Rande der Gesellschaft befinden und von der Mehrheitsbevölkerung vielfach abgelehnt, zum Teil auch diskriminiert werden.« Dükers Vermutung, dass die Roma nach einer Abschiebung in dem serbischen Teil der BRJ gesundheitlich gefährdet seien, wollte Behrens nicht teilen.

Um den Druck auf Behrens und seine Innenministerkollegen zu erhöhen, ist Dükers Fraktionskollege Rüdiger Sagel für eine Woche durch die BRJ gereist und hat bereits abgeschobene Roma besucht. Er kehrte »schockiert« zurück. Die Lebensverhältnisse in den Romasiedlungen seien »skandalös«. In »Hütten aus Holz und Pappe« lebten zirka 80 000 Roma in Belgrader Slums. 146 Lager gebe es in der Hauptstadt der BRJ, die Menschen hausten »zum Teil auf Mülldeponien«. Sagels Eindrücke bestätigen die Berichte von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. »70 Prozent der Romahaushalte haben kein fließend Wasser, 84 Prozent keine Kanalisation«, heißt es im Monatsbericht des Informationsbüros der Deutschen Caritas und Diakonie.

Sagel und Düker überreichten dem Innenminister am vergangenen Freitag eine Dokumentation der Reiseeindrücke samt Fotos. Sagel zeigte sich nach dem Termin verhalten optimistisch. Behrens sehe die Probleme der zurückkehrenden Roma und wolle »prüfen, ob eine Aussetzung der Rückkehr über den Winter« der Anfang Dezember tagenden Bundesinnenministerkonferenz vorgeschlagen werden soll. Außerdem wolle er sich den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes beschaffen.

Darin wird er zumindest einige Feststellungen finden, die sich mit Sagels Berichten decken. Wie aus gut informierter Quelle zu erfahren war, heißt es im aktuellen Lagebericht: »Roma wohnen häufig in illegal errichteten Ziegelhäusern, Blech- und Pappkartonsiedlungen am Stadtrand.«

Was die Abschiebung der Roma noch aufhalten könnte, sind so genannte »Hindernisse«. Als Abschiebungshindernis gilt eine akute gesundheitliche Beeinträchtigung im Zielland. Gerichte stützen sich bei ihren Entscheidungen hauptsächlich auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes. »Wer im Winter in Pappkartons lebt, ist eindeutig gesundheitlich gefährdet«, sagt Sagel.

Auch die Roma in Düsseldorf hoffen wenigstens auf eine »Winterpause«. Dann könnten sie in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren, ihre Kinder wieder zur Schule schicken und im Frühjahr weiter für ein dauerhaftes Bleiberecht demonstrieren.

Mit Zelten, Planen und Decken sind die Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien schon seit dem 27. April unterwegs. Auf ihrer Tour durch halb Deutschland protestieren sie gegen ihre drohende Abschiebung. Ihre Forderungen an die Bundesregierung lauten: »Sofortiger Abschiebestopp und Bleiberecht«.

Wer seit über fünf Jahren in Deutschland lebt, soll eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen, die anderen sollen eine Arbeitserlaubnis erhalten und sich dann drei Jahre lang bewähren dürfen. Am 20. Juni erreichte der Konvoi Düsseldorf. Bis heute ziehen die Flüchtlinge alle zwei bis drei Wochen zu einem neuen Platz in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, weil das Demonstrationsrecht keinen längeren Aufenthalt duldet. In fast jeder Woche demonstrieren sie auch in der Innenstadt, um die Düsseldorfer auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Deren Resonanz auf die Proteste ist größtenteils negativ. Allen voran hat sich der Oberbürgermeister Joachim Erwin als Gegner der Roma gezeigt. Er wies jegliche Verantwortung für die Flüchtlinge von sich, wollte weder eine Wasserversorgung noch sanitäre Einrichtungen zur Verfügung stellen. Weil Erwin im August eine Demonstration der Roma sabotiert haben soll, ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft gegen den CDU-Politiker.

Die Versorgung mit Trinkwasser und Toilettenwagen übernahmen zunächst Pro Asyl und der Flüchtlingsrat, dann sprang die Düsseldorfer Punkband »Die Toten Hosen« ein. Später brachten Wohlfahrtsverbände das Geld auf. Mittlerweile ist die Finanzierung der Toilettenwagen wieder unsicher. Die Unterstützer sind sich nicht einig. Das Karawane-Netzwerk hat an die Wohlfahrtsverbände appelliert, sie sollten sich nicht aus der Verantwortung stehlen und Mittel beschaffen. Die wiederum fühlen sich ungerecht behandelt. Zum Teil aus eigenen Kassen hätten sie über 12 000 Euro für die Hygiene, für die Verpflegung und für Gasheizkörper gezahlt.

Seit der Mitte der vergangenen Woche beginnen die Demonstranten zu resignieren. Die Kälte macht vor allem den Kindern und den Alten zu schaffen. Der Schützenplatz leert sich. Von anfangs 700 Demonstranten sind noch etwa 150 übrig. Der erste Sprecher des Roma-Konvois, Metus Berati, ist verschwunden. Er erhielt einen Ausweisungsbescheid für den 6. November. Seine Freunde nehmen ihm übel, dass er nicht einmal ihnen von seiner Absicht erzählte, unterzutauchen.

Am Tag nach Beratis Verschwinden versammelten sich alle Roma und alle Unterstützer vor dem einzigen beheizten Bauwagen. Die Roma waren sich einig, dass sie weiter demonstrieren wollen, obwohl viele meinen: »Was hat der Protest gebracht? Nichts!« Unter freiem Himmel aber wollen sie nicht mehr lange weitermachen.

Aber die Suche nach einem beheizten Raum für den Winter blieb bislang ergebnislos. Nun erwägen sie nach dem Vorbild des Wanderkirchenasyls kurdischer Flüchtlinge, die christlichen Gemeinden um eine Bleibe zu bitten. Doch das müsste schnell geschehen. Denn wie man hört, wollen die Innenministerien die Abschiebungen im Dezember abermals beschleunigen.