Nach dem Parteitag der CDU

Das Politische ist grausam

Der Politik ist die Seele abhanden gekommen. Man weiß zwar nicht, wann es geschah, darf aber wohl vermuten, es habe mit dem Ende der Kanzlerschaft Helmut Kohls zu tun, der eine historische Mission hatte und einen Glauben. Die heutige Bundesregierung betreibe nur noch »Ereignismanagement«, behauptete Angela Merkel in ihrer großen Rede auf dem CDU-Parteitag in Hannover. »Da ist eben immer nur Verwaltung des Augenblicks. Die Folge ist - das ist etwas sehr Dramatisches -: Politik wird ihrer Seele beraubt.«

Was ist aber die Seele der Politik? Die Seele der Politik ist das Politische. Dieser Befund stammt nicht von Max Weber, den Merkel mit dem Gedanken zitierte, ohne irgendeinen Glauben gehe es nicht, sonst liege »der Fluch kreatürlicher Nichtigkeit auch auf dem äußerlich stärksten politischen Erfolg«. Er stammt von Merkel selbst, der Führerin der CDU, die in der letzten Woche immerhin von 80 Prozent der Stimmberechtigten in ihrem Amt bestätigt wurde. Sie hätte ebenso gut ähnliche Aussprüche von Sepp Herberger oder Friedrich dem Großen zitieren können, doch auch dann hätte sich jedem Achtjährigen der Eindruck aufgedrängt, die Tante benehme sich ziemlich kindisch.

»Kurz gesagt: Deutschland braucht die Rückkehr des Politischen.« Immerhin erfuhr man, was das Wesen des Politischen ist. Nämlich die Grausamkeit, nämlich mehr Geld für die Bundeswehr, eine Begrenzung der Immigration, die »umfassende Befreiung des Arbeitsmarktes, Deregulierung der Zeitarbeit, Teilzeit, Befristung von Arbeitsverträgen, Optionsmodell beim Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer, betriebliche Bündnisse für Arbeit, Einführung eines wirklich umfassenden Niedriglohnsektors, Lohnabstandsgebot durch Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, verbindliche Eingliederungsprämien, Beweislastumkehr«. Wer Arbeit hat, soll weniger verdienen, und wer keine Arbeit hat, dem soll es wirklich dreckig gehen.

Denn Politik muss wehtun, sonst ist sie keine. Das haben konservative Staatsdenker zwar schon immer gewusst, aber erst am Ende eines halben sozialdemokratischen Jahrhunderts konnte das Regime des harten Herzens populär werden. Heute wird, wer nichts hat, noch um die Arbeitslosenhilfe beneidet, und wer nicht gerade ein mittelständischer Unternehmer ist, teilt die Expertenmeinung, zwar nicht ihm selbst, aber jedem seinesgleichen gehe es viel zu gut.

Dass Merkel in ihrem Amt als Parteivorsitzende unangefochten sei und in vier Jahren womöglich zur Bundeskanzlerin aufsteigen werde, glaubt wohl nur noch Karl Feldmeyer von der FAZ. »Wir sind besser, weil wir an die gerechte Kraft des Wettbewerbs glauben«, sagte Merkel in Hannover. Und deshalb wird Roland Koch spätestens im März des nächsten Jahres, nach seinem Wahlsieg in Hessen mit dem Verdrängungswettbewerb beginnen. Einen Kündigungsschutz wird es für diese ältere Arbeitnehmerin nicht geben, und die Kräfte, denen sie sich dann ausgesetzt sieht, wird sie nicht als gerecht empfinden. Aber wenigstens wird ihr, da sie fürs Alter vorgesorgt hat, die halbe Stelle einer Fraktionsvorsitzenden bleiben.