Schwarze Listen über Globalisierung

Zehn Tage ohne Schengen

Auf der Reise nach Florenz hatten einige Globalisierungsgegner Ärger an der italienischen Grenze. Auch wegen der »schwarzen Listen« deutscher Behörden.

Damit hatte Miriam aus München auf ihrer Fahrt zum Europäischen Sozialforum (ESF) in Florenz nicht gerechnet. Obwohl sie ein fünfseitiges Papier eines italienischen Gerichtes vorzeigte, das die über sie verhängte fünfjährige Einreisesperre im Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel in Genua für aufgehoben erklärt, verweigerten italienische Grenzbeamte die Einreise. Die Polizisten übergaben ihr am 6. November am Brenner ein vorbereitetes Schriftstück, in das nur noch ihr Name eingetragen werden musste. Danach sei wegen des ESF zwischen dem 1. und dem 10. November die Reisefreiheit aufgehoben. Begründet wurde die Maßnahme mit Artikel 2, Absatz 2 des Schengener Abkommens, der die Wiedereinführung der Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Reisenden »bei Gefahr für die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit« erlaubt.

Sogar ohne eine Angabe von Gründen holte die italienische Polizei am selben Tag in Domodossola vier Schweizer Mitglieder des Bündnisses gegen das World Economic Forum in Davos aus dem Zug, als sie auf deren Fahrkarten den Zielort Florenz entdeckte. In Handschellen wurden die Schweizer in einen Zug gesetzt, der sie zurückbrachte. Auch drei Deutsche wurden an der Grenze abgewiesen, wie Hugo Braun, ein Sprecher von Attac, berichtete. In diesem Fall beriefen sich die italienischen Polizisten auf »schwarze Listen« der deutschen Polizei.

Alles in allem mussten die nach Florenz reisenden Globalisierungskritiker zwar stundenlange und penible Kontrollen über sich ergehen lassen, aber es kam nicht wie befürchtet zu massenhaften Zurückweisungen an der italienischen Grenze. Die Ausnahme waren etwa 500 Menschen, denen am Grenzübergang Chiasso/Como die Passage verweigert wurde. Die meisten konnten aber später an anderen Übergängen nach Italien einreisen.

Das bestätigte auch die Anwältin Laura Tartarini aus Ventimiglia der Jungle World. Sie und einige Kollegen sowie Juristen des Genoa Legal Forum hatten sich an den Grenzübergängen postiert, um bei Einreiseproblemen sofort eingreifen zu können. »Zwar hat der italienische Innenminister in den Tagen vor dem ESF gemeldet, dass an der Grenze bereits über 1 500 Personen zurückgewiesen wurden. Doch diese Zahl ist falsch, da wurden alle Fälle, auch Drogendelikte und Menschen ohne Papiere, mitgezählt.« Offensichtlich diente die Zahl der Abschreckung. Wie viele Personen wirklich an der Reise nach Florenz gehindert wurden, weiß Tartarine noch nicht. An dem von ihr betreuten Grenzübergang in Ventimiglia habe es »einen einzigen Fall« gegeben.

Ungeklärt bleibt, welche Kriterien den vereinzelten Zurückweisungen zu Grunde lagen. Mit einer Anfrage ans Auswärtige Amt versuchte der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele herauszufinden, welche wegen der Vorkommnisse in Genua verhängten Einreiseverbote noch gültig seien. Das Auswärtige Amt sprach von »Einzelfällen«, gab jedoch keine Erklärungen ab. Die »betreffenden Personen müssten sich hierfür an das italienische Innenministerium oder die italienische Botschaft in Berlin wenden«. Doch bei den oben geschilderten Vorfällen an der italienischen Grenze beriefen sich die italienischen Grenzbeamten zum Teil auf Listen, die von der deutschen Polizei zusammengestellt wurden.

In den letzten Jahren hat die deutsche Polizei mehrere Personendateien angelegt. Für Außenstehende ist es schwer, einen Überblick darüber zu bekommen, wer wann für wie lange und nach welchen Kriterien erfasst wird und unter welchen Bedingungen die Daten an andere Staaten weitergeben werden dürfen. So beschlossen die Innenminister im November des Jahres 2000, Daten über »Gewalttäter links«, »Gewalttäter rechts« und über »politisch motivierte Ausländerkriminalität« zu sammeln.

Im Sommer des Jahres 2001 richtete das Bundeskriminalamt (BKA) eine »Auswertedatei Global« ein, in der die Daten von Globalisierungsgegnern gespeichert werden. Im November 2001 enthielt sie die Namen von 1 160 Personen, etwa 580 Personen waren zum gleichen Zeitpunkt als »Gewalttäter links« registriert. Auch eine »Anti-AKW«-Liste gibt es beim BKA. Und seit einigen Jahren existiert bereits eine Datei über Hooligans.

Um auf eine solche Liste zu geraten, reicht es aus, wenn die Personalien bei der »Verhinderung anlassbezogener Straftaten« von der Polizei erfasst wurden. Auch wenn ein Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt wird, heißt das nicht, dass die Daten gelöscht werden.

Das stellte am Dienstag der vergangenen Woche die 23. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts fest, die den Fall des Berliner Studenten Enrico K. verhandelte. Ihm und mindestens 14 weiteren Berlinern wurde am 17. Juli des vergangenen Jahres vom Landeseinwohneramt (LEA) die Reise zu den Protesten gegen den G 8-Gipfel in Genua untersagt. Die Begründung lautete, er könne im Ausland gewalttätig werden und dem Ansehen der Bundesrepublik schaden. Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erklärte damals: »Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise.« Das LEA begründete das Verbot mit drei zum Teil Jahre zurückliegenden Ermittlungsverfahren gegen K. wegen der Teilnahme an »gewalttätigen Demonstrationen«.

Im Verlauf der Verhandlung stellte sich heraus, dass die Verfahren längst eingestellt worden waren. Der Anwalt von Enrico K., Thomas Moritz, bezeichnet die Datensammlung des Berliner Polizeipräsidenten als skandalös: »Wenn ein Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt wird, kann dies nicht im Computer bleiben und dann als Grund für ein Ausreiseverbot benutzt werden. So handelt es sich um eine politische Disziplinierungsmaßnahme gegen eine missliebige Gesinnung.«

Das wollte das Gericht nicht weiter erörtern. Es bemängelte das Fehlen eindeutiger »Tatsachen« und forderte die Vertreterin des LEA auf, den »rechtswidrigen« Bescheid zurückzuziehen. Da das LEA sich damit einverstanden erklärte, kam das Gericht um ein Urteil herum, das anhand dieses Falles vielleicht geklärt hätte, wegen welcher Informationen Ausreiseverbote verhängt werden.

»Wie gedenkt das LEA in Zukunft mit derartigen Polizeidaten umzugehen?« hakte der Anwalt Moritz nach, ohne eine Antwort zu erhalten. »Fragen Sie sich eigentlich nie, ob das alles stimmt, was Ihnen der Polizeipräsident mitteilt?«