Interventionen gegen die Kapitalisierung

Wem gehört die Stadt?

Hamburg sieht sich momentan Szenen wie in den achtziger Jahren ausgesetzt. Im Auftrag des Innensenators Ronald Schill demonstrieren Polizeieinheiten Stärke gegen BauwagenbewohnerInnen und beenden damit eine Politik der repressiven Toleranz.
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Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis sich linksradikaler Widerstand in Hamburg gegen den rechtskonservativen Senat formiert hat. Während er zügig seine reaktionäre Politik zur Veränderung der Stadt mit der Schließung von Drogen-, Frauen- und MigrantInnenprojekten und der Räumung von Bauwagenplätzen zu betreiben begann, rührte sich jenseits einer sozialdemokratisch-grün-gewerkschaftlichen Aufregung wenig. Erst die drohende Räumung eines weiteren Bauwagenplatzes, der Bambule im Karolinenviertel, brachte über Tage hinweg erboste Leute auf die Straße. Mitte November demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen »Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Vertreibung«. Die Anliegen der BauwagenbewohnerInnen fanden auch jenseits des UnterstützerInnenkreises Gehör.

Jobben und leben. Als die Bambule eine Aktionswoche gegen ihre Räumung ankündigte, war das Politikum kaum ersichtlich. Wie häufig bei Projekten, die selbstbestimmtes Leben realisieren wollen, schien auch dieses mehr auf sich gerichtet als auf die Intervention gegen die Kapitalisierung der Stadt und die Einschränkung ihrer öffentlichen Räume. Bei der Auftaktdemo am 26. Oktober wurde aus dem Lautsprecherwagen als ein Grund für den Protest gegen die Vertreibung angegeben, dass Bambule-BewohnerInnnen nicht aus dem Viertel weg wollten, wo sie auch ihre Jobs hätten. Die Forderung nach nahe gelegenen Arbeitsorten steht in einer linken Tradition, bleibt aber konform, solange sie nicht den Zwang zu arbeiten wenigstens benennt, solange sie sich nicht auch gegen die Umstrukturierung der Stadt wendet. Zu einer Zeit, da in Hamburg mit prestigeträchtigen Großprojekten wie dem Bau der Hafencity die flussnahe Einheit von Wohnen und Arbeiten gepriesen wird, muss die politische Grenze um so deutlicher gezogen werden.

Das erledigte die überraschend militärische Polizeistrategie während der Räumung am 4. November. Mit der Erwartung, die kompromissbereiten Bauwagenleute würden mit den circa 300 ihrer Linie folgenden UnterstützerInnen die Bambule wie 1987 die Hafenstraße verteidigen, waren 1 000 Polizisten unterwegs, um letztlich die abfahrenden Bauwagen als Demonstration zu begleiten. Die Bambule wurde zum Politikum, obwohl der Senat für die Räumung auf den ersten Blick keinen politischen Preis zahlen musste. Der mehrfache Bruch getroffener Absprachen durch die Polizei und die versuchte Vertreibung der Bambule-BewohnerInnen ins Hamburger Umland schienen zu beweisen, dass der Senat keine Kompromisse in seiner Politik der sauberen Stadt machen muss.

Seit der Politik repressiver Toleranz - die Stadt verhandelte nach dem Räumungsversuch 1995 und brennenden Barrikaden und akzeptierte die Bambule vorläufig - vollzog sich damit ein Wechsel, der sichtbar werden lässt, was das Konzept Schills bedeutet. Ein Mitglied der Schill-Partei betonte, der Hamburger Senat könne sich keine noch so harmlose Form von Widerstand leisten. In dieser Logik ist es selbstverständlich, eine Demonstration ohne die bisher üblichen Vorwarnungen mit Wasserwerfern aufzulösen und die Demonstranten mit dem Suchscheinwerfer eines Hubschraubers aufzuspüren, wie dies zwei Tage nach der Räumung geschah.

Wasserwerfer und Suchscheinwerfer. Diese Unverhältnismäßigkeit zwischen einem aufgerüsteten Polizeiapparat und einer völlig abgerüsteten Linken hat das Politikum offen gelegt: die Räumung der Bambule war eine Säuberung der Stadt von allen unliebsamen, die Kapitalisierung störenden Verhaltens- und Lebensweisen. Alles, was sich dieser Säuberung entgegenstellt, wird so notwendig zu einem Teil dieser Störung. Diese Praxis verweist auf den größeren politischen Kontext, die Privatisierung und Ökonomisierung in urbanen Räumen und deren schärfere Kontrolle, nicht zuletzt mit Hilfe der Sicherheitsgesetze von Innenminister Otto Schily (SPD). Die Vertreibung der Bambule darf deshalb keinesfalls mit mittelalterlichen oder gar nationalsozialistischen Praktiken in Verbindung gebracht werden.

Bambule, deren Name wie eine dauernde Drohung klingt, hat diese Drohung zuerst nicht wahrgemacht und immer wieder ihre Integration in das gentrifizierte Karolinenviertel betont. Nahezu alle ortsansässigen Gewerbetreibenden sprachen sich in einer gemeinsamen Presseerklärung dafür aus, dass der Bauwagenplatz bleibt. Die zentrale Straße im Viertel, die Marktstraße, ist nach der Innenstadt Hamburgs die beliebteste Einkaufsmeile. Sie lebt von ihrem kleingewerblichen Flair, zu dem auch ein alternativer Bauwagenplatz passt. Dass dies mit der in der Nachbarschaft gelegenen Messe und deren längst geplanter Erweiterung, dem Bau mehrerer Hotels in der Gegend nicht harmoniert, sollte selbstverständlich sein und eben die politische Frage nach der urbanen Öffentlichkeit zur Folge haben: Wem gehört die Stadt? Ein nach dieser Frage benanntes Bündnis war Teil vereinzelter Proteste in den letzten Jahren. Sie haben sich nicht ausgeweitet und im größeren Umfang nichts verhindern können.

Die nun erwachte Hoffnung auf eine Bündnispolitik, wie sie auch in einer Veranstaltung der Roten Flora zur Bambule vor der Räumung geäußert wurde, hat zwar zu einer Koalition von linksradikalem Widerstand und den Protesten gegen die Schließung verschiedener sozialer Projekte geführt, ist aber wegen einer fehlenden gemeinsamen politischen Analyse ausgesprochen brüchig.

Die politische Strategie gegenüber den Bauwagenplätzen hat sich geändert. Anders als in den neunziger Jahren werden sie nun nicht mehr dauerhaft geduldet. Die GAL konnte sich nach der Wahl 1997 nicht gegen die SPD durchsetzen. Das neue Bauwagengesetz hat die Rechtsgrundlage für die geplante Räumung aller Bauwagenplätze in Hamburg geschaffen.

Flüchtig, mobil und fest. Das Paradox, flüchtig und mobil an einem festen Ort zu wohnen, ist mit neoliberalen Konzepten der Stadt unvereinbar. Bauwagenplätze werden als unheimlich dargestellt. Menschen ohne Meldeadresse können sich dort niederlassen, und obwohl der Platz einsichtig ist, bleibt unklar, wer sich dort trifft. Bauwagenplätze schaffen dauerhaft einen unkontrollierbaren, also urbanen Raum. Dessen sanfte, in den Konsequenzen aber ebenso problematische Kontrolle durch die Stadtentwicklungsgesellschaft (StEG) wurde nun um die direkte polizeiliche Kontrolle ergänzt. Der Angriff auf die Sozialprojekte wird so durch eine repressive Normalisierung verschärft, die langfristig weitere Ausschlüsse von unerwünschten Personenkreisen und Verhaltensweisen vorbereitet.

Die Chance dieser Situation, die von der Bambule ergriffen wurde, die eigene Räumung als Teil der Frage zu begreifen, wie sich Hamburg als Stadt in Zukunft entwickeln soll, die Möglichkeit, neue Bündnisse von Ausgeschlossenen zu bilden, birgt die Gefahr zu glauben, dass unter einer anderen Regierung alles nicht so schlimm wäre. Wie sich diese Gegenwehr entwickelt und ob sie in ihrem Reagieren eine politische Perspektive entwickelt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Ole Frahm ist Comicwissenschaftler und Mitarbeiter beim Freien Sender Kombinat (FSK). Er lebt in Hamburg.