Linke Proteste

Das Schlechte liegt so nahe

Je unbedeutender Linke sind, desto mehr scheinen sie sich in die Haare zu kriegen, was wiederum ihre Einflusslosigkeit verstärkt und so weiter und so fort. Wir streiten darüber, ob nun Bush oder bin Laden der größere Barbar ist, wir beschimpfen uns gegenseitig als Kriegstreiber oder Antisemiten, zoffen uns über den Irakkrieg und den Nahostkonflikt und schrecken manchmal selbst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht zurück.

Nicht nur, dass diese Konflikte außerhalb eingeweihter Kreise kein Mensch mehr versteht. Man kann sich zudem noch so wortgewaltig der Weltpolitik widmen, man hat doch keinen Einfluss darauf, ob die USA samt ihren Verbündeten nun den Irak bombardieren, ob Israel seine Besatzungspolitik fortführt oder ob die Hamas und Konsorten sich weiter in Bussen und Cafés in die Luft sprengen.

Diese Erkenntnis mag frustrierend sein, könnte aber auch einfach mal den Kopf frei machen. Und vielleicht ist sie ein Anlass, einfach mal einen Gang runterzuschalten. Nicht dass es nicht sinnvoll wäre, in großen Zusammenhängen zu denken, aber eine Idee, wie die Linke die Vorstellung von einer Welt verwirklichen kann, in der jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen lebt, hat derzeit doch ohnehin niemand.

Wie wäre es denn dann mal mit, sagen wir, »niedrigschwelliger Arbeit«, konkret und vor Ort? Schließlich schwant doch mittlerweile selbst der gehobenen Mittelklasse, dass der Abbau sozialer Rechte, die Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung, im Gesundheits- und Rentensystem nicht nur eine Minderheit unter die Armutsgrenze zu drücken droht, sondern dass sie eines Tages auch selber betroffen sein könnte.

Selbst wenn der neoliberale Rollback und der ihn flankierende Ausbau des Polizeistaates bislang nahezu reibungslos vonstatten gehen, so scheint es doch mancherorts nur eines Funkens zu bedürfen, um die Menschen aus ihrer Apathie zu holen.

Die Räumung des Bambule-Wagenplatzes in Hamburg ist ein Beispiel hierfür. Plötzlich formiert sich eine breite Protestbewegung nicht nur gegen den Rausschmiss der Bauwagenleute, sondern auch gegen den Sozialabbau, die Ausgrenzung von Minderheiten und die Law-and-Order-Politik. Oder die Schließung des Autonomen Zentrums in Aachen, die nicht nur Demonstrationen gegen reaktionäre Kulturpolitik, gegen Einsparungen im sozialen Bereich und die grassierende Wohnungsnot auslöste, sondern auch mal wieder eine Hausbesetzung hervorbrachte.

Sie ist zwar inzwischen von einem Sondereinsatzkommando der Polizei beendet worden, dafür wird am kommenden Wochenende in Marburg gefeiert. Seit 100 Tagen ist dort das einstige Labor des Nobelpreisträgers Emil von Behring besetzt und wird zum autonomen Zentrum umgestaltet.

Auch im Nachbarland Schweiz sind Hausbesetzungen wieder modern. Vor drei Wochen machten die Züricher Kollegen mit dem »Einzug« in der Rämistraße 28 das Dutzend in der Bankenmetropole voll. Es müssen aber nicht immer Hausbesetzungen sein. Der Kampf der Roma in Düsseldorf gegen ihre Abschiebung, die Kampagne gegen den Nazitreff im Dresdener Stadtteil Uebigau, die Proteste gegen die Nato-Sicherheitstagung Anfang Februar in München - warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte so nahe liegt?