Zur Geschichte afrodeutscher Besatzungskinder

Die falsche Heimat

Schwarze Haut und ein deutscher Ausweis passen nach der Meinung vieler nicht zusammen. Die Ausgrenzung afrodeutscher Besatzungskinder dokumentiert jetzt ein Buch.

Der afrodeutsche Mitschüler eines Freundes von mir hat Karriere gemacht. Er ist Politiker geworden und sitzt im Parlament, wo er wiederholt beim Betreten des Saals von fürsorglichen älteren Damen und Herren angesprochen wurde, die zumeist auf Englisch darauf hinwiesen, dass die Besucherplätze über einen anderen Eingang zu erreichen seien.

Von der Existenz Afrodeutscher haben viele hierzulande noch nie etwas gehört. Die Mehrheit der Deutschen hat das so genannte Blutsrecht, das Menschen qua Abstammung eine Nationalität zuschreibt, so sehr verinnerlicht, dass sie sich gar nicht vorstellen können, es könne dunkelhäutige Leute »deutscher Abstammung« überhaupt geben. Daran konnte auch der Erfolg des Buches »Neger, Neger, Schornsteinfeger« des Afrodeutschen Hans Jürgen Massaquoi, der in Nazideutschland überleben konnte, wenig ändern.

Dabei reicht die Geschichte der Afrodeutschen zurück bis in die Kolonialzeit. Damals wurden in den kolonialisierten Ländern viele Kinder geboren, die eine schwarze Mutter und einen deutschen Vater hatten. Allerdings wurden diese Kinder nie nach Deutschland gebracht. Obgleich Untersuchungen an »Mischlingen«, die etwa der deutsche Anthropologe Eugen Fischer an den von ihm so genannten »Rehoboter Bastards« vornahm, zu keiner Aussage über die besondere Intelligenz oder körperliche Andersartigkeit der »Bastarde« kamen, behaupteten die Forscher, dass »viele Bastarde« gemessen an der »geistigen Leistungsfähigkeit« der »reinen Weißen« »minderwertig« (Fischer) seien.

Dieser angeblich wissenschaftlich begründete Rassismus prägte auch die Auseinandersetzung um die zirka 500 Kinder schwarzer französischer Besatzungssoldaten und deutscher Mütter im Rheinland. In den zwanziger Jahren sprach die deutsche Presse von der »schwarzen Schmach am Rhein«, und im Nationalsozialismus wurden die Kinder als »Untermenschen« betrachtet und grausamen medizinischen Experimenten unterworfen.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg Kinder von schwarzen Besatzungssoldaten geboren wurden, enthielten sich die Presse und die Behörden eines allzu offenen Rassismus. Unter dem Deckmantel der Fürsorge wurden die Kinder nun zu Objekten staatlicher Gängelung und Kontrolle.

Yara-Colette Lemke Munez de Faria widmet sich in ihrem soeben erschienenen Buch mit dem Titel »Zwischen Ausgrenzung und Fürsorge« den Kindern, die in einen postnazistischen Staat hineingeboren und von Anfang an als Problemfälle wahrgenommen wurden. Zugleich wollten bestimmte Kreise des offiziellen Deutschland gerade an diesen Kindern beweisen, dass der eliminatorische Rassismus des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik ein für allemal überwunden sei.

Die Kinder eigneten sich besonders für diese Entschuldungsrituale, da man über sie verfügen konnte und sie zudem geeignet waren, an das Mitgefühl und die Menschlichkeit des guten Deutschen zu appellieren. So wurden die Kinder in Zeitungscomics, in der Werbung und im Film als unschuldiger »süßer Fratz« dargestellt, womit immer auch die Botschaft transportiert wurde, dass es sich um bemitleidenswerte Kinder von charakterlosen Müttern handelte.

Nur wenigen Paaren gelang es, ihre Kinder zu legalisieren. Anders als bei den Söhnen und Töchtern von weißen Besatzungssoldaten, deren Mütter zwar keine Ansprüche gegen den Vater durchsetzen konnten, deren Eltern allerdings oft gestattet wurde, zu heiraten, war es schwarzen US-Soldaten beinahe ausnahmslos verboten, sich durch eine Eheschließung öffentlich zu ihrer Beziehung und zu ihrem Kind zu bekennen.

Die ersten Bilder von schwarzen Soldaten, die ein »deutsches Frollein« im Arm hielten, hatten vor allem in den Südstaaten der USA zu erheblichen Protesten geführt. Daher war es die gängige Praxis der US-Armeeführung, die schwarzen Soldaten zu versetzen oder auf andere Weise zu maßregeln, wenn sie ein Heiratsgesuch einreichten.

Der Nachwuchs schwarzer US-Amerikaner musste zumeist mit dem Stigma des unehelich geborenen Kindes leben, was sowohl für die Kinder als auch für deren Mütter weit reichende Folgen hatte. Nicht nur dass die Frauen bezichtigt wurden, sich der »Rassenschande« schuldig gemacht zu haben, und mit gesellschaftlicher Verachtung gestraft wurden, darüber hinaus wurden sie ihrer Kinder beraubt.

Die unehelichen Kinder unterstanden damals der Vormundschaft der Jugendämter, die nicht selten entschieden, dass es besser sei, das Kind zur Adoption in den USA freizugeben oder aber in geschlossenen Jugendheimen unterzubringen, damit es keinen Schaden nehme. »Geben Sie es in eine Einrichtung, in der es unbeschwert aufwachsen kann«, wurde einer Mutter vom Leiter eines Jugendamtes eindringlich empfohlen. »Sie wissen doch selbst, wie gehässig und gemein die Leute manchmal sein können. Glauben Sie mir, es ist für Sie und das Kind besser, wenn es weit weg von diesen Leuten kommt. Aus Ihrer Tochter kann nie etwas werden, wenn sie hier bleibt, in dieser Stadt. Vertrauen Sie mir! Es ist das Beste, und sie wollen doch das Beste für ihr Kind, Sie lieben es doch, oder nicht?«

Die Fürsorgeheime allerdings bereiteten die Kinder nicht auf ein Leben in Deutschland vor. Man ging davon aus, dass die Kinder nicht hierher gehörten. Albert Schweitzer, der die Idee solcher Heime generell unterstützte, schrieb in einem Brief an eine Heimleiterin: »Ich habe die Überzeugung, dass diese Kinder einmal in die Welt hinausziehen werden, wo sie eher heimisch werden können, als in der hiesigen Welt. Dies muss man bei der Erziehung berücksichtigen und sie darauf vorbereiten, indem man sie Französisch und Englisch von jung an lernen lässt.«

In dem Film »Toxi - die Geschichte eines Mulattenkindes«, der Anfang der fünfziger Jahre mit großem Erfolg in den Kinos gezeigt wurde, lernten die Deutschen dank des unbeschwerten »Mulattenkindes«, ihre Vorurteile zu überwinden. Danach wurden sie im Happy End erlöst, denn plötzlich tauchte Toxis schwarzer Vater auf, zu dem das Kind bislang keine Beziehung hatte, und holt es »nach Hause«. Die afrodeutschen Kinder in diesem Film singen immer wieder das Lied: »Ich möchte so gern nach Hause geh'n, ay-ay-ay. Die Heimat möchte ich wiederseh'n, ay-ay-ay. Wer hat mich lieb und nimmt mich mit? Ay-ay-ay.« Afrodeutsche, die nie das Ausland gesehen haben, so lernte man aus diesem schmalzigen Lied, haben eine andere, ihre eigentliche Heimat in den Genen.

Die Annahme, dass Afrodeutsche in hiesigen Breitengraden nicht leben könnten, erhielt selbstredend wissenschaftliche Unterstützung. Sie waren für viele Eugeniker, wie Lemke Munez de Faria es präzise benennt, »neue Studienobjekte«, nachdem ihnen Objekte aus KZs und Gefangenenlagern nun ja verwehrt waren.

Folglich machten sich über diese Kinder Anthropologen und Vermesser her, die Kinder wurden auf »Anomalien« untersucht, ihre Körper in 16 Leib- und elf Kopfmaße unterteilt, und der Anthropologe Rudolf Sieg kam schließlich zu einem Ergebnis, das in einem Satz seine gesamte wissenschaftliche Herangehensweise charakterisiert: »Irgendwie ungünstige Auswirkungen der Bastardisierung waren an unseren Mischlingskindern nicht feststellbar.« Dennoch empfahlen die Forscher, die Kinder zu isolieren. Sie knüpften unmittelbar an die Arbeiten von Anthropologen wie Eugen Fischer an.

Wenn die Kinder trotz Heimaufenthalten und erschwerten Bedingungen einen Schulabschluss in Deutschland erreicht hatten und nun, in den sechziger Jahren, eine Lehrstelle suchten, wurden sie oftmals erneut zu Opfern rassistischer Einstellungen.

Lemke Munez de Faria zitiert einen Friseur, der einen Bewerber mit den Worten ablehnte: »Wer will sich schon von dunklen Händen die Haare waschen lassen?« Und einen Ladenbesitzer, der wusste, dass er auf »seine Kundschaft Rücksicht« zu nehmen habe. Stattdessen wollte man die Afrodeutschen in andere Berufe drängen, die nach der Meinung der Behörden besser zu dunkelhäutigen Menschen passen, Berufe wie Artist, Musiker oder Liftboy.

Schließlich sah man noch eine weitere Gefahr, die von schwarzen Menschen ausging. Es wurde vermutet, dass Kinder dieser Mütter und dieser Väter besonders triebhaft seien bzw. so eingeschätzt würden und sie daher einen Angriff auf die »weiße Rasse« darstellten. Übergriffe der weißen Männer auf die afrodeutschen Mädchen wurden ebenfalls befürchtet.

Lemke Munez de Faria hat mit ihrem Buch einen Teil der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte rekonstruiert, der im kollektiven Bewusstsein keinen Platz hat. Sie zeigt, wie sehr das nationalsozialistische Denken im deutschen Kollektivbewusstsein verankert blieb, und dokumentiert andererseits, welche neuerlichen Diskriminierungen ein gutmeinendes Denken hervorbringt, das sich dem Rassismus entgegenstellt, ohne dessen gesellschaftliche Bedingtheit zu reflektieren.

Wie schon die Rezensionen des Buches »Neger, Neger, Schornsteinfeger« zeigten, wundert man sich bis heute im Feuilleton kaum darüber, dass Hans Jürgen Massaquoi in die USA emigrieren musste, um dort bei einer Zeitschrift für Schwarzenrechte, Ebony, Karriere machen zu können. Man hielt das offensichtlich für natürlich.

Yara-Colette Lemke Munez de Faria: »Zwischen Fürsorge und Ausgrenzung«. Metropol Verlag, Berlin 2002, 230 S., 19 Euro