Folgen der Ost-Erweiterung

Die neue Mitte

In der neuen EU leben 450 Millionen Menschen auf vier Millionen Quadratkilometern, das Bruttoinlandsprodukt ist mit rund einer Billion Euro fast so groß wie das der USA. Und mit den neuen Beitrittsländern umfasst die Einflusszone der Union nun den gesamten Mittelmeerraum, sie grenzt an den Nahen Osten, an Russland und vielleicht auch bald an Asien. Kein Zweifel, die EU ist auf dem besten Weg, eine Supermacht zur werden.

Vom Osten aus gesehen, ist Berlin die nächste westliche Metropole. Vor allem Deutschland rückt in eine neue Lage, seine Stellung als zentrale wirtschaftliche und politische Macht in Europa wird weiter ausgebaut. Fast alle neuen Beitrittsländer haben ihre Aufnahme vor allem dem Einsatz der Bundesregierung zu verdanken. Insbesondere für Polen, den größten und schwierigsten Kandidaten, hat sich Deutschland stark gemacht.

Für Polen, Ungarn und Tschechien ist die Bundesrepublik der wichtigste Handelspartner, in Litauen, Slowenien und der Slowakei sieht es nicht viel anders aus. Und umgekehrt hat auch die wirtschaftliche Bedeutung Osteuropas zugenommen. Rund neun Prozent der deutschen Exporte gehen in den neuen Osten, fast so viel wie in die USA.

Dass Deutschland nach der Erweiterung mehr denn je im ökonomischen und politischen Zentrum Europas steht, ist eine paradoxe Entwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die wirtschaftliche Integration Europas weitere Konflikte auf dem alten Kontinent verhindern, gleichzeitig erhoffte man sich eine dauerhafte Einbindung Deutschlands in den Westen. Dass der alten wie der neuen Bundesrepublik gerade dank der Gemeinschaft der Aufstieg zur zentralen europäischen Macht gelang, hatte wohl niemand erwartet.

Insbesondere Frankreich versuchte in den vergangen Jahren, eine deutsche Dominanz zu verhindern. Die Regierung in Paris reagierte zunächst alles andere als begeistert auf die Ost-Erweiterung. Als sie nicht mehr zu verzögern war, drängte Paris darauf, auch Rumänien und Bulgarien so bald wie möglich aufzunehmen. Beide Kandidaten unterhalten traditionell enge Verbindungen nach Frankreich.

Doch der Einfluss dieser südosteuropäischen Staaten dürfte in der Union sehr bescheiden ausfallen. Das Bruttoinlandsprodukt ist nur halb so hoch wie in den neuen Mitgliedsländern, verglichen mit dem europäischen Durchschnitt beträgt es gerade mal ein Viertel. Und auch nach dem Jahr 2007 dürfte sich an diesem Zustand nicht viel ändern.

Die vorerst letzte Möglichkeit, das deutsche Übergewicht in Europa zu mindern, liegt daher im möglichen Beitritt der Türkei. Vor allem die USA und Großbritannien setzten sich in Kopenhagen für die Aufnahme ein. Strategisch gilt das Land zwar als Verbündeter der USA, gleichzeitig unterhält es in Europa die engsten Beziehungen zu Deutschland.

Wenn die deutschen und französischen Konservativen ihre kulturalistischen Ressentiments aufgeben, steht einem Beitritt mittelfristig vermutlich nichts im Wege. Bis dahin wird sich Ankara entscheiden müssen, wem seine Loyalität gehört, Deutschland oder den USA.