Ökonomische und politische Zusammenarbeit mit der EU

Handel statt Wandel

Für die EU ist der Iran ein viel versprechender Markt, den es zu erschließen gilt. Politische Konflikte sollen im Dialog mit dem Regime beseitigt werden.

Der »kritische Dialog« mit dem iranischen Regime ist zu Ende, nun soll der »konstruktive Dialog« beginnen. Während in Kopenhagen über die Aufnahme neuer EU-Mitglieder debattiert wurde, fanden in Brüssel am Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche die ersten Verhandlungen über einen europäisch-iranischen Handelsvertrag statt.

»Die EU erwartet, dass die Vertiefung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Iran von einem gleichzeitigen Fortschritt auf den Gebieten des politischen Dialogs und der Terrorismusbekämpfung begleitet werden wird«, heißt es in einer Erklärung der Europäischen Kommission. Die Doppelmoral der europäischen Iranpolitik soll damit institutionalisiert werden. Während die Europäische Kommission sehr konkrete Verhandlungen über einen Handels- und Kooperationsvertrag führt, versucht die Europäische Präsidentschaft gleichzeitig, den bislang ergebnislosen politischen Dialog weiterzuführen.

Mit einem jährlichen Handelsvolumen von 13 Milliarden Euro ist die EU bereits der wichtigste Wirtschaftspartner des Iran. Für die EU, die im vergangenen Jahr ein Außenhandelsdefizit von 111 Millionen Euro zu verzeichnen hatte, ist es nur konsequent, den viel versprechenden iranischen Markt weiter zu erschließen. So eröffnete die Europäische Kommission kürzlich ein so genanntes Energie-Büro in Teheran; Öl und Erdgas machen mit 5,6 Milliarden Euro derzeit mehr als 80 Prozent der iranischen Exporte in die EU aus. Europäische Exporteure hoffen vor allem auf gute Geschäfte mit Fahrzeugen, chemischen Produkten, Maschinen und dem Ausbau der iranischen Infrastruktur.

In der Abkehr vom »kritischen Dialog« will die EU keinen Verzicht auf Kritik an den Verhältnissen im Iran sehen, der Handel soll auch den politischen Wandel beschleunigen. Die Europäische Kommission verlässt sich dabei weiterhin auf die so genannten islamistischen Reformer um den iranischen Präsidenten Muhammad Khatami, deren Ziel jedoch immer die Stabilisierung der Diktatur war. Und selbst die zaghaften Reformversuche dieser Fraktion sind weitgehend gescheitert.

Der politische Dialog soll sich nun mit Problemen beschäftigen, bei denen die Regierungen des Iran und der EU gemeinsame Ziele verfolgen, also mit der Drogenbekämpfung und der Flüchtlingspolitik. Die alten, stets ungelösten Konflikte werden in kürzeren Formeln beschrieben. Der Iran soll den Terrorismus bekämpfen, die Zweistaatenlösung des israelisch-palästinensischen Konflikts akzeptieren und auf Massenvernichtungswaffen verzichten.

Die iranischen Machthaber sehen sich jedoch nicht genötigt, in diesen Fragen größere Zugeständnisse zu machen. Über den Menschenrechten steht für sie weiterhin die Sharia, und in Brüssel verteidigte der iranische Außenminister Kamal Kharazi die Todesstrafe, die es schließlich auch anderswo gebe. Islamistische Selbstmordattentäter gelten dem iranischen Regime als Widerstandskämpfer. Eine terroristische Gefahr orten sie vor allem in Israel und in der Organisation der Volksmujahedin, die auf Druck des Iran in die europäische Liste der Terrorganisationen aufgenommen wurde.

Das iranische Regime versucht weiterhin, die kapitalistische Modernisierung ohne tiefgreifende politische Reformen voranzutreiben. Khatamis Fraktion will Marktfreiheit und Privatisierungen, die ausländische Investitionen, vor allem aus der EU, Asien und dem Mittleren Osten, anziehen sollen. Die Strukturen der Diktatur wirken hier jedoch als Barriere. Die Verfügung über die Öleinnahmen gibt dem Staatsapparat eine gewisse Autonomie gegenüber der Gesellschaft. Um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und die Stellung einer militärisch starken Regionalmacht auszubauen, reichen sie nicht. Eine konsequente Liberalisierung der Ökonomie wäre jedoch ein Selbstmordprogramm für die klerikale Kaste, denn ihre Macht hängt an der Verfügungsgewalt über die Wirtschaft und die Staatseinnahmen.

So ist trotz des Drucks der Weltbank das Bankensystem nicht reformiert worden. Neben den neun staatlichen wurden lediglich drei private Banken zugelassen, die alle von ausgesuchten systemtreuen Iranern geführt werden. Der staatliche Sektor blieb unangetastet. Dafür gibt es gute Gründe. Die Banken sind Patronagesysteme, die die verschiedenen islamistischen Fraktionen bedienen. Weder Hardliner noch Reformer können auf diese klientelistischen Strukturen verzichten, die verdiente Funktionäre belohnen, aber auch die Kriegsveteranen integrieren.

Ungeachtet dieser Hindernisse haben 45 ausländischen Banken, unter ihnen 34 europäische, im Iran Zweigniederlassungen gegründet. Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten sind jedoch auf die Refinanzierung von Krediten beschränkt. Für die Unterhändler der EU bleibt da noch viel zu tun. Und sie werden sich auch mit der Kritik der US-Regierung auseinandersetzen müssen, die vom Iran weit größere Zugeständnisse fordert.

So war es wohl kein Zufall, dass CNN pünktlich zum Beginn des europäischen »konstruktiven Dialogs« Satellitenbilder von einer nuklearen Einrichtung nahe der zentraliranischen Stadt Natanz und von einer weiteren bei Arak zeigte. »Es sieht ganz danach aus, als ob der Iran an sehr großen Nukleareinrichtungen arbeitet, die der Gewinnung von Material zum Atomwaffenbau dienen könnten«, urteilt David Albright vom Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit (ISIS).

Der Iran wies alle Vorwürfe als zionistische Propaganda zurück und behauptete, die Anlagen ordnungsgemäß bei der UN-Atombehörde IAEA angemeldet zu haben. Das wurde von deren Sprecherin Melissa Fleming bestätigt, kann aber kaum beruhigen. Denn mit der Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke kann der Iran ganz legal die Voraussetzungen zum Bau von Atombomben schaffen. Dass die Iraner eine Inspektion erst im Februar gestatten wollen, weil, so der IAEA-Direktor Mohamed al-Baradei, »sie etwas Zeit zur Vorbereitung brauchen«, hat den Verdacht, es handele sich um militärische Anlagen, nicht gemindert.

Dass sich das iranische Regime die Option auf den Bau von Atomwaffen offen halten will, ist nur eines der Probleme, die die europäischen Verfechter des »konstruktiven Dialogs« in Verlegenheit bringen könnten. Bislang kann die EU nicht einen einzigen politischen Gefangenen vorweisen, der auf ihren Druck freigekommen wäre.

Und nach den Studentenprotesten der vergangenen Wochen hat sich die Repression erneut veschärft. Nach den Massenverhaftungen geht die Verfolgung weiter, in der vergangenen Woche wurden mindestens drei Studenten auf offener Straße verhaftet. Sogar zwei Abgeordnete des Parlaments wurden vor Gericht zitiert, weil sie das Todesurteil gegen Hashem Aghajari (Jungle World, 49/02) kritisierten. Der Druck auf religiöse Minderheiten steigt, beispielsweise hat sich die Lage der Baha'i, deren Religion den Ayatollahs als gottlos gilt, in den letzten Monaten verschlechtert.

Die Proteste beschränken sich derzeit noch auf die Universitäten. Doch nicht nur die Studenten sind unzufrieden, und nicht zu Unrecht fürchtet das Regime, dass Armut und Unterdrückung auch andere Schichten der Bevölkerung auf die Straße treiben könnten. Das wäre insbesondere deshalb brisant, weil die Protestbewegung von Khatami enttäuscht ist und sich mehr und mehr von ihm und seiner Fraktion löst. Auf vielen Demonstrationen wurde er zum Rücktritt aufgefordert. Doch während auf den Straßen Teherans die Demokratisierung und der Säkularismus gefordert werden, vertraut die EU dem gescheiterten Präsidenten und führt den Dialog mit der Diktatur fort.