USA vs. Irak

Nichts als Trouble

Krieg ist im Kapitalismus immer noch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Der deutsche Friedenswunsch aber auch.

Der Truppenaufmarsch der USA gegen das irakische Regime geht dem Ende entgegen, wenn nicht alles täuscht, findet Ende Januar/Anfang Februar der große spektakuläre Showdown zwischen George W. Bush und Saddam Hussein statt. Oder doch nicht? Die US-Administration erklärte, sie wolle einen so genannten regime change in Bagdad, und sie erhöht den Druck von Woche zu Woche. Folgt Bush dem wohlmeinenden Rat einer großen US-Zeitung, er müsse sich »verrückt« (im Sinne von unberechenbar) verhalten, um Hussein zum Einknicken zu bewegen? Oder macht er Ernst und startet einen Waffengang nach Bagdad?

Zur Verhinderung des Krieges sollen zwischen Weihnachten und Neujahr weiße Bettlaken aus den Fenstern gehängt werden, nicht in Bagdad, sondern in Berlin. Die deutsche Friedensbewegung macht mobil - mit einem Symbol der Kapitulation. Und bei den Überresten der radikalen Linken liegen die Nerven blank. »Kriegshetzer«, ruft die Mehrheit, »Diktatorenfreunde«, kontert die Minderheit. Und noch bevor die Veränderungen analysiert sind, droht jeder kritische Gedanke im Sumpf plattester Moral versenkt zu werden.

Folgt man der Sicht der Dinge der so genannten Neokonservativen, und nicht nur dieser, in den USA, so sieht die Sache so aus: Nach dem Massaker des 11. September haben die USA berechtigterweise den weltweiten Krieg gegen den Terror gestartet. Seine Ziele sind, Ussama bin Ladens al-Qaida die Basis unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan zu nehmen und zugleich zu verhindern, dass das islamistische Netzwerk an Massenvernichtungswaffen kommt, indem es beispielsweise in Pakistan die Macht ergreift. Außerdem sollen in den trouble spots, in denen mit al-Qaida verbündete Islamisten potenziell die Machtfrage stellen, die Regierungen unter Druck gesetzt werden, sich in den Krieg gegen den Terror einzuklinken und die Islamisten einzudämmen.

Mit der so genannten Achse des Bösen wurden die Feinde benannt, die den USA nicht zuletzt wegen ihres Liebäugelns mit Massenvernichtungswaffen ein Dorn im Auge sind: Irak, Iran, Nordkorea. Und im Nahen Osten, wo die islamistische Bewegung entstand, steht ein großes Aufräumen an. Die diversen autoritären Regimes sind alles andere als stabil, wenn man sie noch weiter destabilisiert, indem man etwa Saddam Hussein aus dem Weg räumt, lässt sich die Region kontrolliert demokratisieren; andernfalls sind unkontrollierte Prozesse zu erwarten, die einerseits den Interessen des US-amerikanischen Staates schaden könnten, andererseits den Einfluss der Islamisten und/oder der rivalisierenden EU stärken.

Ein regime change in Bagdad könnte ein Meilenstein auf diesem Weg sein, weil damit ein arabischer Autokrat weg wäre, dessen Einfluss in der Region weiterhin bestimmend ist. Je nachdem, wie dieser regime change ausgeht, könnte man sich dann den weiteren Kandidaten aus der »Achse des Bösen« widmen oder auch das saudische Königshaus ins Visier nehmen, das auf undurchsichtige Weise mit bin Laden rumkungelt usw. Die EU mit ihrem Motor Deutschland/Frankreich ist in dieser Hinsicht ein unzuverlässiger Kantonist. Sie hat eigene Vorstellungen über einen Nahen Osten nach ihrem Geschmack, sie treibt munter Handel mit den »Schurkenstaaten« Irak und Iran.

Bedauerlicherweise tendiert ein Staat, der sich im heldenhaften Kampf mit dem Terror befindet, dazu, zum Schutz der Demokratie vor den Terroristen dieselbe tendenziell abzuschaffen. Was nicht besser wird durch den bedauernswerten Zustand, in dem sich die krisenhaften kapitalistischen Demokratien befinden. Dann kommen Home Security Acts zustande, die die Trennung zwischen der Polizei und den Geheimdiensten abschaffen, dann droht der Predator über den Feinden der Demokratie zu kreisen und seine Hellfire-Rakete zur extralegalen Liquidierung derselben loszusenden.

Und in der Hitze des Gefechts wird zu schnellen Verallgemeinerungen gegriffen. Jeder Feind der spektakulären Demokratie ist so gut wie ein anderer, steckt nicht in jedem Kritiker der Verhältnisse ein Terrorist? Ähnelt nicht vielleicht der venezolanische Präsident Hugo Chávez auf verblüffende Weise Saddam Hussein?

In den europäischen Regierungen wird die Sache anders als im Weißen Haus wahrgenommen. Dem Krieg gegen den Terror in Afghanistan konnte man ja gerade noch zustimmen. Aber spielt der Irre aus dem Weißen Haus nicht gerade »Adolf Nazi«? Mittlerweile haben die USA eine Militärdoktrin, die Präventivkriege vorsieht - will der große Bruder nicht vielleicht die Weltherrschaft ergreifen, ohne Rücksicht auf Verluste und auf unsere Interessen? Was ist mit der Uno, was mit dem Westfälischen Frieden von 1648, wenn staatliche Souveränität keine Rolle mehr spielen soll?

Wenn die USA das irakische Regime platt machen, was wird dann aus unseren schönen Plänen eines europäischen Hinterhofs im Nahen Osten? Die iranischen Mullahs und das irakische Regime bezwingt man am besten mit dem »konstruktiven Dialog« und nach der alten Devise: Wandel durch Handel, weshalb das UN-Embargo gegenüber dem Irak schon löchrig ist. Ein Grundsatz aber muss doch auch für die USA gelten: Krieg ist keine Lösung, nirgends.

Doch der Krieg ist im Kapitalismus immer noch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, und das friedensbewegte Getöse um den von den USA geplanten Krieg gegen Saddam Hussein verdeckt beispielsweise, dass der Kosovo-Friedenskanzler Gerhard Schröder seinen Außenminister Joschka Fischer im Frühjahr dieses Jahres ein »Ideen-Papier« vortragen ließ, in dem als militärische Alternative zu den US-Plänen im Nahen Osten die Stationierung von Bundeswehreinheiten in den palästinensischen Gebieten mit »robustem« Mandat nach balkanischem Muster vorgeschlagen wurde. Daraus wurde nichts, aber es belegt, dass die Pläne der USA und die des EU-Motors Deutschland/Frankreich im Nahen Osten in deutlichem Widerspruch zueinander stehen. Und dass beide Seiten auf die militärische Karte setzen.

Denn die Konstellation im Kalten Krieg hat sich aufgelöst, und nirgends wird das so deutlich wie in der Nahostpolitik. Deutschland setzt auf die Stabilisierung, die USA auf einen regime change und die Destabilisierung. Das französische Establishment verfolgt seine Interessen, indem es in der Uno versucht, gegen die US-Pläne mobil zu machen, und gleichzeitig zur irakischen Opposition Kontakte knüpft.

Wie aber ist es zu bewerten, wenn die USA die despotischen Regimes im Nahen Osten ins Visier nehmen? Hat David Skinner Recht, wenn er im Weekly Standard schreibt: »Der 11. September, der Krieg in Afghanistan und der kommende Krieg im Irak haben die ewigen Klischees der Politik rigoros auf den Prüfstand gestellt: dass die Linke für Idealisten da ist. Für Träumer. Leute, die die Welt verändern und sie besser machen wollen. Das ist nicht länger wahr. Idealismus ist das Eigentum der Rechten geworden«.

Doch die Gegenüberstellung »idealistische Linke« versus »realistische Rechte« war immer eine politische Falle. Als Radikaler hatte man sich immer vor den »idealistischen Linken« zu hüten, die wahlweise Stalin, Pol Pot oder heute wie Fidel Castro im Namen des keuchenden Antiimperialismus Saddam Hussein feier(te)n. Und der Weg zur Hölle ist mit guten, »idealistischen« Vorsätzen gepflastert. Was, wenn der regime change nur über einen riesigen Leichenberg erreichbar ist, weil sich Hussein mit seinen getreuesten Truppen in Bagdad verschanzt und die Bevölkerung als Geisel nimmt? Wenn die »Demokratisierung« nicht eintritt, weil die Bevölkerung des Irak sich nicht aus eigener Kraft die alte Scheiße vom Hals schaffen konnte und damit auch nicht bewusst mit den Ideologien der Vergangenheit brach? Wenn sich die Lebensbedingungen der irakischen Bevölkerung nach einem regime change nicht verbessern, abgesehen davon, dass sie nicht mehr dem Terror Saddam Husseins ausgesetzt ist, was schon nicht zu verachten wäre? Dann platzen die ungedeckten Schecks, und der Bankrott dieser Art von Politik ist nahe.

Und was ist mit der guten, alten Kritik der spektakulären Warengesellschaft? Sie hat sich keineswegs dadurch erledigt, dass in der Gestalt des Islamismus eine noch brachialere Form des Krisenmanagements die »westliche Moderne« herausfordert. Die Gefahr einer »Demokratisierung« des Nahen Ostens besteht auch darin, dass die Kräfte der Emanzipation von vornherein auf den engen Rahmen der spektakulären Demokratie eingegrenzt werden. Es ist banal: Regime change ist ein Wechsel der Regierung, nicht des krisenhaften warenproduzierenden Systems. Das kann im Falle des Sturzes des irakischen Terror-Regimes eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung bedeuten, muss es aber nicht, wie man es deutlich in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban gesehen hat. Und dass mit der Ölrevenue, durch die der irakische Rentiersstaat seine weit verzweigten Repressionsorgane finanziert und Loyalität schafft, nach einem regime change blühende kapitalistische Landschaften erschaffen werden, dafür spricht wenig bis nichts.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die Verhältnisse im Nahen Osten zu tanzen beginnen. In Saudi-Arabien haben Jugendliche am Strand eine Art Neuauflage der Schwabinger Krawalle inszeniert, weil sie sich von den islamistischen Tugendwächtern nicht mehr ihre Vergnügungen verbieten lassen wollen. Im Iran rufen die Jugendlichen »Nieder mit den Taliban, in Kabul und Teheran«, in einer gesellschaftlichen Situation, in der sich die auf der islamistischen Ideologie basierende Herrschaft ihre eigene Grundlage entzieht, weil der spektakuläre Konflikt zwischen Hardliner- und Reformermullahs die Einheit dieser Ideologie bereits zerstört hat. Und wenn in Ägypten die »Protokolle der Weisen von Zion« ihre Neuauflage in einer TV-Serie erfahren, dann hat das lügenhafte antisemitische Spektakel ein solch groteskes Ausmaß erreicht, dass nur seine radikale Negation einen Ausweg verspricht.