Sportarten im Selbstversuch IV: Strandsegeln

Umweltfreundliche Formel 1

Sportarten im Selbstversuch, Teil IV: Strandsegeln.

Ich liebe meinen Vater. Vielen mag das egal sein. Mir ist es an dieser Stelle aber wichtig, diese nicht selbstverständliche, aber über diese Geschichte zum Thema Strandsegeln hinausgehende Gefühlsregung mitzuteilen. Die Liebe steht in direktem Zusammenhang zu der ungewöhnlichen Segelbetätigung zu Lande. Einem Schauspiel, dass viele der wie Insekten an den nord- wie ostfriesischen Strandabschnitten einfallenden Touristen als Segelbootfahren auf Rädern bezeichnen.

Der Yachtclub St. Peter-Ording war, bis ich denken lernte, meine zweite Heimat. Es ist ein wunderschönes Clubhaus aus Holz mitten in den Dünen mit Blick aufs Meer. So richtig zum Wohlfühlen. Kein Wunder, dass ich zehn Jahre lang die Wochenenden zwischen Dünen, Strand, Meer, Prilen und verrückten Gestalten verbringen durfte, die wahnsinnigen Spaß dabei empfanden, besser konstruierte Seifenkisten mit Segel über den Sand zu jagen. Am Ende der Woche schloss mein Vater seine Hamburger Drogerie zu, packte seine Familie ins Auto, fuhr nach St. Peter-Ording und segelte. Toll.

Mama, eine Klassefrau, die sich kurzzeitig wohl auch von den Worten der früheren Europameisterin Monique Gimel inspirieren ließ, »das soll nicht heißen, dass Strandsegeln kein Sport für Frauen ist; er kräftigt die Brustmuskeln und ich kann auf einen BH verzichten«, stieg auch in einen Segelwagen. Das mit den Muskeln konnte schließlich selbst ich als Bengel von weniger als acht Jahren bestätigen. Denn ich war es, der Vaters Segel den Mast hochziehen musste. Er selbst wird gedacht haben, dass es dem Jungen an der frischen Luft bestimmt Spaß mache, sich beim Segelsetzen zu verausgaben. Naja, wenigstens brauche ich heute nicht in eine Muckibude zu rennen. Ganz abgesehen von den unzähligen Stunden Abhärtung bei Windstärke sechs, Regen und fünf Grad Außentemperatur irgendwo auf dem zwölf Kilometer langen Sandstrand in Erwartung des Zieleinlaufs. Dort wurde einem die Zielfahne in die Hand gedrückt, zum Warmwinken.

Natürlich durfte ich auch mal mitfahren. Mein Vater hockte lässig auf dem schmalen Stück Holz, an dessen Ende die beiden seitlichen Räder befestigt sind, während ich im Cockpit lag. Einmal, allerdings ohne mich, brach er sich bei dieser lässigen Aktion das Bein, er wollte den Strandsegler mit seinem Fuß bremsen. Man darf also sagen, wir sind eine Strandsegelfamilie.

Besser, wir waren eine. Bis zu dem Tag, als ich mich, wie bereits erwähnt, auf meine eigenen Gedanken verlassen sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren wir drei längst in ein Dorf mit 3 500 Einwohnern im Winter und 32 000 im Sommer gezogen: St. Peter-Ording. Ein Umzug, der einige Veränderungen mit sich brachte. Wir wohnten mitten im Segler-, Windsurf- und Bosselparadies. Vielleicht war das zu viel des Guten. Schließlich waren das alles Sportarten, die ich partout nicht aktiv erleben wollte. Beim Bosseln wurden zu viele Klare getrunken. Windsurfen war beinahe ebenso uncool, weil nur Touristen mit blond gefärbten Locken das Balzritual aufs Wasser verlegten. Die Mädels blieben lieber am Strand, das wussten wir Locals.

Was wir nicht wussten: Mädels stehen nicht auf Provinzidioten. Denn nichts anderes waren wir. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich nie auf einem Surfbrett stand, obwohl ich an der Küste aufwuchs, im Sommer nur selten den Strand besuchte und schon gar nicht meine Füße in die Nordsee tippte. Ähnlich stelle ich mir ein Leben voller Reichtümer vor, man verliert den Blick für das Besondere.

Mit anderen Worten: ich hatte die Schnauze voll von den waghalsigen Typen in ihren schrägen Kisten. Eine Clique, die im Dorf der Ruf verfolgte, eine Bande Absonderlinge zu sein. Den gesetzten Einheimischen waren die berüchtigten Feten und mythenbeladenen Tischtanzaktionen nicht geheuer. Das Problem: Ich war nun auch ein Einheimischer. Ich wollte nichts mit den blasierten Seglern, ihrem komischen Sport und den noch komischeren Partys zu tun haben. Ich wollte Tennis spielen, es waren halt die Neunziger.

Das Verhältnis zum Segeln in den Windwagen kühlte mit jedem zusätzlichen Lebensmonat weiter ab. Natürlich wurmte es den Vater, dass sein Sohn zwar neun Stunden Sport trieb, aber nicht eine davon dem Strandsegeln widmete. Im schönen Clubhaus hängt dafür ein spaßiger Stammbaum der fiktiven Familie »Kröger« mit echten Porträtfotos. Der jüngste heißt Oke Kröger. Darunter steht: »Total daneben«. Das war der bislang letzte subtile Versuch einiger Segelfreunde meines Vaters, mir klar zu machen, dass mit mir was nicht stimmt.

Denn niemand kann sich erklären, wie der Sohn des Strandsegelurgesteins Otto Göttlich von diesem Sport kalt gelassen wurde. Immerhin des Otto Göttlich, der mit drei anderen verrückten Deutschen im Jahr 1969 600 Kilometer durch die Sahara segelte. Selbst die Zeitschrift Praline widmete der »mörderischen Tour« damals vier Seiten. Und was macht sein Sohn? Er spielt Tennis. Eine Schande.

Eine, die nicht nur das häusliche Verhältnis abkühlte, sondern außerdem nur sehr vereinzelt durch kurzfristige Strandsegelunternehmungen meinerseits unterbunden wurde. Einmal klappte es sogar. Ich wurde Deutscher Jugendmeister. Es sollte der höchste Titel meiner sportlichen Karriere bleiben. Doch auch dieser Erfolg bescherte mir kein längerfristiges Bedürfnis, den Segelwagen aufzutakeln, rauszuschieben und mit, von mir nie erreichten, 150 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit über den Sand zu donnern, über Prile zu hüpfen und Touristen zu erschrecken.

Die Pubertät war schuld. Mein Problem war nur, dass sie bis nach dem Abitur anhielt. Ich verließ St. Peter-Ording, ging nach Heidelberg, ging nach Köln und ging nach Freiburg. Nicht nur, dass mir diese Stationen erstmals Ärger mit Allergien bescherten, weil die Luft in Köln so schlecht ist, sondern mit jedem Umzug vermisste ich St. Peter-Ording mehr.

Besuche in der Heimat förderten die wiederentdeckte Lust auf ein natürliches Gesichtspeeling durch den peitschenden Sand und die sporadischen Salzwasserduschen während eines Strandsegeltörns. Gefühle überschlugen sich, als bei der richtigen Fahrt am Wind das dritte Rad des Strandseglers langsam abhob und auf zwei Rädern gesegelt wurde. Touristen erschrecken macht immer noch so viel Spaß wie früher.

Obwohl man jetzt selbst einer ist. Einer, der den durchgeknallten Typen in ihren polyestergeformten High-Tech-Boliden wieder gerne zusieht, wenn sie sich am Start zu berühren scheinen und nach und nach davondüsen und bei ihren komischen Partys auf den Tischen tanzen. Typen, immer auf der Suche nach der richtigen Spur auf dem sich stetig verändernden Strand und dem gefühlvollen Umgang mit dem Wind, der die Piloten der umweltfreundlichen Formel 1 vor sich hertreibt.

Inmitten dieser Glücksgefühle stürzte auch ich von der Planke wie mein Vater einst. Als Tourist wollte ich einer Begleitung imponieren, kniete mich auf die Planke, übersah eine Bodenwelle und knallte auf den harten Sand. Seitdem bin ich nie wieder alleine gesegelt. »Ich weiß nicht, ob ich dir das zutraue bei dem Wind rauszugehen«, pflegt mein Vater zu sagen. Dabei würde ich meiner Liebsten, da ich doch wenigstens wieder in Hamburg wohne, so gerne imponieren. Nun spiele ich Strandvolleyball und liebe meine Eltern.