50 Jahre Fernsehen in Deutschland

Wir lieben Fernseher

Seit 50 Jahren wird in Deutschland Fernsehen gemacht und gesendet.

Als der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) am 25. Dezember 1952 offiziell sein Fernsehprogramm startete, war das gewissermaßen die zweite Geburt, die dieses Medium hierzulande erlebte. Fast 18 Jahre zuvor, am 22. März 1935, hatten die Nazis in Berlin mit dem Sender Paul-Nipkow den ersten regelmäßigen Fernsehbetrieb der Welt aufgenommen. Zur Premiere lief eine Show mit Gesangsnummern und Kabarettstückchen, die »Dachgarten« hieß.

Zunächst konnten in der Stadt 70 bis 75 Einzelempfänger glotzen, außerdem gab es so genannte Fernsehstuben. Kurz nach dem Kriegsbeginn wurde der Großteil der zu dieser Zeit verfügbaren Fernsehgeräte, rund 500, in Lazarette transportiert, um die Laune und die Kampfmoral der verwundeten Soldaten zu verbessern, und ab Frühjahr 1943 konnten nur noch Wehrmachtsangehörige das Programm verfolgen.

Wenn jetzt von »50 Jahre deutschem Fernsehen« die Rede ist, ist also das runde Jubiläum des freiheitlich-demokratischen deutschen Fernsehens gemeint.

Das offizielle zumindest, denn einen so genannten Versuchsbetrieb hatte es schon seit dem November 1950 gegeben. Das Fernsehen der DDR probte übrigens erstmals am 21. Dezember 1952.

Um den Geburtstag zu feiern, haben die ARD-Sender u.a. ein Quiz ausgeheckt, bei dem das fernsehhistorische Wissen von Prominenten abgefragt wird. Und eine »lange Nacht« mit Filmen und Serienfolgen, die so »legendär« sind, dass man sie nicht mehr sehen möchte. Das mit Abstand aufwändigste Projekt ist dem Regisseur Christian Stöffler zu verdanken, und es ist auch das einzige mit popkulturgeschichtlichem Wert. Rund 500 Stücke hat der Regisseur aus dem Archiv des NDR ausgewählt - überwiegend aus den Probejahren sowie der Phase zwischen 1952 und 1956. Das Ergebnis der Arbeit ist nun unter dem Titel »Die NWDR-Rolle - Wie das Fernsehen anfing« zu sehen.

Die Dokumentation hat fünf wesentliche Strukturelemente: Passagen aus dem Tagebuch des Fernsehkritikpioniers Kurt Wagenführ, der, teilweise gemeinsam mit seiner Frau, bis Anfang der sechziger Jahre zu jeder Sendung eine protokollartige Rezension verfasste; Zwischentexte mit alten Ansagen oder Meldungen zur Anzahl der jeweils zu Jahresbeginn angemeldeten Fernseher; Interviews mit heute prominenten Protagonisten aus der Fernsehfrühzeit; längere Ausschnitte aus Features oder Fernsehspielen, die damals als »Direktsendungen« über den Schirm gingen; nicht zuletzt Potpourris aus, wenn auch nicht im Wortsinn, bunten Bildern, die Stöffler videoclipartig zusammengeschnitten hat.

Von diesen Bildern bleibt am meisten hängen, weil der Regisseur die komischen Effekte der ausgewählten Ausschnitte noch unterstreicht, indem er sie mit verblüffend gut passender Musik aus der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit unterlegt (Pet Shop Boys, Iggy Pop, a-ha, Mr. Oizo und andere). Man meint, gerade bei MTV oder Viva gelandet zu sein, schließlich gibt es ja in vielen Clips alte oder auf alt getrimmte Bilder.

Erschöpfende drei Stunden lang widmet Stöffler sich jenen Zeiten, als die Zuschauer noch mit den Worten »Meine lieben Fernseher« begrüßt wurden und es in der Kiste im Vergleich zu heute sehr viele singende, schunkelnde und tanzende Menschen zu sehen gab. Das Fernsehen war damals eine Art Jahrmarkt, was vielleicht kein Wunder war, denn das Studio, anfangs ein 4,5 mal 4,5 Meter großer Raum, der miserabel belüftet war, befand sich im Bunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, wo nebenan das Vergnügungsfest »Hamburger Dom« stattfindet.

Heil also war die gezeigte Welt und das Fernsehen noch keine gefräßige Maschine, weshalb an medienkritischen Reflexionen von baudrillardschem, bourdieuschem oder postmanschem Ausmaß noch kein Bedarf bestand. Auch die »Tagesschau«, die von 1952 bis 1956 lediglich dreimal wöchentlich lief, passte in dieses Bild. Das zeigt »Es ist 20 Uhr ... Die Tagesschau wird 50«, eine unchronologisch erzählte Geschichte dieser Nachrichtensendung, die in den Anfangstagen kaum mehr senden konnte als das, was die populäre »Wochenschau« an Material übrig gelassen hatte.

Durch den Film führen Sandra Maischberger - ihre Firma Vincent TV hat diese Dokumentation produziert - sowie der heute 78jährige Horst Jaedicke, der erste Redakteur der »Tagesschau«. Sie schlendern durch die heutigen Redaktions-und Produktionsräume, wobei Maischberger ermüdend oft betont, dass die Arbeitsbedingungen heute ja wohl komfortabler seien als zu Jaedickes Zeiten. Aber Bilder aus Regieräumen und von Konferenzen sind ja grundsätzlich eher fad. Warum glauben Fernsehmacher eigentlich, dass Zuschauer es aufregend finden, Fernsehmachern bei der Arbeit zuzuschauen?

Insgesamt kurzweiliger sind da schon die Eindrücke aus der Frühzeit. Die »Tagesschau« in den fünfziger Jahren, das war ein Mix aus Katastrophen, viel Sport (vor allem Pferderennen und Boxen) und viel Buntem (sogar Kochwettbewerbe waren berichtenswert). Die TV-Kritikerin Ursula Wagenführ erwähnt, dass zudem »jedes Mal ein Schiff vorkam«.

Diese Phase rekonstruieren der Autor Armin Toerkell und der Regisseur Jan Kerhart anhand von Archivbildern, von Interviews mit Mitarbeitern und Zuschauern, prominenten wie gewöhnlichen (um die Zeitzeugen aufzutreiben, will man sogar in Altersheimen recherchiert haben). Andererseits kommen aber nachgestellte Szenen aus dem damaligen Redaktionsalltag hinzu.

Dass in einer Skurrilitäten-Revue wie der »NWDR-Rolle« kein Platz für politische Betrachtungen ist, liegt in der Natur der Sache; dass bei »Es ist 20 Uhr ...« Politik und Politiker praktisch keine Rolle spielen, ist dagegen mindestens erstaunlich. »Wir haben darüber diskutiert, das Thema politische Einflussnahme zu einem Schwerpunkt zu machen«, sagt Sandra Maischberger. Aber gerade anfangs habe es die »ja nicht gegeben«, schließlich betrachteten die Politiker die »Tagesschau« erst seit ungefähr 1960, als es mehr als vier Millionen Fernsehgeräte gab, als relevante Plattform.

Für Martin S. Svoboda, den ersten »Tagesschau«-Chef, der sich noch stark am Prinzip der »Wochenschau« orientierte, stand, so Toerkell, »immer das Bild an erster Stelle, und da machten sich untergehende Schiffe natürlich besser als Politiker« - was sich natürlich bestens ergänzte mit der Haltung der Bevölkerungsmehrheit, die »den neuen Wohlstand genießen« (Toerkell) und von Politik nichts wissen wollte. Weil Svoboda in diesem Sinne ein Mann des Volkes war, hätten ihn die ARD-Gewaltigen machen lassen, sagt Toerkell, zumal die Nische »harter Journalismus« seinerzeit ohnehin das Radio besetzt habe. Im Film selbst erfährt man darüber aber so gut wie nichts.

Nimmt man zum Maßstab, was einer der jüngeren »Tagesschau«-Sprecher, der 34jährige Thorsten Schröder, gerade der Hamburger Monatszeitschrift 1/4NACH5 erzählt hat, dann lässt sich die Einstellung des 1960 abgesetzten und 1992 verstorbenen Svoboda keineswegs als altmodisch abtun: »Wenn ich mir die Sendungen von vor 20 Jahren ansehe, dann wird klar: Damals waren fast ausnahmslos politische Themen zu sehen. Heute ist der Sport bedeutender, und es spielen auch buntere Geschichten eine Rolle.«

Solche und andere von der privaten Konkurrenz beeinflussten Entwicklungen, die darin gipfeln, dass sogar schon Kurzbahnweltrekorde über 100 Meter Rückenschwimmen verkündet werden, wofür am Wochenende die Vielzweckwaffe Reinhold Beckmann zuständig ist, sie kommen in »Es ist 20 Uhr ...« nicht vor.

Moment, einen kritischen Satz gibt es doch in diesem Film. »Am 11. September waren wir nicht gut aufgestellt«, sagt einer, der immerhin Intendant eines ARD-Hauses ist. Möglicherweise hat das der NDR-Chef Jobst Plog so gesagt, weil Maischberger ihm vorher erklärte, sie wolle, dass er »nicht als Intendant, sondern als Rezipient« antwortet. Hätte sie andere Gesprächspartner ähnlich instruiert, wäre aus »Es ist 20 Uhr ...« vielleicht mehr geworden als eine ärgerliche Nettigkeit.

»Die NWDR-Rolle«, 21. Dezember, 23.15 Uhr, NDR, und 26. Dezember, 1.15 Uhr, ARD
»Es ist 20 Uhr ... Die Tagesschau wird 50«, 26. Dezember, 21.45 Uhr, ARD