Terror ist ein Gugelhupf

Mathias Bröckers verrührt wüste Spekulationen über den 11. September zu einem Weltverschwörungsszenario. von martin krauss

Der »konspirologische Beobachter und Forscher« (Eigenbezeichnung) Mathias Bröckers wurde von seinem Verlag zum »Zweitausendeins-Autor des Jahres« ernannt. Schließlich wird sein Buch »Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.« bald in der 24. Auflage ausgeliefert, und sogar die Rechte für Indonesien sind schon verkauft.

Ein sensationeller Erfolg, wurde das Buch doch »von den großen Medien praktisch ignoriert«, wie sich der Verleger Lutz Kroth im Katalog »Merkheft« beschwert.

Auch der Staat mag Bröckers’ Wahrheiten über den 11. September eher nicht. Wegen einer dem Buch beiliegenden Zeichnung von Gerhard Seyfried wird ermittelt. Zu sehen ist darauf u.a. eine mit Hakenkreuzen versehene israelische Flagge.

Bröckers hat mit seinem Buch eine Verschwörungstheorie über die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington vorgelegt. Da schreibt er etliche Widersprüche oder auch nur ihm als Widersprüche erscheinende Fakten und Phänomene, Gerüchte, Spuren und Motivationslagen nieder, die, wer will und wer das als lohnenswert ansieht, ruhig nachprüfen kann. Doch Bröckers will mehr: »Ohne angemessene Verschwörungstheorien«, davon ist er überzeugt, »lässt sich unsere hochgradig komplexe und konspirative Welt gar nicht mehr verstehen.«

Bröckers hat nämlich, anders als die »Herde von TV-Sklaven« um ihn herum, ein Bild von der Welt, das sehr differenziert ist. Er weiß, »dass ein kleiner Club von Hyperkapitalisten insgeheim die Welt regiert«. Diese wahrhaft Mächtigen, weiß er weiter, sitzen in den USA und haben nicht nur Pearl Harbor und die Morde an den Kennedys und Martin Luther King zu verantworten, sondern auch den Anschlag auf das World Trade Center (WTC). Das herauszufinden, fiel dem Journalisten Bröckers recht leicht. Journalisten haben nämlich, glaubt der frühere taz-Kulturchef zu wissen, »laut Verfassungsauftrag (und per Gehaltsscheck) als vierte Gewalt im demokratischen Staat zu fungieren«. Die »Gleichschaltung der Medien« hat es zwar mit sich gebracht, dass nur noch Mathias Bröckers diesem gewiss irgendwo niedergeschriebenen Verfassungsauftrag gehorcht, während die anderen Mitarbeiter des »vernutteten Mediengewerbes« einfach ins »Medienbordell« gegangen sind.

Aber da legt halt Bröckers Hand an. Ihm hilft die Firma Google aus Kalifornien, Weltmarktführer im Segment der Internetsuchmaschinen. »Zweimal täglich googeln«, weiß Bröckers, »hilft zuverlässig gegen virulente Manipulationen, Propaganda-Infektionen und chronische Verblödung!«

Das etwa ist die kleine Welt, in der sich Mathias Bröckers eingerichtet hatte. Er bastelte gerade mal wieder an einem Text über Verschwörungstheorien, als er am 11. September 2001 im Fernsehen die Terrorattacke auf das WTC sah. Kein Entsetzen rührte sich in ihm, sondern das gebannte Interesse, »wie das Thema, das ich gerade historisch und theoretisch behandelte, praktisch und lebendig wurde«.

Lebendig wurde die Verschwörungstheorie im Onlinedienst Telepolis vom 13. September 2001 an. Dort schrieb Bröckers ein konspirologisches Tagebuch, das im Wesentlichen das vorliegende Buch ausmacht. Gleich am Anfang der Reihe fragt sich Bröckers, ob der »israelische Bruch des Völker- und Menschenrechts in Palästina« nicht von ähnlicher Qualität sei wie der Anschlag des 11. Dezember.

Vom Thema Nahost und Israel, das bei ihm auch immer Judentum und Nationalsozialismus bedeutet, kommt Bröckers in seinem ganzen Buch nicht los.

Außer den USA profitiere nämlich nur noch Israel von dem Attentat, und folglich müsste der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon, den der Israelexperte Bröckers für den Staatspräsidenten hält, »auf der Liste der Verdächtigen eigentlich ziemlich nach oben« rücken. Zumal im Vergleich der USA und Israel ja letztere die eigentliche Großmacht seien. Der Mossad habe, suggeriert Bröckers, »seit Jahren Zugang zu jedem US-Telefon – auch zu dem im Oval Office des Weißen Hauses«.

Bröckers hat nicht nur noch mehr solche Beobachtungen parat: »De facto behandelt Scharon das Osloer Abkommen nicht anders als Hitler den Versailler Vertrag.« Nein, er weiß auch, warum Sharon so böse ist.

Ausgerechnet mit der jüdischen Philosophin Hannah Arendt und dazu, weil auch eine noch so zurechtgebogene Arendt-Passage immer noch nicht ausreicht, einer Prise Küchenpsychologie wendet Bröckers auf Sharon den »aus der Psychologie bekannten Mechanismus der ›Identifikation mit dem Aggressor‹« an, womit das, was er vermutlich für legitime Kritik an einer Regierung hält, endgültig zur Schmähung des israelischen Staates und des jüdischen Volkes wird: »Insofern wäre der Staat Israel geboren aus der Not vor dem gewalttätigen ›Übervater‹ Hitler, psychohistorisch jetzt zu so etwas wie einem gewalttätigen Hooligan herangewachsen, der einfach nicht anders kann.« So sind sie halt, die Juden, unverbesserlich.

Trotz seiner Erkenntnisse akzeptiert Bröckers für sich den Begriff »Antisemit« nicht. Denn nicht er ist ja schuld am Antisemitismus, sondern das sind immer noch die Juden. »Ginge es um eine ernsthafte Debatte über Rolle und Funktion des Antisemitismus«, schwadroniert er über »Gespensterdebatten«, wie sie um Möllemann, Walser und den »Talkshowgrabscher Michel Friedman« geführt wurden, »dann müsste diese perverse Logik der israelischen Siedlungspolitik im Mittelpunkt stehen.« Der Verschwörungsexperte weiß: Die Siedlungspolitik ist schuld am Antisemitismus.

Selbst da, wo Bröckers versucht, sich als Ökonom zu präsentieren, bricht es aus ihm heraus. Unter Berufung auf den deutsch-argentinischen Ökonomen Silvio Gesell, ohne den seit den NSDAP-Strasser-Brüdern keine Theorie der Brechung einer Zinsknechtschaft auskommt, fordert Bröckers das Ende des Geldmonopols. Geld sei, schwadroniert er, der von Wirtschaft so viel versteht wie etwa von Sprache, von Zeitgeschichte oder von Psychologie, »zu einem Werkzeug der Mächtigen« geworden und habe all das hervorgebracht, »was wir nurmehr Weltwirtschaft nennen – und bis heute kaum durchschauen«. Aber Erlösung naht: »Tatsächlich werden Banken, die Geld zu hohen Kosten in die Zirkulation bringen, durch das Internet tendenziell überflüssig.«

Nicht nur das Geld, auch die Recherche wird dank des Internet überflüssig, weiß der Google-Hupf. Findet Bröckers irgendwo im Web ein Zitat, das ihm gefällt, dann glaubt er, es mit einer Tatsache zu tun zu haben. So fand er ja auch heraus, dass Tschetschenien eine Sowjetrepublik war. Liest er aber etwas, das nicht in seine kleine Welt passt, muss Bröckers sehr böse werden. Der Watergate-Enthüller Bob Woodward etwa, gewiss kein annähernd so guter Rechercheur wie Bröckers, muss doch »übergelaufen« sein. Er wurde »gefüttert mit Exklusivinterviews der Topoffiziellen« und verfasste dann ein »Propaganda-Fake«, kurz: der Washington Post-Rechercheur ist »Propagandamythen aus dem Führerbunker« aufgesessen.

Das Bröckersche System ist geschlossen, so jemand ist gegen jede Kritik immun. Er berichtet beispielsweise über eine Diskussion mit einem Welt-Redakteur: »Meinen Einwand, dass sich Bush innenpolitisch derzeit nicht nur verhalte wie Hitler nach dem Reichstagsbrand, sondern auch die ›Schriftleiter‹ heute wie damals stramm stehen, wies er entrüstet von sich.«

Warum der Welt-Mann seine Amis-sind-die-schlimmeren-Nazis-Phantasien zurückwies, bekommt Bröckers nicht mehr mit, er kann nur spekulieren: »Vielleicht, weil er meine antibushistische Haltung mit dem üblichen Antiamerikanismus verwechselte.« Das aber findet er gemein. »Um es kurz zu machen, könnte man sagen«, schreibt er, »dass sich der Antibushist zum Antiamerikaner verhält wie der Antizionist zum Antisemiten.« Und ein Antisemit ist Mathias Bröckers ja auch nicht.

Mathias Bröckers: Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9. Zweitausendeins, Frankfurt/M. 2002, ca. 360 S., 12,75 Euro