Lula startet durch

Mit einem PR-Gag und fragwürdigen Nominierungen beginnt die Amtszeit des neuen brasilianischen Präsidenten. von klaus hart, são paulo

Den PR-Coup hatte sich Lulas Propagandakompanie geschickt ausgedacht. Während sich Europa um den drohenden Irakkrieg sorgt, gibt Brasiliens neue Regierung der ganzen Welt ein Beispiel von hoher Symbolkraft. Sie stoppt den Ankauf von zwölf Luftwaffenjets. Mit dem gesparten Geld würden Hunger und Elend bekämpft, heißt es offiziell, das habe jetzt höchste Priorität. Prompt erntete Lula gerade in den USA und Europa bei vielen NGO Lob, und die BBC glaubte: »Brazil opts for butter before guns.« Auch in Deutschland wurde der Unsinn begeistert gedruckt und politisch korrekt kommentiert, nach dem Motto: »Brot statt Bomber«.

Weit über 700 Millionen Euro sofort gegen den Hunger statt für Kampfjets, das war doch mal was! In Brasilien wurde die Geschichte dagegen rasch entlarvt. Im Haushalt 2003 ist für Jagdbomber gar kein Geld eingeplant; es werden somit, wie der Öffentlichkeit vorgespiegelt, keineswegs den Militärs beträchtliche Mittel entzogen, die jetzt den verelendeten Massen zugute kommen.

Lula schob zudem die Jagdbomber-Ausschreibung nur um ein Jahr auf, konkurrierende Rüstungsfirmen aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Russland können weiter hoffen. Wer schließlich den Zuschlag erhält, muss sich um die Finanzierung über Kredite selbst kümmern, und Brasilien entstehen voraussichtlich zum Ende von Lulas Amtszeit erste, relativ geringe Kosten. Ein anderer Waffendeal geht indessen weiter. Für die Modernisierung von 62 veralteten F-5-Jagdflugzeugen durch das israelische Unternehmen »Elbit« sind reichlich Haushaltsmittel da, zur Freude der Militärs.

Lulas neuer Wissenschafts- und Technologieminister Roberto Amaral befürwortet öffentlich, dass Brasilien alle nötigen Technologien und Kenntnisse für den Bau der Atombombe erwirbt, obwohl das Land den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen unterzeichnet hat. Amarals Position löste nicht nur in den Nachbarländern Unruhe aus; schließlich betrieben Brasiliens Militärs seit den Zeiten der Diktatur geheime Forschungen, in Amazonien wurde sogar ein Atomtestgelände installiert. Lulas Regierung musste rasch dementieren, die Atomforschung existiere nur zu friedlichen Zwecken. Umweltschützer erwarteten zudem, dass unter Lula das stark umstrittene Siemens-AKW des Biblis-Typs bei Rio de Janeiro auf keinen Fall fertig gebaut wird. Überraschend hat das Projekt aber durchaus Chancen.

Seit dem Amtsbeginn folgt eine peinliche Richtigstellung der anderen. Firmen, die fest angestellte Beschäftigte ohne triftigen Grund entlassen, mussten bisher hohe Bußgelder zahlen. Der neue Arbeitsminister Lulas, Jaques Wagner, wollte diese Regel abschaffen, musste jedoch nach Gewerkschaftsprotesten einen Rückzieher machen. Schließlich hatte die sozialdemokratische Präsidentenpartei PT im Wahlkampf sogar versprochen, die Bußgelder kräftig anzuheben.

Brasiliens Militärs genießen absurde Vergünstigungen, sie streichen im Vergleich zur Bevölkerungsmehrheit extrem hohe Pensionen ein. Der zuständige Minister Ricardo Berzoino versprach, dem ein Ende zu bereiten. Wegen des Protests der Generäle bleibt nun aber alles beim Alten.

Der bislang größte Skandal betrifft den stellvertretenden Staatschef José Alencar, einen Milliardär und Textilkonzernbesitzer, der Lulas rechtem Koalitionspartner PL (Partido Liberal) angehört, der von Sekten dominiert wird. Ein Baumwolllieferant ging gegen Alencars Firmengruppe Coteminas wegen mutmaßlichen hohen Subventionsbetrugs juristisch vor. Auf Auktionen hatte Coteminas demnach große Baumwollmengen erworben, die ihm bereits gehörten, nur um bei solchen Anlässen fällige Regierungszuschüsse einzustreichen. Dokumente beweisen, dass die Transaktionen geschickt vertuscht wurden. Doch kurz vor dem Amtsantritt stellte die zuständige Regierungsbehörde alle Ermittlungen gegen Coteminas nach nur wenigen Tagen überraschend ein. In anderen Ländern hätte ein solcher Fall Alencar vermutlich das Amt gekostet und das Kabinett ins Wanken gebracht. Doch für Lula und die PT-Spitze ist die Sache erledigt.

»Ein sehr schlechtes Zeichen am Start der Regierung Lula, außerdem eine Schande, lächerlich, surrealistisch«, nennt das Josias de Souza. Er ist der Leiter der Hauptstadtredaktion von Brasiliens auflagenstärkster Qualitätszeitung Folha de Sao Paulo, die als einziges brasilianisches Blatt über den Skandal ausführlich berichtete und anderthalb Monate aufwendig recherchierte. »Niemand hat unsere Beiträge dementiert oder widerlegt. Gravierend ist, dass andere Firmen jetzt natürlich genauso betrügen und die gleiche illegale Praxis pflegen werden wie Coteminas.« Denn Straffreiheit sei ja sicher.

Auch im Fall des neuen Transportministers Anderson Adauto, ebenfalls aus der PL, werde nicht ermittelt wegen des begründeten Verdachts der Abzweigung öffentlicher Mittel sowie verfassungswidriger Entscheidungen in früheren Ämtern. »Politiker, die so handeln, bezahlen dafür einen Preis; das alles lässt sich nicht so einfach unter den Teppich kehren«, so der renommierte Journalist.

Dass Lula in Europas Medien heute geradezu eine Welle von Lob und Hudel erntet, nennt Souza »direkt lächerlich«. Zündstoff sieht er auch in den unverschämt heftigen Preissteigerungen bei Waren des täglichen Bedarfs, denn gerade für die verarmten Massen werden jetzt vor allem Nahrungsmittel erheblich teurer.

Lulas neuer Zentralbankchef Henrique Meirelles war zuvor Direktor der nordamerikanischen Bank of Boston und bekommt von ihr eine Pension von 750 000 Dollar jährlich; sein Privatvermögen beträgt 70 Millionen Dollar. Meirelles gehört zur sozialdemokratischen Partei (PSDB) des ehemaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, er unterstützte ihn maßgeblich und steht daher selbst für die Restlinke in Lulas Arbeiterpartei PT eindeutig auf der Gegenseite.

Der linke Kongressabgeordnete Joao Batista Oliveira (PT) ersuchte die Parteiführung und den Fraktionsvorstand sogar formell, Meirelles von seinem Posten zu entfernen. Brasilien, sagte er der Presse, sei bei der Bank of Boston hoch verschuldet; Meirelles habe ihr in 20 Berufsjahren satte Profite zum Schaden der brasilianischen Arbeiter verschafft. Und er unterhalte weiter enge Beziehungen zur Bank, mit seiner jetzigen Funktion sei das unvereinbar, es sei »geradezu der Hohn«.

Von Euphorie über Lulas Amtsantritt ist daher in Brasilien kaum eine Spur zu entdecken, bestenfalls gespannte Erwartung. Zumal die Regierung hinter den Kulissen alles unternimmt, damit ausgerechnet der gerissene rechte ehemalige Staatschef Josè Sarney, ein reicher Oligarch von der großen Zentrumspartei PMDB, neuer Präsident des Senats und des Nationalkongresses wird.

Fragwürdige Nominierungen finden sich allerorten. Die bei deutschen Linken beliebte Benedita da Silva regierte bis Ende Dezember den wichtigen Teilstaat Rio de Janeiro und wurde in seriösen Erhebungen als schlechteste Gouverneurin ganz Brasiliens ermittelt. In ihrer Amtszeit herrschten Misswirtschaft und schwerste Menschenrechtsverletzungen in den riesigen Slums von Rio. Dennoch schanzte Lula ihr einen Ministerposten zu. Jetzt ist sie für Soziales zuständig.