Test the West

Das alte und das neue Europa von anita baron

Der Jubel war riesig. Mehrere zehntausend Menschen drängten sich auf dem Rathausplatz von Vilnius, um den US-Präsidenten George W. Bush zu begrüßen. »Die Feinde Litauens sind auch die Feinde der USA«, sagte Bush der jubelnden Menge. Am selben Tag bereiteten ihm in Bukarest 100 000 Menschen einen nicht minder euphorischen Empfang. Kurz zuvor hatte die Nato auf ihrem Gipfel in Prag die Aufnahme der baltischen Republiken sowie Rumäniens, Bulgariens, Sloweniens und der Slowakei beschlossen.

Mit ihrer Integration in die EU schien sich für diese Länder endgültig der Anschluss an die westliche Welt zu besiegeln. Wenige Jahre zuvor hatte in Warschau, Budapest und Prag der Beitritt zur Nato ähnliche Freude ausgelöst. Und kein Pole oder Tscheche hätte damals wohl vermutet, dass die Mitgliedschaft in beiden Organisationen einmal zu Loyalitätskonflikten führen könnte.

Das aber ist spätestens seit einer Woche der Fall. Als der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac wegen der Irakfrage die direkte Konfrontation mit den USA suchten, erklärte der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dass Deutschland und Frankreich das »alte Europa« repräsentierten. Wer denn das »neue Europa« sei, ließ er zwar offen, aber verständlich war es auch so.

Erst kürzlich hatte Bush Polen »als den besten Freund der USA in Europa« bezeichnet, als Warschau eine militärische Unterstützung im Irak auch im Falle eines Alleingangs zusicherte. Auch Ungarn unterstützt die Irakpolitik der USA, dort bilden derzeit amerikanische Militärs irakische Oppositionelle für einen Einsatz im Irak aus. Und Rumänien hat als einziger europäischer Staat versichert, keine amerikanischen Staatsbürger an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern.

Sollte der Streit zwischen dem »alten Europa« und den USA weiter eskalieren, könnten die anderen osteuropäischen Staaten ins Dilemma geraten, sich zwischen zwei Loyalitäten entscheiden zu müssen. Bislang galt in den osteuropäischen Hauptstädten zwar die Meinung, dass eine enge Allianz mit Washington am besten die eigene Unabhängigkeit garantiere. Doch die realen Machtverhältnisse sehen anders aus.

Rund zwei Drittel ihres Außenhandels wickeln Länder wie Polen und Tschechien mit dem »alten Europa« ab, vor allem mit Deutschland. Dem Warentausch mit den USA kommt im Vergleich eine fast nur symbolische Bedeutung zu. Keine polnische oder tschechische Regierung kann es sich leisten, auf Dauer mit den westlichen Nachbarn zu streiten. Kein Wunder also, dass deutsche Politiker die transatlantische Orientierung der Osteuropäer gelassen betrachten: Wenn sie der EU beigetreten sind, werden die Polen schon spuren, meinte folglich ein SPD-Europaabgeordneter, auch wenn er’s freilich nicht so sagte.

Spektakuläre Entscheidungen wie im Dezember, als die polnische Regierung beschloss, das US-amerikanischen Kampfflugzeug F-16 dem französischen Konkurrenzprodukt Mirage vorzuziehen, dürften nach der EU-Erweiterung im kommenden Jahr zur Ausnahme werden. Der Beschluss löste zwar in Paris großen Ärger aus, während man in Washington begeistert war. Doch dass die Jets jemals im Sinne Bushs eingesetzt werden, darf bezweifelt werden.

Wahrscheinlicher ist, dass sie ihre Befehle von einer anderen Organisation entgegennehmen werden, von der künftigen europäischen Armee, die gerade entsteht. Und die wohl bald im Zweifelsfall auch ohne die USA auskommen wird.