Das große Wer mit Wem

Nicht nur Antimilitaristen wollen am kommenden Wochenende zur Nato-Sicherheitstagung nach München kommen. Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld will dabei sein. von thies marsen

Egon Bahr wird nicht kommen. Der einst wichtigste außenpolitische Stratege der SPD und der Regierung Willy Brandts verzichtet in diesem Jahr auf die Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz der Nato, die eigentlich ein alljährlicher Pflichttermin für Verteidigungspolitiker der westlichen Hemisphäre ist. »Ich habe mir ausgerechnet: Entweder wir sind dann im Krieg, dann lohnt die Konferenz nicht. Oder wir sind kurz davor, dann erklären die Amerikaner nur, was sie machen wollen, dann lohnt es sich auch nicht. Mit Argumenten können Sie da nichts mehr bewegen«, sagte Bahr der Abendzeitung.

Donald Rumsfeld hingegen wird kommen. Der US-amerikanische Verteidigungsminister hat zugesagt, an der Tagung im Hotel Bayerischer Hof in der Münchner Innenstadt teilzunehmen. Er dürfte vor allem für den bevorstehenden dritten Golfkrieg werben. Rumsfeld könnte versuchen, das Verhältnis zu Deutschland und Frankreich zu entspannen, indem er den Bundeskanzler Gerhard Schröder und den französischen Präsidenten Jacques Chirac wieder in die Koalition gegen den Irak aufnimmt. Vielleicht bleiben die USA aber auch bei ihrer derzeitigen Strategie, die Uneinigkeit in Europa zu nutzen und zu verhindern, dass die Europäische Union (EU) ein ernst zu nehmender wirtschaftlicher und machtpolitischer Konkurrent wird.

Wer für das State Departement in Europa die bad guys und wer die good guys sind, sprach Rumsfeld kürzlich unverblümt aus. Auf der einen Seite sieht er das »alte Europa«, bestehend aus Frankreich und Deutschland, das aus verschiedenen innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Gründen gegen einen Irakkrieg ist. Auf der anderen Seite stehen diejenigen europäischen Regierungen, denen die Bindung an die Weltmacht in Übersee wichtiger erscheint als die Bildung eines Machtblocks auf dem eigenen Kontinent. Acht von ihnen brachten ihre Unterstützung der Politik der USA in der vergangenen Woche in einem offenen Brief zum Ausdruck (Siehe Seite 13).

Da der Riss nicht nur quer durch die EU geht, sondern auch durch die Nato, stellt sich die Frage nach der Zukunft des transatlantischen Bündnisses. 13 Jahre nachdem die Nato den Kalten Krieg gewonnen hat, steht ihre eigene Existenz auf dem Spiel. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die seit jeher ein Ort war, an dem wichtige Entscheidungen von der Nachrüstung bis zur Osterweiterung der Nato im kleinen, illustren Kreis vorbereitet wurden, dürfte diese Frage eine große Rolle spielen.

Auch Demonstranten werden nach München kommen. Im vergangenen Jahr hatte die Tagung der Nato erstmals größere Proteste ausgelöst, die auch durch ein in München bislang einmaliges umfassendes Demonstrationsverbot nicht ganz unterbunden werden konnten. Rund 7 500 Antimilitaristen protestierten trotz des Verbots in der Innenstadt. In diesem Jahr sollen es über 10 000 werden, hofft das Bündnis gegen die Nato-Konferenz.

Diesmal hat die rot-grüne Stadtregierung kein Verbot verhängt. Anders als im vergangenen Jahr stehen keine Kommunalwahlen bevor. Außerdem ist es derzeit auch im rot-grünen Milieu wieder schick, gegen den Krieg zu sein, zumindest gegen einen, an dem man selbst ausnahmsweise nicht oder zumindest nicht maßgeblich beteiligt sein wird.

3 000 »Chaoten« aber werden diesmal wohl nicht kommen. Nicht einmal die Münchner Polizei hat sie angekündigt, das ist fast schon eine Überraschung, denn diese Zahl ist in bei den Beamten sonst sehr beliebt. Schon 1992 hatte man zum damaligen Weltwirtschaftsgipfel in München die Ankunft von 3 000 »Chaoten« vorausgesagt.

Die blieben zwar aus, trotzdem gab es einen Münchner Kessel und eine Demonstration, wie man auf »bayerische Art« mit Andersdenkenden umgeht. Im vergangenen Jahr seien es wieder 3 000 Gewalttäter gewesen, die sich nach Angaben der Polizei auf den Weg gemacht hätten, um München während der Sicherheitskonferenz zu »entglasen«. Doch zu dem heraufbeschworenen Szenario von Genua kam es nicht.

Das umfassende Versammlungsverbot vom letzten Jahr wurde inzwischen zumindest in Teilen für rechtswidrig erklärt. Das Münchner Verwaltungsgericht entschied vor kurzem, dass eine damals von den Grünen angemeldete Kundgebung hätte erlaubt werden müssen. Das Verbot der Demonstration auf dem Marienplatz ging für das Verwaltungsgericht dagegen in Ordnung. Schließlich habe ein polizeilicher Notstand gedroht.

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) erwarte »regelrechte Gewaltexzesse« während der bevorstehenden Konferenz, sagte er dem Focus. Und die Münchner Polizei warnt selbstverständlich auch vor möglichen Krawallen, schon um die eigene Anwendung von Gewalt bereits vorher zu rechtfertigen. Ihre Wasserwerfer hat sie in Davos warm laufen lassen. Unter den stolzen Augen der Münchner Polizeiführung durften die bayerischen Wasserwerfer der Schweizer Polizei vor zwei Wochen dabei helfen, die Gegner des Weltwirtschaftsforums nass zu machen.

Doch nicht nur von der Polizei droht den Demonstranten Ungemach. Das Bündnis gegen die Sicherheitskonferenz, das von Antifagruppen über Attac und diverse Friedensinitiativen bis zur Münchner Verdi-Jugend reicht und das in seinen Aufrufen stets auch die Kriegspolitik der Bundesregierung kritisiert, sieht sich unerwarteten Spaltungsversuchen ausgesetzt.

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der im vergangenen Jahr noch das Verbot der Demonstration erlassen hatte, kündigte diesmal an, auch er wolle auf die Straße gehen. Natürlich will Ude nicht gegen die Bundesregierung und auch nicht gegen die Sicherheitskonferenz und deren Teilnehmer protestieren, die er schließlich am Freitagabend in gediegenem Ambiente zum offiziellen Sektempfang im Bayerischen Hof begrüßen wird.

Ude will ausschließlich gegen den Irakkrieg demonstrieren, die Parolen des Bündnisses gegen die Sicherheitskonferenz gehen ihm viel zu weit. Schließlich fordern die Gegner der Nato eine »internationale Solidarität gegen die kapitalistische Globalisierung« und rufen nicht nur zum Protest gegen den Irakkrieg auf, sondern gegen den neuen »globalen Krieg der Nato-Staaten«, also auch gegen den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan und anderswo.

In der bayerischen Landesleitung des DGB fand Ude nun willige Helfer. Kaum hatte er verkündet, dass er demonstrieren wolle, meldete die Gewerkschaftsführung ihm eine Demonstration an, die am Samstag eine Stunde vor dem Beginn der Demonstration des Bündnisses auf dem Odeonsplatz stattfinden soll und auf der lästige Kritik an der Bundesregierung fehlen dürfte. Die Organisatoren sollen sogar versucht haben, Attac vom Bündnis abzuwerben und für die eigene Kundgebung zu gewinnen. Doch der Versuch schlug offenbar fehl.

Die Gegner der Sicherheitskonferenz nehmen den Spaltungsversuch gelassen hin. Je mehr Leute auf die Straße gehen, desto besser, egal auf welcher Demonstration, sagte der Sprecher des Bündnisses, Claus Schreer. Zudem sind die Kundgebungen so angesetzt, dass man beide Veranstaltungen besuchen kann, um zuerst nur gegen den Irakkrieg und anschließend auch gegen die Nato zu demonstrieren. Sofern die Polizei es zulässt.

Angesichts der Differenzen in der Nato und ihrem daraus entstehenden Bedeutungsverlust ist es allerdings fraglich, ob die Organisation in Zukunft noch der entscheidende Kriegsakteur sein wird und ob sie weiterhin zum wichtigsten Gegner von Antimilitaristen und Globalisierungskritikern taugt.