Der Kapellmeister

Der österreichische Dance-Produzent Patrick Pulsinger hat eine Jazzplatte gemacht, die nicht nach Jazzdance klingt, sondern nach richtigem Jazz. von tim stüttgen

Patrick Pulsinger ist ein Tausendsassa. Einer von den Typen, die schon seit Jahren elektronische Musik aller Art produzieren, Trip Hop, Electro und was es sonst noch so gibt. Von dem, was sein seit zehn Jahren bestehendes Label Cheap auf den Markt wirft, ist vieles gut, anderes kaum der Rede wert.

Eine Jazz-CD hat der in Wien lebende Österreicher noch nie gemacht. Wie auch? Pulsinger ist Produzent und kein Musiker. Und wenn sich normalerweise Produzenten doch mal am Jazz versuchen, ist das Ergebnis meist schwierig bis schmierig.

Jazz ist für die meisten Produzenten normalerweise nichts anderes als ein Oberflächenreiz. Man interessiert sich für eine »jazzy Ästhetik«, nicht aber für wirklichen Jazz. Ein Miles-Davis-Sample hier, ein Stan-Getz-Rhythmus da, unter das Ganze wird ein funky Beat gelegt und fertig ist die klebrige Soundsauce, mit der heute so viele Kaffeehäuser verkleistert werden. Und in Wien gibt es ja bekanntlich unendlich viele Kaffeehäuser.

Warum Pulsingers Platte »Easy To Assemble, Hard To Take Apart« trotzdem gelungen ist, ist recht leicht zu erklären. Sie ist eine richtige Jazzplatte. Eine, die weder der New-Orleans-Nostalgie eines Wynton Marsalis huldigt noch dem Free Jazz. Sondern eine, auf der einfach nur entspannt musiziert und improvisiert wird.

Pulsinger steht auf Jazz, differenziert aber: »Ich bin eben kein Jazzmusiker, sondern Jazzkonsument«, meint er. Wie man anhand solcher Voraussetzungen dennoch eine Jazzplatte hinbekommt? Pulsinger mietete sich einfach ein altes Studio und dazu noch eine Gruppe Musiker wie den Bassisten Werner Dafeldecker oder den meist in Chicago musizierenden Saxophonisten Boris Hauff.

Er erklärte ihnen dann einfach, wie er sich das Ganze ungefähr vorstellt: »Ich wollte ihnen nichts vorgeben. Jedenfalls nichts Konkretes. Konnte ich ja auch gar nicht. Ich kann selber gar keine Noten schreiben. Ich kann zwar etwas Klavier spielen, aber ich kann denen nicht sagen, die sollen jetzt auf ›h‹ gehen. Ich habe denen vorgesungen oder vorgesummt und habe so Sachen gesagt wie: An der Stelle hätte ich es gerne so Lalo-Schifrin-mäßig.«

Womit, mal abgesehen von seinem Vater, der auf zwei Stücken Posaune spielte und dann ausstieg, eigentlich alle klar kamen. »Mich haben sie zum Schluss ›Kapellmeister‹ genannt. Ich habe gewunken, wenn ich gemerkt habe, dass ich aus dieser oder jener Stelle was Geiles machen könnte. Die haben sich dann immer kaputt gelacht.«

Wichtig war für Pulsinger, dass die Aufnahmen klingen sollten wie auf einer Jazzplatte aus den Sechzigern. »Für mich war musikalisch die interessanteste Zeit überhaupt Anfang der Sechziger bis Mitte der Siebziger. Wenn man John Coltrane oder Sun Ra heute wieder hört, klingt das ja immer noch futuristisch.«

Dass Pulsinger sich am so genannten »New Thing« der Jazzavantgarde Anfang der Sechziger orientierte, als der Jazz freiere Strukturen und elektronische Instrumente erforschte, heißt jedoch nicht, dass wir es hier mit pseudoavantgardistischem Experimentaljazz zu tun haben. Genauso wenig wie mit einer Retro-Retorte.

Wegen der vagen Angaben ihres Produzenten, ihres »Bandleaders«, konnten sich die Musiker in Ruhe ausspielen, ohne sich künstlich etwas beweisen zu müssen. Dass das Album so gelungen ist, hat jedoch nicht nur mit der Freiheit der Musiker im Studio zu tun, sondern mindestens genauso viel mit der Schlussproduktion in Pulsingers Studio.

Erst einmal bedeutete das, die eingespielten Stücke auf maßvolle Laufzeiten zu kürzen. Wobei die Musiker ihrem Maestro genauso vertrauen mussten wie er ihrer Spielkunst. »Das hätte alles nicht geklappt, wenn die nicht auch mir gesagt hätten: ›Okay, wir spielen, und mach’ du dann einfach.‹ Ein Solist erzählt ja auch eine Geschichte. Und ich saß dann alleine zu Hause und fragte mich, an welcher Stelle ich aus dem Solo rausgehen sollte.«

Pulsinger formatierte die einzelnen Sequenzen nicht so maschinell, wie man das sonst am Computer macht, sondern er operierte optisch. »Ich habe mir die einzelnen Phasen auf dem Bildschirm angeschaut und schlichtweg gesehen, wann der Solist seinen Part auf- und wann er abbaut.«

Pulsinger nennt diese Form der Produktion »eine unglaubliche Schnipselei. Das erste Stück der Platte ist zum Beispiel nie so gespielt worden, wie es jetzt zu hören ist. Manchmal habe ich noch ganz kleine Details zugefügt, um einzelne Stellen besser zu betonen. Immer wenn ich wollte, dass noch irgendein Effekt oder ein Detail dazu kommen sollte, habe ich mir dieses Detail einfach irgendwo geholt und eingesetzt.«

Die ganze Schnipselei hört man der Platte an keiner Stelle an, genauso wenig wie die Tatsache, dass die Arbeit an ihr insgesamt zwei Jahre dauerte.

Die zehn Stücke der Platte beackern die verschiedenen Stilrichtungen des Jazz, ohne dass es jemals nach einem Geschichtsseminar oder gar nach Eklektizismus klingen würde. Elektronische Effekte in Form weniger Keyboard-Sounds oder einiger Echos sind so spärlich, als sollte damit die entrückte Entspanntheit des Produktionsprozesses betont werden. Die gemächliche Ruhe, die man schon immer gerne auf die Stadt Wien projiziert hat, ist auf dem ganzen Album zu finden.

Was sicher auch mit der Ehrfurcht zu tun hat, mit der Pulsinger sich dem Jazz genähert hat. Immer wieder betonend, dass es hier um ein »Traumprojekt« gehe und wie viel er von der Arbeit mit den Musikern gelernt habe, hat es dennoch nicht den Anschein, als wolle er zum neuen elektronischen Jazzpapst ausgerufen werden.

Wenn er jetzt noch eine vernünftige Live-Präsentation seiner Platte auf die Reihe kriegt, werden sich vielleicht wirklich irgendwann Rollkragenpullover tragende Jazz-Opis und hippe Clubgänger ihre verschwitzen Hände reichen.

Patrick Pulsinger: »Easy To Assemble.

Hard To Take Apart: In the Shadow of Ali

Bengali« (Form&Function)